: Frau im Widerstand
Seit einem Jahr ist Donald Trump Präsident der USA. Mit seiner Wahl wurden Millionen Menschen zu Aktivisten, die sich vorher kaum für Politik interessiert haben. So wie eine reiche Unternehmerin aus einer republikanischen Familie
Aus Hudson Dorothea Hahn
Wenn Pamela Kline anruft, werden in Columbia County viele Leute nervös. Sie bleibt so lange am Apparat, bis sie am Ziel ist. Freundlich im Ton und hartnäckig in der Sache. Sie schafft es, notorische Nichtwähler zur Briefwahl zu bewegen. Spenden von Geschäftsleuten zu besorgen. Und Couchpotatoes bei Eis und Schnee zum Demonstrieren auf die Straße zu bringen. „Wir nennen sie Bulldogge“, sagt ein junger Aktivist. „Bei Pam ist es schwer, Nein zu sagen“, meint eine junge Bewundererin. „Sie ist klug, scharfsinig und businesserfahren“, schwärmt die langjährige Chefin der örtlichen Demokratischen Partei. „Ich bin im Widerstand“, sagt die 70-jährige Pamela Kline über sich selbst. „Ich hatte gar keine andere Wahl.“
An diesem Samstag, an dem sich Donald Trumps Amtsantritt zum ersten Mal jährt, wird sie sich ein rosafarbenes Band um den linken Oberarm wickeln und zu der Demonstration in Hudson gehen. Dort wird sie die Chefin der 26 Ordner sein. Sie wird den Kontakt zu dem örtlichen Polizeichef halten, dafür sorgen, dass niemand trödelt und dass es keine Angriffe von wütenden Trump-Anhängern aus den Seitenstraßen gibt. „Mein Mutter-Instinkt“, sagt sie, „ich will, dass alle in Sicherheit sind.“ In den letzten Wochen war sie verantwortlich für die Organisation dieser Demonstration, die zeitgleich mit Hunderten anderen Anti-Trump-Demonstrationen quer durch die USA stattfindet.
Pamela Kline hat Hunderte von Gesprächen geführt. Noch vor zwei Tagen hat sie auf einer Webseite für New Yorker, die ein Wochenendhaus in Columbia County besitzen, gefragt: „Werdet ihr mit uns demonstrieren?“
Sie will die Teilnehmerzahlen vom letzten Januar toppen. Damals kamen 3.500 Leute auf die Straße des 6.000-Einwohner-Städtchens Hudson. „Es wäre schön, wenn wir dieses Mal 4.000 Menschen sind“, sagt sie.
Vor einem Jahr standen die Demonstranten noch unter dem Schock, dass es „so einer“ überhaupt ins Weiße Haus geschafft hatte. Inzwischen sind Dutzende von neuen „Widerstandsgruppen“ in dem ländlichen County entstanden und Tausende Menschen zu politischen Aktivisten geworden. Sie organisieren „Pop-up“-Proteste in Handelskammern. Sie trommeln vor dem Büro und dem Privathaus des republikanischen Abgeordneten John Faso, der zwar kritische Distanz versprochen hat, aber tatsächlich wie ein Soldat für Trumps Vorhaben stimmt. Und sie halten „Giving Tuesdays“ ab – wohltätige Dienstage – die Gruppen zugutekommen, die unter Trumps Politik leiden: von Familienplanungszentren bis hin zu jungen Immigranten, die abgeschoben werden sollen. Über diese Graswurzelmobilisierung hat sich die Debatte radikalisiert. Selbst Mainstream-Demokraten verteidigen heute Dinge, die der unterlegenen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton noch als Spinnerei erschienen. Sie verlangen eine staatliche Gesundheitsversorgung für alle und die Abschaffung von Universitätsgebühren. Pamela Kline ist dabei.
Ihr Mann? Ein Republikaner
Dabei war sie eigentlich von politischem Aktivismus denkbar weit entfernt – vor allem vom linken. Sie stammt aus einer republikanischen Familie. Sie hat in einem Feld Karriere gemacht, in dem fast alle Republikaner sind: Sie war Geschäftsfrau. Sie fing als Kunst- und Antiquitätenhändlerin an. Dann stieg sie in das Geschäft mit Bettwäsche und anderen Stoffen ein. Sie gründete ein Unternehmen und handelte mit eigenen – selbst entworfenen und in Hudson produzierten – und fremden Luxuskollektionen.
Aber anders als ihr Mann, der in der Öl- und Gasbranche arbeitete und sich als Republikaner registrierte, weil er „sonst seine Kunden verloren hätte“, trat sie schon damals offen als demokratische Wählerin auf. „Ich habe viel außerhalb des Countys und des Landes verkauft“, sagt sie. Bei Wahlen stimmte sie für Barack Obama und für Hillary Clinton. Sie spendete für wohltätige Zwecke – für Obdachlose, für misshandelte Frauen, für den Tierschutz. Aber eine Aktivistin war sie nicht.
Ihre Jahrzehnte als Unternehmerin betrachtet Pamela Kline als die beste Zeit ihres Lebens. Weil es eine kreative Arbeit war, bei der sie durch die Welt reisen konnte und weil sie wenig Stress hatte. Doch nach dem Tod ihres Mannes verlor sie die Freude daran. Sie übergab den Stoffhandel an ihre Schwiegertochter und stieg allmählich aus dem Geschäft aus. Sie war nun eine wohlhabende Rentnerin. Sie lebte im Wald, in ihrem modern ausgebauten Landhaus aus dem Jahr 1730, und sie hätte ihre Zeit „im Nagelsalon, in Florida und im Café“ verbringen können.
Aber das wollte sie nicht. Sie engagierte sich gegen die Hochspannungsleitung, die quer durch das County und unter anderem auch über ihr Waldgrundstück gelegt werden sollte. Sie gründete eine Bürgerinitiative gegen „das Monster“. Dann unterstützte sie einen jungen Farmer, der für das Abgeordnetenhaus kandidieren wollte. Seine Kampagne war für sie ein Crashkurs in Politik. Doch bei den Vorwahlen zogen die Demokraten dem Farmer eine Linke aus New York City vor, die letztlich in den Wahlen gegen den Republikaner John Faso verlor. Pamela Kline beschloss, ihren Ausflug in die Politik zu beenden.
Als Trump gewählt wurde, änderte sich alles. Pamela Kline hatte den Immobilienspekulanten für einen „Clown“ gehalten und war sicher gewesen, dass er keine Chance gegen Clinton hätte. Seine Wahl trieb sie, wie Millionen andere US-Amerikaner, in den Aktivismus.
Sie tat, was sie am besten kann: organisieren. Überzeugen. Geld beschaffen. Sie stieg in der Demokratischen Partei schnell in den lokalen Gremien auf, die den politischen Nachwuchs rekrutieren. „Alles ist lokal“, sagt sie. „Wenn wir an der Basis die richtigen Leute finden und das Richtige tun, können wir das bis zur Spitze durchsetzen.“ Sie selbst will kein Wahlamt haben. Und sie sagt, dass sie Politik eigentlich gar nicht mag, weil sie ihr zu konfrontativ sei und tatsächlich so schmutzig, wie sie zuvor nur vermutet hat. Aber sie will, dass in den kleinen Dörfern in Columbia County, wo es manchmal seit Jahrzehnten nur republikanische Anwärter für Wahlämter gab, künftig auch Demokraten antreten.
Das ehrenamtliche Engagement von Pamela Kline uferte schnell aus und erreichte alle Bereiche ihres Lebens. Sie spürte, dass die permanente Diskussion sie fit und informiert hielt. Aber sie musste auch Grenzen setzen, um noch Zeit für ihre vier Enkel zu haben.
Sie entschied, abends nach acht nicht mehr ans Telefon zu gehen, damit ihr kein Gespräch über Trumps jüngsten Tweet oder seine neueste Kriegsdrohung den Schlaf raubt. Sie verlor alte Freunde, die es nicht ertragen konnten, dass sie Trump kritisiert. Unbekannte entfernten die „Black Lives Matter“-Schilder aus ihrem Garten. Und sie gab irgendwann den Versuch auf, überhaupt noch mit Trump-Anhängern zu diskutieren. „Sie rechtfertigen alles, was Trump tut“, sagt sie. Jetzt fragt sie ihre Gegenüber allenfalls noch, was Trump für sie getan habe – worauf sie meistens keine Antwort bekommt.
Doch auch die Demokratische Partei sieht Kline heute kritischer. „Die Demokraten waren zu selbstgefällig“, sagt sie rückblickend. „Sie haben die einfachen Menschen im Stich gelassen. Das muss sich ändern.“
Wenn die Demonstration und ihr Ordnerdienst geschafft ist, wird Pamela Kline sich auf den Wahlkampf konzentrieren. Die Halbzeitwahlen im November rücken näher. Sie sind die erste Gelegenheit, die republikanischen Mehrheiten im Kongress zu kippen.
So viele wütende Frauen
Pamela Kline hofft, dass eine blaue Welle über das Repräsentantenhaus schwappt – die Farbe der Demokraten. Aber bis es so weit ist, stehen in Columbia County und Hunderten von anderen Wahlkreisen noch harte Flügelkämpfe an.
Denn aus der hochmotivierten Basis drängen nun mehr Kandidaten als je zuvor in öffentliche Ämter. Allein im Kongresswahlkreis 19, in dem sich Columbia County befindet, bewerben sich gegenwärtig sechs Männer um die demokratische Kandidatur.
In den zurückliegenden zwölf Monaten hat Pamela Kline jede Menge Frauen kennengelernt, die sich engagieren. Die Demonstration an diesem Samstag heißt offiziell auch „Women’s March“, obwohl Männer willkommen sind. Kline hatte gehofft, dass auch eine Frau für das Repräsentantenhaus kandidieren würde. Doch daraus ist nichts geworden. „Frauen sind viel zurückhaltender“, stellt sie fest. „Leider.“
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