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Der Numerus clausus muss wegAuslese der Besten? Selten so gelacht

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Die Bildungsungerechtigkeit in Deutschland ist sehr hoch. Das fängt in den Schulen an – und zieht sich dank NC bis in die Universitäten.

Nur die Besten der Besten? Nicht nur die Abitur-Note sollte für die Auswahl zählen Foto: dpa

D eutschland ist das Land der Bildungsungerechtigkeit. Wer aus einer Arbeiterfamilie stammt, schafft es kaum aufs Gymnasium, schafft es kaum an die Uni, schafft es kaum in einen tollen Job. Ähnliches gilt für Kinder mit Migrationshintergrund. Schlimm genug, doch damit hört die Ungleichheit bei den Bildungschancen längst nicht auf – an den Unis kommen neue Ungerechtigkeiten hinzu.

Dafür sorgt der Numerus clausus, der nur Schulabgänger mit Bestnoten zum Studium zulässt. Und damit einen Großteil faktisch ausschließt – trotz des Versprechens im Grundgesetz auf freie Berufswahl und Gleichbehandlung. Nirgendwo kann man das besser beobachten als bei den Medizinern. Bei keinem Studium ist die Zulassung ungerechter, in keinem Beruf bleiben weiße Akademikerkinder so unter sich wie bei Ärzten und Apothekern.

Kommende Woche entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die derzeitige Bestenauslese beim Medizinstudium und anderen beliebten Fächern wie Jura oder Psychologie. Und die verstößt ganz offensichtlich gegen das Grundgesetz. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen forderte die Richter in Karlsruhe bereits zweimal auf, endlich für Klarheit zu sorgen.

Seit Jahrzehnten klagen junge Leute, die gern Urologen, Kardiologen oder Hausärzte werden wollten, gegen die exorbitanten Zulassungshürden. Lange stach bei Juristen aber folgendes Argument: Solange es für alle Bewerber die Möglichkeit gibt, irgendwann über die Wartezeitregelung einen Studienplatz zu bekommen, ist auch eine Zulassungsbeschränkung gesetzeskonform.

Mittlerweile beträgt die Wartezeit für das Medizinstudium aber wahnwitzige 14 Semester. Stell dir vor: Du bewirbst dich im Juni für Humanmedizin in Marburg und bekommst eine Zusage für das Wintersemester 2024/25. Eben mal sieben Jahre überbrücken! Dann sechs Jahre Studium plus sechs Jahre Facharzt. Macht summasummarum 19 Jahre Ausbildung; erstes Arztgehalt mit 37. Das muss man sich erst mal leisten können.

Keine Chance ohne Top-Abi

Unter solchen Bedingungen ist die Wartezeitregelung eine verklausulierte Absage, das Recht auf die freie Berufswahl ein leeres Versprechen. So sollten die Verfassungsrichter argumentieren. Alles andere verweigert die Realität. Und die ist bitter für alle, die Medizin studieren möchten: Ohne Top-Abi hat man keine Chance. In 14 Bundesländern braucht man sogar eine 1.0, um einen der bundesweit 9.176 Medizinstudienplätze sicher zu haben. Das ist ungerecht, weil ein Teil der Bewerber nur deshalb ausgesiebt wird, weil er oder sie etwa in Sport oder Kunst unbegabt ist.

Eine gute Gynäkologin macht aber nicht aus, dass sie in der Schulzeit überall nach Bestleistungen strebte. Zwar dürfen die Unis einen Großteil ihrer Medizinstudenten (60 Prozent) selbst auswählen und dabei auch andere Kriterien wie soziale Kompetenzen oder praktische Erfahrungen berücksichtigen. Jede Hochschule hat da ihr eigenes Modell. Aber: Die Abi-Note ist bei der Auswahl der Bewerber das Hauptkriterium – und soll es auch bleiben. Darauf haben sich Bund und Länder erst diesen Frühling wieder verständigt.

Was aber noch stärker gegen den Numerus clausus – oder kurz NC – als Auswahlmethode spricht, sind die unterschiedlichen Abiturstandards in Deutschland. Allen ist klar, dass ein 1,0 in Thüringen nicht dem Leistungsstand eines 1,0 in Bayern entspricht. Oder anders formuliert: Wer in Erfurt zur Schule geht, hat bessere Chancen auf einen Einserschnitt als in München, Hamburg oder Berlin. Dieser Umstand findet aber bei der Studienplatzvergabe keine Berücksichtigung.

