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Polizei im Visier der Ermittler

G20-Gipfel: Dezernat interne Ermittlungen ermittelt in 98 Fällen gegen Polizisten wegen Straftaten gegen Demonstranten. Die Ermittlungen dauerten laut Polizei länger, weil keine Fluchtgefahr bestehe – im Unterschied zu den inhaftierten Demonstranten

Von Kai von Appen

Es waren markige Worte des Hamburger SPD-Bürgermeisters Olaf Scholz unmittelbar nach den Ausschreitungen beim G20-Gipfel in der Elbmetropole: „Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise“, sagte Scholz und gab damit für die 31.000 eingesetzten PolizistInnen eine Unbedenklichkeitserklärung ab – wohl nicht zuletzt, um darüber hinwegzutäuschen, dass seine Prognose, der G20-Gipfel sei mit einem Hafengeburtstag-Event vergleichbar, falsch war. „Ich will ausdrücklich sagen: Es gab sehr besonnene, sehr mutige, sehr schwierige Einsätze der Polizei. Und die Polizei hat wirklich alles getan, was möglich gewesen ist.“

Doch die Bilder von Polizeiübergriffen, die um die Welt gingen, zeigten etwas anderes. Sieben Klagen gegen das Polizeivorgehen beim G20-Gipfel verzeichnete bisher das Verwaltungsgericht Hamburg, 98 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten sind mit Stand von Anfang Oktober – knapp drei Monate nach dem Gipfel – bei der Hamburger Polizei und der Staatsanwaltschaft anhängig. Bearbeitet werden sie vom Dezernat interne Ermittlungen (DIE), der Dienststelle für Beamtendelikte in Hamburg. Deren MitarbeiterInnen sind von der Polizei abgestellt, um gegen KollegInnen zu ermitteln, und direkt dem Staatsrat der Hamburger Innenbehörde, Bernd Krösser, unterstellt.

Die Bandbreite der Vorwürfe gegen PolizistInnen reicht von Freiheitsberaubung, Bedrohung, Nötigung, Beleidigung, Strafvereitelung im Amt oder sexueller Belästigung bis hin zu Raub. Das Gros der Verfahren mit derzeit 81 Delikten betrifft den Vorwurf der Körperverletzung im Amt, davon sind 32 Verfahren von Amts wegen eingeleitet worden – also selbst von der Polizei oder Staatsanwaltschaft, da polizeiliche Übergriffe auf Videomaterial deutlich zu erkennen waren.

Im Gegensatz zu G20-DemonstrantInnen, denen eine Straftat vorgeworfen worden ist und gegen die bereits erste Urteile vorliegen, gibt es gegen Polizeibeamte noch keine Anklage-Erhebungen. Die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft, Nana Frombach, begründet dies mit den zum Teil aufwendigen Ermittlungen. Oft gebe es von Betroffenen nur Anzeigen gegen Unbekannt, da der Beamte in Kampfmontur in der Masse seiner Kollegen nicht zu identifizieren war.

Man habe also nicht mehr als den Hinweis, dass ein Beamter an dem Tag zu der und der Zeit an dem Ort eine Körperverletzung begangen habe. „Dann muss erst einmal die Einheit und der Beamte identifiziert werden und gegebenenfalls Videomaterial herangezogen werden“, sagt Frombach.

Bei vielen Beschuldigten handele es sich zudem um Polizeibeamte aus anderen Bundesländern, die in Hamburg eingesetzt waren. So etwas dauere und nehme Zeit in Anspruch. Im Gegensatz zu den Verfahren gegen G20-Gipfel-Gegner, die ja teilweise in Untersuchungshaft einsaßen, besteht bei den Ermittlungen gegen die Beschuldigten Polizisten kein Handlungsbedarf nach dem Beschleunigungsgebot. „Es bestehen keine Haftgründe, außer es wird bekannt, dass ein Beamter das Land verlassen will“, sagt Frombach. Daher würden die Vorwürfe gegen die Polizisten sorgfältig ausermittelt: „Bislang ist weder Anklage erhoben noch ein Verfahren eingestellt worden.“

Nach taz-Informationen könnte sich die Zahl der Strafanzeigen gegen PolizistInnen noch deutlich erhöhen. „Es besteht keine Eile“, sagt der Göttinger Anwalt Sven Adam, der MandantInnen aus der linken Szene vertritt. Denn Verjährung trete erst nach drei Jahren ein. Daher sei es oft sinnvoll, Strafanzeigen durch eigene Beweiserhebungen wie Zeugenaussagen und Videomaterial zu untermauern.

Vor dem Verwaltungsgericht hat Sven Adam bereits für zwei seiner Mandaten Feststellungsklage eingereicht, um das Polizeivorgehen für rechtswidrig erklären zu lassen. Sie gehörten zu den Teilnehmern einer Demonstration, die am Morgen des 7. Juli am Rondenbarg in Hamburg-Altona brutal von Polizeikräften attackiert, zu Boden gebracht und durch Fußtritte am Kopf verletzt worden waren. Ein Polizeivideo widerspricht der Polizeiversion, wonach die Beamten aus der Menge zuvor mit Steinen und Flaschen beworfen worden seien.

Weitere Klagen vor dem Verwaltungsgericht auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von polizeilichem Vorgehen beziehen sich laut Sprecherin Anne Groß auf Ingewahrsamnahmen, Aufenthaltsverbote und einmal auch auf den Wunsch, festzustellen, dass der G20-Gipfel niemals in Hamburg hätte stattfinden dürfen.

In einem Fall hatte das Verwaltungsgericht polizeiliches Handeln beim G20-Gipfel bereits für rechtswidrig erklärt. Zwei Mitglieder der Jugendorganisation „die Falken“ aus Nordrhein-Westfalen hatten geklagt, weil ihr Bus auf dem Weg zur Demonstration „Gemeinsam gegen G20“ am 8. Juli auf der Autobahn aufgebracht und zur Gefangenensammelstelle in Hamburg-Harburg eskortiert worden war, in der die Jugendlichen unter entwürdigenden Bedingungen mehrere Stunden eingeknastet worden waren. Es habe sich um eine Verwechselung gehandelt, räumte die Polizei in einem sogenannten „Anerkennungsurteil“ die Rechtswidrigkeit ein.

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