piwik no script img

Junge Leute leiden unter WohnungsnotSchlafsack verzweifelt gesucht

In Hamburg gab es binnen 24 Stunden zwei Hilferufe von 20-jährigen Frauen, die eine Bleibe suchen. Seit zehn Jahren wird vergeblich eine Notschlafstelle gefordert

Auf Deutschlands Straßen nicht selten und besonders schwer unterzubringen: „eine Person und zwei Hunde“ Foto: dpa

Hamburg taz | Gleich zweimal haben sich in dieser Woche junge Frauen öffentlich um Hilfe bemüht, die von Obdachlosigkeit bedroht sind. „Ich suche dringend Hilfe“, schrieb die eine am Dienstag in die Facebookgruppe „Hilfe für Hamburger Obdachlose“. „Ich bin noch 20 Jahre alt, im Januar 21 und bin seit ein paar Tagen obdachlos und nun weiß ich nicht, was ich machen soll, denn alle Unterkünfte sind belegt und viel fahren kann ich nicht, denn ich will mich nicht strafbar machen durch Fahren ohne Fahrschein.“ Sie sei echt verzweifelt, denn das Winternotprogramm sei belegt, und „bei vielen Behörden bekommt man nicht wirklich Hilfe“.

Eine aufmerksame Leserin wies die taz auf einen ähnlichen Appell bei Ebay-Kleinanzeigen hin. Diese 20-Jährige verliert ihre Wohnung, die sie nur vorübergehend hatte. „Ich suche nun alles, was nötig wäre für eine Person und zwei Hunde, um auf der Straße zu überleben“, schreibt sie. Sie habe schon Erfahrung mit dem Leben auf der Straße und wolle auf keinen Fall in öffentliche Einrichtungen wie das Pico. Nun sucht sie: „Zelt, Kocher, Isomatte, BW Schlafsack (dick) sehr wichtig!, BW Rucksack, BW Geschirr, Taschenlampe, Plane, Decken“.

Die traurige Anzeige stammt von Mittwoch früh. Ein paar Monate vorher, Anfang Juli, hatte die junge Frau in den Kleinanzeigen schon einmal um Hilfe geben. Sie suche eine Wohnung in Hamburg. Sie sollte nicht mehr als 400 Euro kosten. „Hunde sollten erlaubt sein.“ Sie schrieb damals, sie wohne seit acht Monaten in einer Einrichtung des städtischen Trägers Fördern und Wohnen in einer Vierer-WG. Nur sei der Nutzungsvertrag leider auf zwölf Monate begrenzt, „da das nur eine vorübergehende Maßnahme ist, um jungen Menschen wie mir zu helfen ein normales Leben zu finden“.

Offenbar war die damalige Suche nicht erfolgreich. Deshalb nun offenbar die Vorbereitung auf ein Leben auf der Straße.

Jung und obdachlos

In Deutschland sind rund 37.000 junge Menschen ohne festen Wohnsitz. Das ergab eine Studie des Deutschen Jugendinstituts.

Zwei Drittel sind Jungen, ein Drittel Mädchen. Etwa 20 Prozent sind minderjährig, die übrigen 18 bis 26 Jahre alt. Gezählt werden auch jene, die bei Freunden oder in Notunterkünften wohnen.

Die Hamburger Sozialbehörde hat keine Statistik über jugendliche Obdachlose. Bei einer älteren Studie von 2009 wurden 117 Obdachlose unter 25 erfasst und befragt.

„Hier gibt es wenig Handlungsspielraum.“

Die taz fragte bei der Sozialbehörde und bei Fördern und Wohnen nach, was für eine Alternative diese junge Frau hat. Die Antwort: Es handele sich um ein Projekt des Bezirks Altona, für welches der städtische Träger lediglich die Räume stellt. „Im Hinblick auf eine drohende Obdachlosigkeit der Frau gilt das Regelsystem“, sagt Pressesprecher Marcel Schweitzer. Möglich wäre, sofern die Jugendhilfe nicht mehr zuständig ist, ein Platz in einer öffentlich-rechtlichen Unterkunft. Eine Schwierigkeit wären allerdings die Hunde, für die ein Einzelzimmer nötig sei. Schweitzer: „Hier gibt es wenig Handlungsspielraum.“

Zu der ersten Betroffenen hatte Max Bryan von der Initiative „Hamburger Obdachlose“ Kontakt aufgenommen. „Ich habe ihr einen Leitfaden geschickt und ihr geraten, sich an das Streetlife-Projekt in Rahl­stedt zu wenden“, sagt Bryan. Die junge Frau meldete Bryan zurück, dass ihr dort geholfen worden sei. Sie habe jetzt wieder eine Postadresse, sodass sie Hartz IV beantragen könne, und für sie werde auch ein Platz gesucht. Der Träger selbst kann sich zu Einzelfällen nicht äußern, sagt aber, dass Hamburg für diese Zielgruppe viel mehr tun muss.

„Wir haben drei Gästewohnungen. Früher waren die drei Monate belegt, inzwischen bleiben die jungen Menschen ein bis zwei Jahre“, berichtet Streetlife-Mitarbeiter Ralf Mehnert. „Sie finden einfach keinen Wohnraum.“

Das Problem beginne, wenn die Jugendlichen 18 werden, und sie zu alt für die Jugendhilfe sind, aber zu jung für Obdachlosenunterkünfte mit Erwachsenen. „Berlin, München, Köln – all diese Städte haben Notschlafstellen für junge Menschen von 18 bis 27 Jahren. Nur Hamburg hat so etwas nicht“, kritisiert Ralf Mehnert. Streetlife und weitere Jugendhilfeträger würden sich seit zehn Jahren im „Arbeitskreis junge Wohnungslose“ dafür einsetzen. „Aber seitdem ist nicht viel passiert.“ Zwar gibt es seit 2009 mit „JEP“ ein Jungerwachsenenprojekt für 19 junge Männer im Bezirk Mitte. Nötig sei ein Projekt, wo junge Frauen Zugang haben oder Hunde mitgebracht werden können.