Bisher haben die Bundesländer wenig Tatendrang an den Tag gelegt, ihre Hoheit aufzugeben und Abiturleistungen ernsthaft vergleichbar zu machen. Zugleich bleibt der NC das alles entscheidende Kriterium für die Studienplatzvergabe. Und das verzerrt nicht nur den Wettbewerb bei Medizinern: 42 Prozent der Studiengänge in Deutschland unterliegen einer Zulassungsbeschränkung.

Das Bundesverfassungsgericht muss den Numerus clausus also endlich als verfassungswidrig einstufen und der Politik auftragen, eine neue Regelung zu finden. Und dafür gibt es nur zwei sinnvolle Lösungen: die Studienplätze massiv ausbauen – oder an allen Unis einheitliche Aufnahmeprüfungen einführen.

Die Alternative: Verbindlicher Studierfähigkeitstest

Ersteres wäre charmant, weil es den Hausärztemangel auf dem Land beheben könnte, den künftig die Landarztquote lindern soll – 10 Prozent ihrer Studienplätze dürfen die Unis dafür reservieren. Das Problem ist aber: Es gibt für das Medizinstudium derzeit rund fünfmal so viele Bewerber wie Plätze. Selbst bei einer Verdopplung der Kapazitäten käme weiterhin nur die Hälfte zum Zuge.

Um das Auswahlverfahren gerecht zu gestalten, brauchen die Unis ein gänzlich neues Modell – eines ohne NC und Abiturnoten. Am besten einen verbindlichen Studierfähigkeitstest, der an allen Unis gilt. Er würde besser darüber Aufschluss geben, wer für das Medizinstudium geeignet ist, als eine wenig aussagekräftige Abiturnote. Und die Umstellung wäre leicht zu schaffen: Den Medizinertest gibt es schon, an 23 deutschen Unis kann man den Test für Medizinische Studiengänge (TMS) freiwillig machen.

Die Entscheidung würde politischen Mut erfordern, denn eine verbindliche Eignungsprüfung an den Unis würde das Abitur als zentralen Leistungsmaßstab entwerten und den Bildungsföderalismus infrage stellen. Ein Mut, der sich lohnen würde. Die Vergabe der Studienplätze würde gerechter. Die Schulen würden profitieren, wenn das rigide Wettbewerbs- und Leistungsdenken minimiert würde. Und nicht zuletzt käme dieser Mut jenen zugute, die unser jetziges Bildungssystem schon früh als Verlierer abstempelt.

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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35 Kommentare

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  • Arbeiterkinder gibt es kaum noch, wennschon dennschon: Hart 4 - Kinder.

  • "....Ähnliches gilt für Kinder mit Migrationshintergrund."

     

    Wofür ja weder Deutschland noch die deutschen Bildungseinrichtungen etwas können, sondern eher das Elternhaus mit Migrationshintergrund. Im Übrigen halte ich es für eine Mär, dass Kinder aus Arbeiterfamilien auf der Strecke bleiben und nicht aufs Gymnasium kommen oder studieren können. Und wenn es mehr Bewerber als Studienplätze gibt, nach welchen Kriterien soll eine Vergabe der Studienplätze erfolgen. Es muss also ein Auswahl- oder Losverfahren geben.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Nicky Arnstein:

      Das Losverfahren wurde in Frankreich gerade abgeschafft, weil es schreiende Ungerechtigkeiten hervorgerufen hat.

      Dass Elternhäuser mit Migrationshintergrund Schuld am Scheitern ihrer Sprösslinge sind, ist reiner Sozialdarwinismus und verneint den Bildungsauftrag öffentlicher Schulen. Im gleichen Atemzug behaupten Sie, dass es eine Mär sei, dass Arbeiterkinder auf der Strecke bleiben. Natürlich gibt es Arbeiterkinder, die studieren, aber im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil immer noch zu wenige. Die Mehrheit, der Akademikerkinder studiert, die Mehrheit der Arbeiterkinder studiert nicht, vor allem die mit Migrationshintergrund. Das habe ich weiter unten als inzestuöse Fortpflanzung der Eliten bezeichnet. Was Sie also als Ursache angeben, Familien mit Migrationshintergrund tun nichts oder wenig, damit ihre Kinder studieren, ist die Konsequenz einer Bildungspolitik, die es den Familien überlässt, was die Gesellschaft, Schule leisten muss. Aber das ist natürlich billiger. Es ist billiger, wenn die Familien Theater-und Konzertbesuche oder sonstige kulturellen Veranstaltungen bezahlen, oder private Nachhilfe, antstatt Förderkurse am Nachmittag usw...

