CDU-Politikerin über Abtreibungsparagraf: „Das trägt zur Verharmlosung bei“
Ärzt*innen sollen nicht sachlich darüber informieren dürfen, dass sie Abtreibungen durchführen, findet die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion.
taz: Frau Winkelmeier-Becker, im November wurde die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt, weil sie auf ihrer Webseite darüber informiert, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Sollte man dafür bestraft werden?
Elisabeth Winkelmeier-Becker: Frau Hänel hat ja angekündigt, Rechtsmittel einzulegen. Es ist unüblich, sich zu laufenden Verfahren zu äußern. So halte ich es auch in diesem Fall, zumal mir die Urteilsbegründung nicht vorliegt. Das Gericht zumindest sah den Straftatbestand nach § 219a Strafgesetzbuch – das Verbot der Werbung für den Abbruch von Schwangerschaft – für erfüllt und die Sanktion als angemessen an.
Halten Sie ein Strafmaß von 40 Tagessätzen für eine solche Information auf einer Webseite für angemessen?
Das Strafmaß bewegt sich am unteren Rand strafrechtlicher Sanktionen. Ich finde aber befremdlich, wie die Republik nach einem erstinstanzlichen Urteil diskutiert. Es ist nicht gesagt, dass das Urteil so bestehen bleibt.
55, ist rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion. Sie ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags.
Aber finden Sie es an sich richtig, dass ein*e Ärzt*in bestraft wird, wenn sie oder er im Netz darüber informiert, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen?
Ich sehe aktuell keinen Handlungsbedarf beim Gesetzgeber. Die bestehenden Normen zum Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch sind eine ausgewogene Regelung, die den Schutz des ungeborenen Kindes in den Mittelpunkt stellt und zugleich die Selbstbestimmung der Mutter wahrt. Gleichzeitig wird sie dazu ermutigt, sich für das Kind zu entscheiden. Dafür ist es wichtig, dass die Frauen in einer Beratungsstelle umfänglich informiert werden, und zwar bevor sie zu einem Arzt gehen. In diesem Kontext muss man den § 219a sehen. Ohne ihn könnte die Beratung konterkariert werden.
Inwiefern?
§ 219a StGB ist Teil des Schutzkonzeptes, zu dem das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet hat. Dieser setzt dabei auf ermutigende Beratung und Hilfe statt Strafe. Zugleich ist der Staat verpflichtet, das Bewusstsein dafür aufrecht zu erhalten, dass ein Schwangerschaftsabbruch die Tötung eines ungeborenen Kindes ist. Daran hapert es in unserer Gesellschaft ohnehin. Stünde der Schwangerschaftsabbruch als Leistung einfach so auf der Webseite eines Arztes oder einer Ärztin, sähe es aus wie eine normale medizinische Heilbehandlung. Da hat diese vergleichsweise kleine Einschränkung der ärztlichen Berufsfreiheit schon einen Sinn.
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Es käme doch ohnehin keiner auf den Gedanken, dass Schwangerschaftsabbrüche eine normale Behandlung sind? Abtreibungen sind verboten und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Eine Frau muss nach der Beratung eine Bedenkfrist von drei Tagen verstreichen lassen, bevor sie den Abbruch durchführen lassen kann. Außerdem darf dieser nur in den ersten 12 Wochen nach Empfängnis passieren.
Wenn eine Frau zuerst auf der Webseite der durchführenden Ärztin landet und zuerst mit ihr spricht, könnte das ihre Entscheidung für den Abbruch festigen. Mit dieser Entscheidung geht sie dann in die Beratung. Für mich trägt auch das zur Verharmlosung von Schwangerschaftsabbrüchen bei.
Sie meinen also, die Ärztinnen und Ärzte ermutigen die Frau, sich für den Abbruch zu entscheiden?
Der Paragraf 219a Strafgesetzbuch verbietet das „Werben für den Abbruch der Schwangerschaft“. Darunter fällt auch, wenn Ärzt*innen öffentlich verkünden, Abtreibungen durchzuführen – etwa auf ihren Webseiten. Im November wurde die Gießener Ärztin Kristina Hänel deswegen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Sie will notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht gehen.
Im Bundesrat gibt es eine Initiative von vier Ländern, um den Paragrafen zu streichen.
