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Kommentar Deutsch-türkisches VerhältnisKein Ringelpiez mit Erdoğan

Dass Deniz Yücel frei ist, ist gut. Das darf nicht zur Komplizenschaft der Bundesregierung mit dem türkischen Regime führen.

Vom Präsidialamt in Ankara verbreitetes Foto: Der türkischen Präsident grüßt seine Gefolgschaft Foto: dpa/Pool Presidential Press Service

K ann das Zufall sein? Während alle Welt mit Deniz Yücels Freilassung beschäftigt wird, tingelt der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım am Rande der Sicherheitskonferenz in München umher und wünscht sich „engere Rüstungskooperationen mit Deutschland“. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan wolle nach Vereidigung der neuen Bundesregierung Deutschland besuchen. Das stinkt nach Wahlkampf. Eine Ouvertüre zur türkischen Präsidentschaftswahl 2019.

Denn die hiesigen Stimmen wollen abgeholt werden. Auftritte von Politikern wurden letztes Jahr verboten, die türkische Regierung hofft wohl auf weiteres Entgegenkommen. „Im Kampf gegen den Terror“ klappt das bereits. Das Verbot von kurdischen Symbolen auf Demonstrationen in Deutschland wird hart durchgesetzt und in Nordsyrien schießen deutsche Panzer.

Jetzt, wo sich die Türkei mit den USA wegen des Einmarschs in Afrin verkracht hat, besinnt man sich auf alte Freunde. Während außenpolitisch die Wogen mit Deutschland geglättet werden, demonstriert die türkische Regierung Härte und Stärke nach innen. So ist auch die Forderung der Staatsanwaltschaft nach 18 Jahren Haft für Deniz Yücel zu verstehen – als Wink an die eigenen Wähler im Land.

Interessant ist, dass Erdogan, der sonst nichts unkommentiert lässt, sich noch nicht geäußert hat. Das hat System: Für das diplomatische Scherbenaufsammeln werden der Ministerpräsident und der Außenminister vorgeschickt. Es ist leider zu erwarten, dass die türkische Regierung sich in Bezug auf die hiesigen Türkeistämmigen wieder ihrer Rolle als großer Bruder widmen will. Für Doppelstaatler und Turkodeutsche heißt dies, sich erneut mit türkischen Folkloreveranstaltungen und deutschen Diskussionen um Loyalität, Doppelpass und dem nervigen Comeback der Identitätsfrage herumschlagen zu müssen.

Kurz nach der Meldung „Deniz Yücel ist frei“ wurden drei Journalist*innen zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. Über 100 Journalist*innen sitzen im Knast. All das geschieht in einem Land, dessen Regierung vehement behauptet, es habe eine unabhängige Justiz. Die Freilassung von Deniz Yücel, sie sollte nicht zum Ringelpiez mit Anfassen zwischen der Bundesregierung und dem AKP-Regime mutieren.

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Canset İçpınar
Nachrichtenchef*in/Podcast
seit 2010 bei der taz. Themen: Minoritäten/Menschenrechte 2017-2018 Redakteurin von taz.gazete. Seit 2018 Nachrichtenchef*in und CvD für taz.de im Regie-Ressort. Seit 2023 Leitung taz Podcasts.
Redakteurin
Jahrgang 1973, Chefin vom Dienst im Lokalteil der taz. Studierte Publizistik und Turkologie an der FU Berlin.
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7 Kommentare

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  • Machen wir uns nichts vor: Deutsche Regierungen haben auch früher schon mit türkischen Geheimdiensten kooperiert - wenn es gegen die PKK oder Linke ging. Deutsche Panzer wurden auch unter SPD-Kanzlern an die Türkei geliefert, obwohl sie dort auch zum Krieg gegen die Kurden eingesetzt wurden.

  • Komplizenschaft und ähnliches, Begrifflichkeiten die jede Seriosität der Regierung Erdogan absprechen sollen, führen zu keinem Ergebnis. Der Ton macht die Musik. Das sich unsere Beziehungen zur Türkei verschlechtert haben, tragen nicht nur Politiker auf beiden Seiten Verantwortung, sondern auch die Berichterstattung, die nach m. Meinung nach, unausgewogen und zum Teil polemisch erfolgt.

     

    Deutschland als Nato-Mitglied ist gegenüber anderen Nato-Mitgliedern zur Lieferung von Waffen verpflichtet. So sieht es der Staatsvertrag Nordatlantikvertrag vom 04. April 1949 in seiner aktuellen Fassung vor. Mich würde als Leser mehr interessieren, auf welcher Basis das vertragswidrige Verhalten unseres Landes begründet werden soll. Ich kann jedenfalls im Nordatlantikvertrag keinen Artikel erkennen, die von der Türkei geforderte Rüstungskooperationen zu verwehren.

     

    Das ist genauso wie mit den Rechtsradikalen in unserem Land, die den sofortigen Stopp der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen fordern. In Wirklichkeit müssten sie aber die Aufkündigung der Genfer Flüchtlingskonvention von der Bundesregierung fordern.

    • @Nico Frank:

      Na ja, die Präambel gäbe da schon was her, die Kooperatation auszusetzen und den Natorat bzgl Demokratiezustand in der Türkei anzurufen. Da ginge schon was. Ein Nato-Mitglied kann auch innenpolitisch nicht machen was es will

  • "Das darf nicht zur Komplizenschaft der Bundesregierung mit dem türkischen Regime führen."

     

    Macht´s aber schon lange... aber nicht aufgrund der Freilassung eines Journalisten, sondern aufgrund Flüchtlingsdeals- und Waffengeschäfte. Yücels Freilassung ist nur Rand am Plan. Der eine, die BR will sich innenpolitisch leise rechtfertigen, doch Waffen an die Türkei liefern zu können und der andere, Erdogan, gaukelt überflüssigerweise Diplomatie vor, trotz dass er einen Haufen Asse im Ärmel hat. Mal ganz ehrlich: Der Erdogan hat den IS mit groß gemacht, hat eskaliert, um sich an den Früchten daraus, der Flüchtlingsbewegung zu weiden und gleichzeitig brät er den Kurden dabei noch eins über. Und die BR respektive deutsche Rüstungsindustrie lässt sich die Waffenlieferung an die Kriegsparteien schmecken. Ich habe den Eindruck, die Bundesrepublik und die Türkei stehen sich darin näher, als man nach öffentlicher Darstellung vermuten möchte.

  • Das Hauptproblem der Bundesregierung in diesem Zusammenhang dürfte die Beweisführung sein.

    Falls es wirklich „Komplizenschaft“ mit Erdo gäbe, wäre es für investigative Journalisten ein Leichtes, dies herauszufinden und öffentlich zu machen. Aber wie lässt sich beweisen, dass es eine solche Komplizenschaft NICHT gibt?

    • @Pfanni:

      kl. Tipp - am Rande!

       

      Eine Nichttatsache läßt sich nicht beweisen - "ist das Beweises nicht zugänglich!" Woll.

  • "Vom Präsidialamt in Ankara verbreitetes Foto: Der türkischen Präsident grüßt seine Gefolgschaft Foto: dpa/Pool Presidential Press Service"

     

    Jau Erdi - von mir - auch vier!;((