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @82236 (Profil gelöscht):

        Können Sie mir erklären, wie es sein kann, dass 1980 noch ca. 20% eines Jahrgangs Abitur machten und heute ca. 50% und das dies nicht bedeutet, dass ein großer Teil der Kinder aus nichtakademischen Elternhäusern einen zum Studium berechtigten Bildungsabschluss hat. Oder sind die Eltern der heutigen Abiturienten alle Akademiker?

        • @849 (Profil gelöscht):

          Selbst wenn 100% der heutigen Kids Abitur machen, aus allen Schichten. Ist das so schlimm? Es muss danach nicht jeder Studieren, aber es ist wichtig dass jeder politisch/gesellschaftlich Aufgeklärt ist! Und Entschuldigung, aber mein damaliger Realschulabschluss war diesbezüglich für die Tonne: Erst auf dem Gymnasium gab es mal vernünftigen Geschichtsunterricht und in Deutsch einen Analysewerkzeugkasten der es mit den Grundsatzprogrammen unserer Parteien aufnehmen kann.... Also Abi für alle! Die "Elite" kann man ja immernoch an der Uni heraussieben.

        • 8G
          82236 (Profil gelöscht)
          @849 (Profil gelöscht):

          Die Mehrheit ja, in Deutschland gibt es 52% Studenten aus Akadamikerfamilien und 48% Studenten aus Nichtakademikerfamilien. Wenn man also 50% Abiturienten eines Jahrgangs zu Buche schlägt, studiieren knapp ein Viertel der Kinder aus Nichtakademikerfamilien, womit Sie also immer noch unterrepräsentiert sind. Vorausgesetzt, dass alle Arbeiterkinder mit Abitur auch studieren. Eine andere Frage ist, welche Studienabschlüsse Arbeiterkinder haben und wie viele von ihnen das Studium vorzeitig abbrechen. Also, wie viele Abeiterkinder ihren Master oder Doktor machen und in den Chefetagen sitzen.

          • 8G
            849 (Profil gelöscht)
            @82236 (Profil gelöscht):

            Danke!

  • Abi gleich ausfallen lassen und sofort mit Studierfähigkeitstests anfangen. Spart Zeit und Stress.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    In Frankreich wird der NC bei Medizin durch eine landesweite mörderische Auswahlprüfung ( concours) organisiert. Das sieht so aus, dass von z.B. 1000 Bewerbern die 200 besten genommen werden. Die Standards sind in ganz Frankreich die selben. Dieses System gibt es auch für die Aufnahme an den Elitehochschulen. Die staatlichen Universitäten organisieren sogenannte Vorbereitungsjahre, ein Jahr für Medizin, zwei Jahre für die Elitehochschulen( integriert in den Lycées). Bei Medizin gibt es leider Ungerectigkeiten, denn neben der kostenlosen Uni gibt es Privatakademien, die es zahlungskräftigen Familien erlauben, eine zusätzliche, vertiefende Vorbereitung zu machen. Bei den Vorbereitungsklassen auf die Elitehochschulen ist das untersagt.

    Theoretisch ist diese für alle gleiche und verbindliche Auswahlprüfung die gerechteste Lösung, weil hier wirklich nur die Leistung zählt. In der Praxis ist der, der Geld hat bei Medizîn im Vorteil und der der das Insiderwissen hat, in welchem Lycée es die besten Vorbereitungsklassen gibt, hat natürlich auch einen Vorteil gegenüber den Familien, die aufgrund ihrer sozialen Situation und ihrem Bildungsniveau manchmal schlicht und einfach die Existenz dieser Vorbereitungsklassen ignorieren.

    Jedes Land hat also seine Methode, damit die herrschende Klasse unter sich bleibt und sich inzestuös weiterfortpflanzt.

  • Bis Anfang der 90er Jahre gab es noch einen Mediziner-Test. Dieser hat aus Spesen nix gebracht und wurde zu Recht abgeschafft. Die persönliche Form an 2 Tagen des Testes kann ja auch nicht über die Ergebnisse eines 12 oder 13jährigen Bildung gestellt werden.

     

    Warum bildungsferne, gehandicapte oder migrierte Menschen nun statt dessen Ärzte werden sollen, verstehe ich nicht.

     

    Was, außer dem Leistungsprinzip, soll die Auswahl bringen? Die Argumentation, dass "gute Ärzte" ja nicht unbedingt ein 1,0 Abi brauchen, sondern ganz andere Fähigkeiten, ist sehr gefährlich! Im Medizinstudium scheitern regelmäßig Studenten an den verschiedenen fachlichen Hürden (Physikum usw.). Auch diese könnten sich in Zukunft darauf berufen, dass sie ja nicht unbedingt Biochemie im ärztlichen Alltag brauchen - was übrigens stimmt - sondern sie ja so viele Softskills besitzen ...

     

    Es kommen schon so genügend weniger Geeignete durch die Zulassung und das Studium. Lasst es nicht noch mehr werden ....

  • Soweit ich weiß, gibt es eine gute Korrelation zwischen Abinote und Studienerfolg. Wenn jemand ein 1,0-Abitur geschrieben hat, so ist er normalerweise fleißig, strukturiert, hat ein gutes Gedächtnis und kann zumindest einigermaßen logische Zusammenhänge verstehen – und das über einen längeren Zeitraum. Natürlich gibt es von Bundesland zu Bundesland, von Schule zu Schule und natürlich abhängig von der Fächerwahl in der Oberstufe Unterschiede in der Bewertung. Ich wüsste aber keinen Test, der die Abiturnote bezüglich Validität und Reliabilität übertrifft – ein solcher Test dauert nur wenige Tage, sodass der Zufall ein viel größeres Gewicht bekommt. Auch die sogenannten soft skills, die häufig ins Feld geführt werden, lassen sich kaum objektiv messen.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @flipmar:

      Ich war auf einem Jungen-Gymnasium. Der Abi-Durchschnitt der Absolventen meines Jahrgangs kann da kaum als Indikator späteren Erfolgs herhalten. Nicht dass alle Einserkandidaten später erfolglos waren, nein: aber sehr viele mittelmäßige und schlechte Schüler sind heute erfolgreich, teils sehr erfolgreich.

      • @849 (Profil gelöscht):

        Mein Opa hat noch bis zum Tod gesoffen und geraucht und ist 99 geworden!

        • 8G
          849 (Profil gelöscht)
          @Rudolf Fissner:

          Und was hatte der für einen Abi-Schnitt?

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Ich meine mich zu erinnern, dass die Standesorganisation der Ärzte früher immer dafür gesorgt haben, dass nicht zu viele auf Arzt studieren konnten. Das würde ja den Stand beschädigen. Heute jammern sie, dass es zu wenige sind...?

     

    Dass man in Thüringen leichter sein Abi macht als - ausgerechnet - in Hamburg oder Berlin, kann doch nicht des Autoren Ernst sein (höchstens seine Erna).

     

    Ebenso kann ich das Lamento nicht mehr hören, dass die "bildungsfernen Schichten" ihre Kinder nicht auf die Gymnasien bringen oder zum Studium. Das ist keine Leistungsgesellschaft hier, sondern eine Standesgesellschaft, die so tut, als könne man durch Leistung wirklich aufsteigen.

     

    Allenfalls winkt irgendein mittelmäßig dotierter Job. Um voran zu kommen, braucht man Seilschaften, wird man etwa Stipendiat in einer der politischen Stiftungen oder Burschenschaftler oder hat qua Elternhaus Vitamin B.

     

    Die Schule heutiger Prägung steht dem nicht im Wege: Indem sie ein Abiturproletariat erzeugt, erhöht sie die Ansprüche der Abgänger und mittelbar auch die Frustrationen, dass es nichts wird mit dem vielen Geld, um dessen Willen man sich doch in Wahrheit "bildet" (also: "ausbilden lässt").

     

    Das wiederum ist letztlich für eine Politik prima, der daran gelegen ist, die Freiheit der Bürger zu beschneiden, um sie der Wirtschaft zu schenken, damit diese auch morgen noch kraftvoll zubeißen kann.

     

    Fragt sich nur, mit welchen menschlichen Ersatzteilen, aka "Human Resources", sie das in Zukunft anstellen will.

  • "Allen ist klar, dass ein 1,0 in Thüringen nicht dem Leistungsstand eines 1,0 in Bayern entspricht. "

     

    Ach ja, mir nicht. Vll könnten Sie, Herr Pauli, das noch begründen.

    • @lions:

      hey, dafür haben die da drüben gute Unis... das gleicht die Fakeabinoten dann wieder aus. Kenne keinen der nicht die gute Bildung unserer Ossis schätzt. Noch immer.

  • Naja, die Begründung zur Aussage, dass es in Thüringen einfacher ist gute Noten zu erhalten als in anderen Bundesländern ist leider ein wenig platt. Die Ungleichheit des Werts einer "eins" in verschiedenen Bundesländern ist natürlich eine Tatsache, aber die Gründe sind vielfältig. Natürlich sind die Schwierigkeitsgrade unterschiedlich, aber hier gerade das thüringer Abitur als "einfach" herauszuheben widerspricht diversen Studien zur Qualität der Schulausbildung in den Bundesländern. Die vom Autor gemachte Aufzählung hat einen unangenehmen "im Osten hat man's leichter" Einschlag. Obwohl gerade in Thüringen und Sachsen die Schulbildung durch mehr Investition in diese besser ist. Bei größeren Städten wie Berlin oder Hamburg liegt die schlechtere Chance auf eine Eins nicht daran, dass ihr Abitur so schwer wäre, sondern viel eher daran, dass das Schulsystem mit dem dortigen hohen Migrationsdruck nicht umgehen kann. Das es Kinder mit reichen, deutschen (wobei ich glaube es geht hier eher um reich als um deutsch) Eltern leichter haben, ist auch etwas, dass der Autor an anderer Stelle erwähnt (hier aber leider ohne Beispiel). Also vielleicht in Zukunft die Beispiele etwas sorgfältiger wählen.

  • Ich finde das immer witzig, wenn in der taz, die uns sonst erzählt, wie wichtig und wie toll die EU und die europäische Einigung ist, nach ausschließlich nationalen Lösungen gesucht wird.

     

    Ich wünsche mir ein EU-einheitliches Bildungssystem und dafür bräuchte diese EU mal wenigstens eine verbindliche Sprache.

  • Ich halte ja selbst das Auswahlverfahren für ungerecht und nicht sinnvoll angepasst an die Realität des späteren Berufsalltags, in dem es auf viele Dinge ankommt und da ist die Fähigkeit viel Wissen in kurzer Zeit auswendig zu lernen eher selten von großer Wichtigkeit.

     

    Dennoch ist die Frage, ob sich an der eigentlichen Problematik der freien Berufswahl etwas ändert. Es bleiben ja gleich viele Studienplätze, was dazu führt, dass jemand, der bei dem Studiumseignungstest nicht so gut abschneidet vor der gleichen Situation steht wie vorher.

     

    Aber ich habe ja selbst auch keine Lösung parat. Mal sehen, wie es ausgeht.

     

    Kai

    • @Kai Bente:

      @ Kai Bente

      Wenn Sie keine Lösung parat haben, dann schlage ich Ihnen folgende vor:

      Das Abitur wird überhaupt nicht mehr berücksichtigt. Die Universitäten machen ihre eigenen Zulassungsexamen. Jede Uni für sich. Die besten Universitäten hätten die meisten Bewerber, könnten sogar ihre Kapazitäten erhöhen. Ihre erfolgreichen Absolventen hätten die besten Aussichten für ihren zukünftigen Beruf. Die schlechtesten Universitäten sähen sich einem drohenden Druck auf ihre Kapazitäten gegenüber (Reduzierung der öffentlichen Fördermittel!) und wären gezwungen, ihre Strukturen zu verbessern.

  • Im Medizinstudium dient der NC als ein Mittel um die Zahl der zukünftigen Ärzte gering zu halten. Anscheinend ist die Angst groß es könnte zu viele Ärzte geben. Selbst angehende Mediziner denken so, lieber später 70 Stunden Schichten buckeln, aus Übermüdung herumpfuschen, die eigene Gesundheit ruinieren und Menschenleben riskieren. Was wäre denn so schlimm wenn es statt 4 Ärzten auf 1000 Einwohner, halt 7 oder 8 sind wie auf Kuba? Wer sein Recht auf einen Unfalltod wegen zu spät eingetroffener medizinischer Hilfe unbedingt erhalten will, kann ja nach Haiti gehen.

    • @Sandor Krasna:

      Die Ärzte und Sprechstundenhilfen in meiner Gegend jammern alle, dass es nicht genug Ärzte gibt. Die sind völlig überlastet und geben es auch zu.

       

      Das Medizinstudium ist nun mal anspruchsvoll. Wäre also blöd, wenn da jeder Trollo mit 3,0-er Abitur reinkäme, der schon in der Schule nicht in der Lage war, entsprechend zu lernen. Um dem Medizinermangel entgegenzuwirken, könnte man also einfach den NC etwas entschärfen. Je nach Menge der benötigten Ärzte auf 1,8 oder 2,0 absenken, fertig.

       

      Meine Vorredner haben nämlich recht: Vorbereitungsseminare etc würden ganz fix aus dem Boden springen bei gesonderten Eignungstests. Bringt also letztendlich alles nichts.

       

      Ein Bundesabi würde immerhin bundesweite Vergleichbarkeit schaffen.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Cededa Trpimirović:

        Abinoten als Ausdruck von Eignung und Befähigung? Dass ich nicht lache! Zur Befähigung, Lernstoff auswendig lernen zu können? Was würde daran eine bundesweite Vergleichbarkeit ändern?

  • Die Diskussion ist oberflächlich und scheinheilig. Die vom Autor gepriesenen Tesrverfahren sind genausowenig "gerecht wie die Abinote. Der TMS hat eine hohe Korelation zur Abinote, zumindest wenn das Abo in Minimum an Mathe und Naturwissenschaften enthalten hat. Die UniInterviees selektieren nur noch stärker einen bestimmten kulturellen Background als dies die Abinote tut; nicht umsonst können sich viele ärztliche Standesvertreter für Azswahlgespräche erwärmen, schliesslich können die eigenen Kinder nur davon profitieren...Und der Glaube, dass "der gute Arzt"/"die gute Ärztin vor allem psychologisch-pastorales Geschick benötigt, verlebt, dass die Medizin immer mehr naturwissenschaftliches Verständnis voraussetzt. Vor 25 Jahren wurden viele Medizinstudienplätze per Los vergeben. Ich kann nur inständig hoffen, dass dies nicht noch einmal als Lösung präsentiert wird.

  • Ich bin an meiner Schule der zweitbeste meines Jahrganges gewesen. Ganz "normales" Gymnasium. Ich habe mehr als zwei Jahrzehnte gebraucht, um mich halbwegs von den Deformationen dieses idiotischen Systems zu befreien.

    • @Hanno Homie:

      Und dann bleibt die Frage, wie Sie es wohl empfinden würden, wenn Sie über die ganze Zeit der zweitbeste des Jahrgangs waren und dann einer Ihrer 3,0-3,5 Klassenkameraden, den Studienplatz abluchst, weil er an dem EINEN TAG einer Studierfähigkeitsprüfung mal besser war als Sie?

       

      Da sieht man es. Über Jahre hinweg beständige und harte Arbeit, würde durch den Vorschlag des Autors entwertet werden.

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @EinfachIch:

        Ich glaube, sie haben den Hanno nicht richtig verstanden. Es ist doch gerade die harte und beständige Arbeit in der Schule, die Leute produziert, die sich dann selbst wieder von dem Mist befreien müssen. Ich hatte es da ein wenig besser als Hanno. Mir wurde nach der 10. gesagt, ich solle besser vom Gymnasium gehen, weil ich nicht studierfähig sei. Mich hat an meiner Schule aber auch nur der Spaß interessiert, den ich mit den anderen hatte. Gelernt habe ich zuhause, aber nichts, was ich in der Schule verwerten konnte oder wollte.

  • In Österreich gibt es seit drei Jahren die ZentralMatura ( Abitur ) Das erste Jahre würde zur Katastrophe, das zweite Jahr ging's schon koordinierter, im dritten Jahr waren alle zufrieden. Mit den Abläufen, der Sicherheit und der vergleichbaren Ergebnissen.