Im Bundestag fordern die Fraktionen von Linken, Grünen und SPD sowie Teile der FDP eine Abschaffung des Paragrafen, die Union lehnt das ab. Unklar ist, wie sich die SPD im Fall von Koalitionsgesprächen mit der Union verhalten wird. Am Mittwoch kommen Vertreter*innen von SPD, Grünen, Linken, FDP und möglicherweise der Union zu einem interfraktionellen Treffen zusammen, um über das Thema zu diskutieren. (dir)
Ich will den Ärztinnen und Ärzten allgemein gar nichts unterstellen. Aber die Beratung steht nun einmal ganz bewusst am Anfang und darf aus gutem Grund nicht von denen gemacht werden, die auch die Abbrüche durchführen. Diese Reihenfolge macht Sinn. In der Beratung wird ja auch darauf eingegangen, welche Wege und vor allem, welche Hilfe es geben könnte mit dem Kind zu leben. Außerdem kann hier über die Möglichkeit einer Adoption gesprochen werden.
Sie finden es also richtig, dass der § 219a nicht nur reißerische Werbung, sondern auch sachliche Information verbietet?
Nicht nur das Anpreisen trägt zur Verharmlosung bei, sondern auch die sachliche Information als Angebot auf der Homepage eines Arztes. Den Frauen steht jede Information offen, die sie brauchen oder wünschen, es wird niemandem etwas vorenthalten – auch nicht im Internet, wie häufig behauptet wird. Die Adressen der durchführenden Ärzte erhalten die Frauen von den Beratungsstellen und haben dann freie Arztwahl.
Die Ärzt*innen sehen sich in die „Schmuddelecke“ gestellt und werden von Abtreibungsgegner*innen beschimpft, drangsaliert und angezeigt. Auf deren Webseiten wird Hänel beispielsweise als „Tötungsspezialistin für ungeborene Kinder“ bezeichnet.
Ich werde diese Kampagnen bestimmt nicht verteidigen. Ich finde nicht gut und vor allem nicht zielführend, was die radikalen Lebensschützer da machen. Aber wir haben auch etwa 100.000 Abtreibungen im Jahr; in der Relation finde ich den Aspekt des Lebensschutzes wichtiger. Es geht mir nicht darum, einen Arzt irgendwelchen überflüssigen Gerichtsverfahren auszusetzen oder Druck auf ihn auszuüben. Das ist auch nicht der Zweck des Werbeverbots. Wenn eine Abtreibung nach der Beratung keine Straftat ist, dann muss es natürlich auch Ärzte geben, die diese durchführen. Aber Abtreibungen stellen ein gewisses Unrecht dar. Wir machen uns anscheinend inzwischen mehr Sorgen um die Ärzte als um ungeborene Kinder.
Dann halten Sie auch nichts vom Vorschlag der Strafrechtsprofessoren vom Kriminalpolitischen Kreis, sachliche Information zu entkriminalisieren und unangemessene Werbung als Ordnungswidrigkeit zu bestrafen? Das Strafrecht ist ja eigentlich Ultima Ratio.
An dem beschriebenen Problem der Verharmlosung würde das nichts ändern. Zudem geht es beim ungeborenen Leben um ein Rechtsgut mit Verfassungsrang. Für das ungeborene Kind geht es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod. Es geht um das gesamte Paket an Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch, und die stehen aus gutem Grund im Strafgesetzbuch. In der Lehre kann man einen solchen Vorschlag ja machen. In der Politik muss man aber auch die politischen Folgen berücksichtigen.
Und die wären?
Diese Diskussion wird vor allem von zwei Lagern erbittert geführt: den radikalen Abtreibungsgegnern, die der Sache nicht wirklich dienen, und denen, die am liebsten auch gleich den §218 mit abschaffen wollen. Beide Seiten arbeiten zum Teil mit Reflexen und Scheinargumenten, die am Kern der Sache völlig vorbei gehen.
Sie fürchten also eine Diskussion um das große Ganze?
Wir haben es hier mit einem austarierten Regelwerk zu tun, das ineinander greift und dem Schutz des ungeborenen Kindes, aber auch dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter gerecht wird. Eine gesetzliche Änderung würde als Parteinahme zugunsten derer verstanden, die hier bloß von „Schwangerschaftsgewebe“ sprechen. Um die bestehende Norm anzutasten braucht es schon größere Unwuchten oder Ungerechtigkeiten als das, was hier zur Rede steht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers