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Debatte Fall Oury JallohWer wusste wann was?

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Rund um den Fall Oury Jalloh hat so ziemlich jeder geschwiegen. Ein Skandal, der Behörden und ihre Kontrollinstanzen betrifft.

Den Brandversuch vom August 2016 (hier im Bild) hätte man ohne Weiteres schon 2005 durchführen können Foto: dpa

D ie Liste der Dinge, die am Fall Oury Jalloh haarsträubend sind, ist lang. Am beunruhigendsten aber ist die Frage, wie viele Menschen in staatlichen Institutionen offensichtlich daran beteiligt waren, die Mordermittlungen zu verhindern.

Bei der Ingewahrsamnahme Jallohs in Stadtpark von Dessau, an jenem Morgen des 6. Januar 2005, waren genau zwei Beamte dabei.

In den folgenden Stunden eskalierte die Situation. Dann hatten schon mindestens ein halbes Dutzend ihrer Kollegen auf die eine oder andere Art mit dem Fall zu tun. Keiner weiß, was genau sie mitbekommen haben. Was man aber weiß: Einige von ihnen haben im ersten Verfahren vor Gericht ausgesagt und dort nach Meinung des Richters derart gelogen, dass er ihnen androhte, „einen nach dem anderen immer wieder vorzuladen, bis einer von Ihnen umfällt“ oder sie „ans Kreuz zu nageln“.

Es nützte nichts. Am Ende konnte der Richter niemandem etwas nachweisen. Er schloss seine Begründung für den Freispruch der angeklagten Polizisten mit den Worten: „Ich habe keinen Bock mehr, zu dieser Scheiße noch irgendwas zu sagen.“ Das war im Jahr 2008.

Gelöschte Protokolle und Erinnerungslücken

Nachdem das Feuer in Jallohs Zelle ausgebrochen war, wuchs die Zahl der Beamten, die mit dem Fall zu tun hatten, immer weiter: Ermittler des LKA untersuchten den Tatort. Beamte nahmen – wie vorgeschrieben – die Durchsuchung des Tatorts auf Video auf. Später waren diese Aufnahmen nicht mehr auffindbar. Es dürften Beamte gewesen sein, die erst nach Tagen das angebliche Tatwerkzeug – die verschmorten Reste eines Feuerzeugs – in die Zelle gelegt haben, denn bei der ersten Durchsuchung des fast völlig leeren Raumes wurde es nicht gefunden.

taz am wochenende

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Niemand kann einfach von außen in eine ausgebrannte und abgesperrte Zelle im Keller eines Polizeireviers marschieren. Und so ging es weiter: gelöschte Dienstprotokolle, Erinnerungslücken, Widersprüchlichkeiten.

Zwei Staatsanwaltschaften, Dessau und Halle, waren an den Ermittlungen beteiligt. Zwei Landgerichte, Dessau und Magdeburg, verhandelten in der Sache, dazu der Bundesgerichtshof. Das Justizministerium des Landes Sachsen-Anhalt hat sich die ganze Sache über zwölf Jahre lang angesehen, ebenso wie Abgeordnete, die die Justiz kontrollieren sollen. Und schließlich hat offenbar auch der Generalbundesanwalt in der Sache abgewiegelt.

Keiner kann sagen, wer was wann wusste. Doch es wäre jederzeit möglich gewesen, all die Ungereimtheiten zu benennen – und sei es in anonymen Hinweisen etwa gegenüber Aufsichtsbehörden, Abgeordneten oder Medien. Doch über all diese Jahre hat niemand von behördlicher Seite es für nötig gehalten, offen auszusprechen, dass es möglich, wenn nicht wahrscheinlich ist, dass Jalloh angezündet wurde. Die Gerichtsprozesse förderten dafür immer mehr Indizien zutage. Und trotzdem hielten sämtliche Behörden – wie auch ihre Kontroll­instanzen – stur an der Annahme fest, dass Jalloh sich selbst verbrannt habe.

Aufklärung verlangen

Das, was jetzt durchsickert, hätte die Staatsanwaltschaft Dessau schon Monate nach dem Brand wissen können. Und sie hätte es der Öffentlichkeit mitteilen müssen. Den Brandversuch vom August 2016 hätte sie ohne Weiteres schon 2005 durchführen können.

Und selbst jetzt ist die Staatsanwaltschaft Halle nicht einmal bereit, auch nur offenzulegen, was die Sachverständigen über den Fall sagen. Gäbe es nicht zufällig eine Nebenklage der Familie – keiner würde es erfahren.

Es war eine kleine Gruppe von AktivistInnen, die während dieser ganzen Jahre als Einzige immer wieder auf das Offensichtliche hingewiesen und Aufklärung verlangt haben. Dafür haben sie einen hohen persönlichen Preis bezahlt.

Dass sie es geschafft haben, die Schweigemauer, die um den Tod Jallohs errichtet wurde, wenigstens ein Stück weit einzureißen, ist das Beruhigendste an der ganzen Sache.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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7 Kommentare

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  • Oury Jalloh wurde am 7. Januar 2005 verbrannt und nicht am 6.

     

    Zudem wurde das manipulierte Feuerzeug 3 Tage später nicht "in der Zelle" gefunden, sondern über das Wochende in einen angeblich versiegelten Asservatebeutel vom Tatort "gefunden" - freilich ohne Spuren vom Tatort, dafür aber mit reichlich tatortfremden Spuren...

     

    Der Hinweis, dass die Ermittlungen bereits 2005 hätten beginnen müssen - und nicht erst 2016 ist ein sehr starkes Argument in dieser Debatte zur rechtsstaatlichen Praxis...

    Fragwürdig bleibt allerdings, was "beruhigend" an dem Umstand sein soll, dass "AktivistInnen...hohe persönliche Preise" 'zahlen müssen, um die "Schweigemauer" des Rechtsstaates "einzureißen"...dieser Umstand sollte doch wohl eher 'aufrütteln' - oder?

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Leider zeigt der Link am Ende des Textes selbstreferentiell auf diese Seite hier zurück.

    Ich nehme mir die Freiheit: https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/

     

    So gut der Text ist - eines ist dennoch entschieden hinzuzufügen:

    Über Jahre hinweg haben verschiedene antirassistische Unterstützerinnengruppen hier Geld gesammelt, mit breiter Unterstützung aus der radikal linken Szene. Damit wurden internationale Gutachter bezahlt und deren Gutachten und Stellungnahmen werden in der taz-Berichterstattung geflissentlich ignoriert.Warum? Diese Frage drängt sich auf, wenn doch hier in diesem Artikel schon schwarz auf weiß geschrieben steht, dass es ein Schweigekartell gibt, bis in die Bundesanwaltschaft hinein.

     

    "Peck erklärt, dass bei dem Versuch eine Hypothese zu testen, möglichst gleiche Bedingungen [...] hergestellt [...] werden müssen. Im Fall des Brandversuches am 18. August 2016 in Schmiedeberg war jedoch das Gegenteil der Fall:

    „Angesichts der großen Anzahl der veränderten Variablen sind die Ergebnisse unserer Ansicht nach unbrauchbar.“ (Gutachterliche Stellungnahme Iain Peck, 2.12.2016, Pkt.31)

    Der Londoner Brandexperte stellt weiter fest, dass alle abweichenden Variablen geeignet erscheinen, den Brandverlauf bzw. das Abbrandverhalten im Vergleich mit dem Original zu befördern:

    „dass sie sich scheinbar günstig darauf auswirken, einen maximalen Brandschaden in der Testzelle zu erreichen.“ (Gutachterliche Stellungnahme Iain Peck, 2.12.2016, Pkt. 32)

    Die Sachverständigen der Staatsanwaltschaft haben also ganz offensichtlich nicht bei Null gestartet – sondern mit einem nachhaltig kompromittierten Versuchsaufbau.

    Trotz aller Manipulationen konnte das Dessauer Brandbild vom 7.1.2005 in Zelle 5 am 18.8.2016 in Schmiedeberg letztlich nicht annähernd erreicht werden." https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/2017/01/06/londoner-brandexperte-erklaert-die-ergebnisse-des-neuen-brandversuchs-der-staatsanwaltschaft-in-schmiedeberg-fuer-unbrauchbar/

  • Oury Jalloh das war Mord!

    Diese Parole begleitete seit 2005 den Kampf für die Anerkennung der einfachen Tatsache das nicht nur Soldat*innen, sondern auch Polizist*innen Mörder*innen sind. Es ist gut, dass sich das öffentliche Narrativ zu diesem rassistischen Mord endlich wandelt, wenn auch viel zu spät. Ändern wird sich trotzdem nichts. Solange wie wir als Gesellschaft glauben uns von einer, bis an die Zähne bewaffneten, Schläger*innentruppe vor uns zu selbst schützen zu müssen. Treffen wird es - in einer auf Hierarchie und Ausgrenzung basierenden Gesellschaft - immer die "Anderen".