Die Wohnungsnot der Jugend war auch im Mai Thema bei einer Anhörung der Hamburger Linksfraktion. Sozialarbeiter Olaf Sobczak sagte dort, ein Problem sei die Gruppe der „Care Leaver“, also jener, die aus öffentlicher Erziehung kommen. Es seien oft die jungen Menschen mit den schlechtesten Chancen, die mit 21 in einer Wohnunterkunft landen oder prekär bei sogenannten Freunden unterkommen. Bei Wohnungsneubauten müsste es Kontingente für diese Zielgruppe geben, möglicher weise sogar einen ganz neuen Player für sozialen Wohnungsbau.

Die Anregung aus dieser Anhörung, Notschlafplätze und Gästewohnungen zu schaffen, floss in einen Antrag der Linken zur Bekämpfung der Armut von Kindern, Jugendlichen und Jung­erwachsenen ein. Die Hamburger Bürgerschaft lehnte ihn vergangene Woche mit den Stimmen von Rot-Grün ab.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • taz: "In Hamburg gab es binnen 24 Stunden zwei Hilferufe von 20-jährigen Frauen, die eine Bleibe suchen. Seit zehn Jahren wird vergeblich eine Notschlafstelle gefordert."

     

    Olaf Scholz (SPD) ist "Erster Bürgermeister von Hamburg". Das Hamburger Rathaus erreicht man vom Hauptbahnhof über die Mönckebergstraße (eine der Haupteinkaufsstraßen Hamburgs). Wer sich einmal das Elend der Obdachlosen in Hamburg anschauen möchte, dem empfehle ich ab 22 Uhr einen Spaziergang vom Hamburger Hauptbahnhof über die Mönckebergstraße bis zum Rathaus zu unternehmen. Die Mönckebergstraße ist eine der Haupteinkaufsstraßen Hamburgs und bildet zusammen mit der Spitalerstraße, die spitz auf die Mönckebergstraße zuläuft, den Hauptzugang in die Hamburger Innenstadt. In fast jedem Geschäftseingang der Mönckebergstraße und auch der Spitalerstraße - also in den Läden wo man tagsüber sehr viel Geld ausgeben kann - sitzen oder liegen die Obdachlosen unter Decken oder Schlafsäcken. Vor einigen Jahren hat es das noch nicht gegeben, aber da war Deutschland ja auch noch ein freiheitlich-demokratischer und sozialer Bundesstaat (Art. 20 Abs. 1 GG).

     

    Herr Scholz könnte sich das Elend auf Hamburgs Straßen ja einmal anschauen, dafür müsste er nur kurz nach 22 Uhr aus seinem Rathaus gehen und über die Mönckebergstraße schlendern - aber das ist wohl für einen SPD Politiker nicht zumutbar.

  • Aus Kreisen der EU Kommission/des EU Parlaments heißt es, dass wenn ein Menschenrecht verletzt wird, muss es zu einer Beschwerde an das EU Gericht kommen. Normalerweise müsste der nationale Rechtsweg ausgeschöpft sein. Wenn es festgestellt sein sollte, dass ein Menschenrecht verletzt wird, dann wird ein Mitgliedstaat gerügt und dazu verpflichtet, das Grundrecht einzuhalten.

     

    Da gibt es im EU Recht den Artikel 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

     

    Der Absatz III lautet:

     

    „Um die soziale Ausgrenzung und die Armut zu bekämpfen, anerkennt und achtet die Union das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE WOHNUNG, die ALLEN, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein MENSCHENWÜRDIGES Dasein sicherstellen sollen, nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.“

    http://www.europarl.europa.eu/germany/resource/static/files/europa_grundrechtecharta/_30.03.2010.pdf

     

    Und es gibt 2 Hürden für EU Bürger, die sich beim EU Gericht beschweren wollen.

     

    Ein Problem liegt in der Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges. Das Andere ist, die Maßgabe „der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten (Vgl. Art. 34, Abs. III). Jedoch gibt es im selben Absatz den Bezug zur Menschenwürde! Und gerade das ist die Chance, die davon abhängt, wie das EU Gericht das bewerten würde. Die einzelstaatlichen Lösungen sind aber nicht immer und oft nicht hinreichend menschenwürdig!

  • Wo SPD draf steht, ist auch SPD drinnen. Die SPD würde doch sagen, diese Frau soll arbeiten gehen, dann kann sie eine Wohnung bezahlen und warum hat sie zwei Hunde? Keiner würde doch reichen. Es wird in den nächsten Jahren immer mehr junge Menschen ohne Wohnung geben. Hintergrund ist ja auch, dass in Hamburg viele Menschen ihr Leben alleine leben, die ziehen aus ihrer kleinen, oft günstigen Wohnung nicht mehr aus. Und für Käufer, gibt es auch genug kleine Wohnungen, der Markt regelt das und nach Ansage von Bürgermeister Scholz soll das ja auch gut sein und eine dauerhafte Lösunge für unsere Stadt werden. Im Übrigen würde die SPD darauf verweisen, dass vielerorts die SAGA/GWG auch baut, ja, aber viel zu wenig. Die Stadt müsste wohl gerade für so eine Gruppe wirklich etwas gezieltes tun, aber auch insgesamt müsste die Stadt wohl mindestens doppelt so viele Sozialwohnungen bauen, wie bisher.