    Die Abiturienten drei Stufen der Bewertung: Bestanden, mit Erfolg bestanden, Mit ausgezeichnetem Erfolg bestanden ( in der Steiermark gibt's dazu einen maßgefertigten Trachtenhut).

     

    Daneben gibt es die Abschlusszeugnisse mit den Noten und dem NotenDurchschnitt.

  • Was habe ich aus meinem Studium Mitgenommen? unser Niveau war niedriger als früher - auch das der Vorstufen.

    Pädagogik wieder zurückfahren, dafür wieder Anspruch nach oben. Rechenschieber statt Tablett...

     

    Das ist das Problem: wäre das Niveau höher würden weniger die Studienreife erreichen, bräuchte man auch keinen NC der das künstlich nachbildet.

     

    Außerdem... 12 Jahre gelernt, Bestnoten, 1er Schnitt Abi, Studierfähigkeitstest verhauen --> aus der Traum? Kann es wohl auch nicht sein

  • Wenn es immer weniger Menschen in Deutschland gibt, die man als Arbeiter bezeichnen kann, ist die Entwicklung doch normal. 1970 waren fast 48% der Erwerbstätigen Arbeiter und Arbeiterinnen. Heute ist ihr Anteil auf 26% zurückgegangen. 57% der Erwerbstätigen sind heute Angestellte.

    Deshalb ist es unredlich Bildungsgerechtigkeit mit dem Arbeiterstatus zu verknüpfen.

    Aussagekräftiger wäre es nach Einkommensgruppen aufzuschlüsseln.

  • "Deutschland ist das Land der Bildungsungerechtigkeit. "

    Der Her Pauli war wohl noch nie in England, Frankreich, USA bzw wenn er da war, hat er sich nicht über das dortige Bildungssystem informiert. Sonst wüsste er nämlich dass das deutsche Bildungssystem zwar keine optimale, aber deutlich bessere Chanmcengleichheit bietet.

  • Lösung eins, keine Beschränkungen für die Wahl geht natürlich nicht, Landarzt hin oder her. Es scheitert schlicht an den Kosten und den Unvorhersagbarkeiten, da nicht in jedem Jahr 40000 Leute Mediziner werden wollen und auch soviele nicht benötigt werden.

    Lösung zwei, einheitliche Aufnahmetests. Ok. Wie beim Abi bleibt das Problem, dass die keine Aussage darüber machen, ob man/fra hinterher ein guter Arzt ist. Es gibt schlicht keine Tests, die eine Langezeitvorhersage machen.

     

    Auch für Aufnahmetests wie in Österreich muss (wie beim Abi) richtig gelernt werden. Da das die Bayern aufgrund ihres hohen Abiniveaus am Besten können, wird es eine Regionaldiskriminierung geben. So sie denn nördlich des Mains studieren möchten. Anderseits, wer weiss, ob man dann überhaupt noch fürs Abi lernt. Reicht ja, wenn man durchkommt. Da kann man die letzten zwei Schuljahre besser schon mal für die Aufnahmeprüfung lernen. Am besten mit Nachhilfe und Vorbereitungsseminaren. Also, quasi so eine Art Schule für die die es sich leisten können. Und wenn man dann durchfällt, was dann? Doch wieder Wartezeit?

    Es sind alles Krücken, aber die Abinoten als ein Prädiktor für die Studierfähigkeit einfach wegzuwerfen löst keine Probleme.

  • Einen zusätzlichen Test nach dem Erlangen der Allgemeinen Hochschulreife, für den schon heute kommerziell Lektüre und Kurse angeboten werden würde in meinen Augen die (soziale) Ungerechtigkeit eher verschärfen. Und ob es sinnvoll ist, die Karrierechancen von einem einzelnen Test abhängig zu machen weiß ich auch nicht, siehe SATs in den USA oder das Staatsexamen der Juristen. Der Einfluss des NC für auf die Studienplatzvergabe muss trotzdem sinken.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    "Die Alternative: Verbindlicher Studierfähigkeitstest"

     

    Diese Aufgabe hatte mal die Reifeprüfung Abitur. Das Absenken der Anforderungen an den Gymnasien war offensichtlich nicht der Königsweg zu "mehr Bildung".