     

    In Solidarität mit den Hinterbliebenen Oury Jalloh's - Der Kampf geht weiter!

     

    P.S. Der Link im Artikel führt wieder zurück zum Artikel (Auklärung verlangt).

    • @BakuninsBart:

      Auf der Polizeiwache von Dessau starben 2003 ein Obdachloser an einem Schädelbruch und 1998 ein weiterer Inhaftierter an inneren Verletzungen. Dass die Initiative sich nicht auf verbrecherische Polizeigewalt richtet, sondern 1. auf die "rassistische" Qualität dieser Gewalt 2. auf die Person des Verurteilten Kriminellen Oury Jalloh ist Symptom für die identitäre Aufladung des neoliberal unterwanderten Ex-linken Millieus.

  • Oury Jalloh - alle Seiten des Falles müssen betrachtet werden.

    Es geht hierbei u. a. um das Versagen der Politiker (Innenminister Land,

    Bund) z. B. im Zusammenhang mit der Umsetzung des Asyl- und des

    Aufenthaltsgesetzes. Ganz aktuell im Zusammenhang mit sogenannten

    Flüchtlingen. Sicher sollte man auch ein Einwanderergesetz erlassen und

    bei Abschiebungen konsequent sein. Außerdem muss von jedem Flücht-

    ling verlangt werden, dass er einen Personalausweis oder andere Papiere

    vorweist, um seine Identität prüfbar nachzuweisen. Bisher vernichten die

    meisten Asylbewerber diese Unterlagen, bevor sie in Deutschland einreisen.

    Das ist ein untergaberer Zustand.

    Ob jemand ein Flüchtling ist oder nicht, das muss rechtssicher geprüft werden.

    Herr Jalloh war einige Zeit in D und ist mehrfach kriminell aktiv geworden.

    Deshalb wurde er inhaftiert. Es ist auch nicht so, dass die Bevölkerung die Kriminalität z. B. Dealer aushalten und deren Kosten bezahlen muss, wie einige meinen.

    Andererseits ist es sehr verwunderlich, dass Gefängnisse derartig unsicher

    sind, das Inhaftierte darin umkommen. Das war/ist nicht nur in Dessau so.

    Die Story, dass Herr Jalloh sich mit einem Feuerzeug angezündet hat ist nicht glaubhaft. Das gilt auch für ähnliche Storys. Man wundert sich über die Quali-

    fiktionen der Ermittler. Oder steckt da mehr dahinter.

    • @Reiner Müller:

      Sehr billig. Was hat die Flüchtlingssituation mit diesem Fall zu tun? Wollen Sie sagen, dass Flüchtlinge, die keine Papiere haben, rechtlos sind und man die schon mal anzünden kann, damit sie keine Kosten für die Allgemeinheit verursachen?

      Von dieser Seite muss man also einen Mordfall auch betrachten?

       

      Es geht hier um einen vertuschten Mord seitens unserer Polizei, die uns eigentlich beschützen soll und die vor allem unser Recht zu 100% umzusetzen hat.

      Wer sich informiert, erfährt, dass dort schon mehrfach Todesfälle durch schwere Verletzungen aufgetreten sind.

      Wenn man jetzt noch eine braune Unterwanderung von Teilen des ostdeutschen Polizeiapparates unterstellt, für die es mehr als genügend Anhaltspunkte gibt, ahnt, welcher Geist dort bei der Umsetzung deutschen Rechts regiert: "weg mit dem Abschaum".

       

      Sie scheinen mit Ihrer ersten "Argumentation" die Vorgänge moralisch rechtfertigen zu wollen: Mord von Abschaum ist ok?

      Gleichzeitig schützen Sie sich gegen diesen Vorwurf mit der Unterstützung von Zweifeln an der offiziellen Märchen. Billig.

    • @Reiner Müller:

      Was haben denn mögliche kriminelle Aktivitäten von Oury Jalloh oder die Asylgesetzgebung und deren Umsetzung mit seinem Tod und dieser unglaublichen Vertuschung und bitterbösen Justizposse zu tun?

       

      Das ist mehr als geschmacklos, Herr Müller, diesen unfassbaren Fall völlig zusammenhangslos auszuschlachten, um Propaganda für die "Flüchtlingsabwehr" zu betreiben.