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Debatte KoalitionsbildungLob der Großen Koalition

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Wem soziale Gerechtigkeit, Migration und Flüchtlinge wichtig sind, der sollte sich nicht auf die Grünen verlassen. Jamaika wäre das Grauen.

Für ein paar Windräder die Ideale verscherbeln? Das muss nicht sein Foto: dpa

A ngela Merkel kann es egal sein, wer in den nächsten vier Jahren unter ihr regiert. Sie wird wie immer den Mittelweg vertreten, den kleinsten gemeinsamen Nenner ihrer jeweiligen Koalitionäre. Für die Republik aber macht es einen großen Unterschied, ob die Union nach der Wahl weiterhin mit der SPD regiert – oder aber mit FDP oder gar den Grünen zusammenkommt. Die Grünen haben recht: Es geht um nicht weniger als eine Richtungsentscheidung. Aber nicht so, wie sie denken.

Eine schwarz-gelbe Koalition würde die soziale Kluft vertiefen, und sie wäre für Flüchtlinge und Migranten fatal. Nach einer schwarz-grünen Mehrheit sieht es derzeit nicht aus, und in so einer Koalition wären die Grünen auch nur der Juniorpartner von CDU und CSU. In einer schwarz-gelb-grünen Koalition aber wären sie erst recht das Zünglein an der Waage. Schwer vorstellbar, wie Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt es da schaffen wollen, sich gegen Horst Seehofer und Christian Lindner durchzusetzen, um etwas gegen Kinderarmut oder für den Flüchtlingsschutz zu tun. Falls sie das überhaupt wollen.

Nicht nur in Baden-Württemberg haben die Grünen in den vergangenen Jahren ja gezeigt, wie weit sie bereit sind, ihre Ideale für ein paar Windräder zu verscherbeln. Dass manche Spitzengrüne sich jetzt sogar vorstellen können, im Bund in eine Jamaika-Koalition einzuwilligen, zeigt, dass es ihnen vor wirklich gar nichts graut. Aber will man den Grünen dabei zusehen, wie sie sich die letzten Reste ihres sozialen und migrationspolitischen Gewissens für ein E-Auto abkaufen lassen? Nein danke.

Eine Fortsetzung der Großen Koalition ist im Vergleich dazu nicht das kleinere Übel. Sie ist vielmehr die einzige Garantie dafür, dass Themen wie soziale Gerechtigkeit und die Teilhabe von Migranten und Flüchtlingen künftig nicht völlig unter den Tisch fallen. Soziale Gerechtigkeit ist nun mal das Kernthema der SPD. Dass sie der Union als Koalitionspartner auf Augenhöhe begegnen und Teile ihrer Agenda durchsetzen kann, hat sie in der vergangenen Legislaturperiode bewiesen. Genau deswegen wird Angela Merkel ja vorgeworfen, die Union und das Land nach links gerückt zu haben. Sie ist die beste sozialdemokratische Kanzlerin, die die SPD selbst nie hatte.

Die Sozialdemokraten haben sich seit der Agenda 2010 und der Sarrazin-Debatte erneuert. Nicht nur in sozialpolitischer Hinsicht, sondern auch in Migrationsfragen.

Das liegt auch daran, dass sich die Sozialdemokraten seit der Agenda 2010 und der Sarrazin-Debatte erneuert haben. Nicht nur in sozialpolitischer Hinsicht, sondern auch in Migrationsfragen: Schon bei der letzten Bundestagswahl waren sie es und nicht die Grünen, die – neben der Forderung nach einem Mindestlohn – die Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft für Einwandererkinder zur Voraussetzung für Koalitionsverhandlungen machten und damit ein wichtiges Signal setzten.

Es ist auch kein Zufall, dass ausgerechnet die Integrationsbeauftragte der SPD, Aydan Özoğuz, jetzt zur Zielscheibe von Alexander Gaulands rassistischen Ausfällen wurde. Denn Özoğuz verkörpert, gerade in ihrer ruhigen und hanseatisch zurückhaltenden Art, den exakten Gegenpol zu den aufgeregten völkischen Reinheitsfantasien der AfD.

Die SPD hat mehrere solcher Typen in ihren Reihen, wie Karamba Diaby aus Halle oder Josip Juratovic aus Heilbronn, die für die Normalität der Einwanderungsgesellschaft stehen und Integrationspolitik als Bohren dicker Bretter verstehen. So, wie Frauen wie Andrea Nahles, Manuela Schwesig und Katarina Barley die Sozial- und Familienpolitik der SPD verkörpern. Die SPD widerlegt damit das von rechts gerne geschürte Vorurteil, dass sich der Einsatz für Minderheiten und eine gerechte Sozialpolitik ausschließen müssen. Nein: Kein Kind muss zurückgelassen werden.

Auch die Grünen haben immer noch einige Migranten in ihren Reihen. Doch obwohl sogar ihr Parteichef und Spitzenkandidat einen Migrationshintergrund besitzt, scheint ihnen das ganze Thema heute irgendwie peinlich zu sein. Sozialpolitik war noch nie ihre Stärke. Und sie haben niemanden mehr, der wie einst Claudia Roth zum Feindbild der Rechten taugt. Dafür aber einen Boris Palmer, der ihnen nach dem Munde redet.

Die Grünen hätten vermutlich bessere Chancen, wenn sie sich als klarer Gegenentwurf zur AfD profilieren würden statt bloß als Öko-Anhängsel der Union oder der SPD. So, wie es der grüne Parteichef Jesse Klaver in den Niederlanden vorgemacht hat.

Stillleben mit Sonnenblumen

Die deutschen Grünen haben ihre Anbiederung an den neoliberalen und kulturkonservativen Mainstream leider sehr weit getrieben. Ohne Not haben sie dafür eines ihrer einstigen Kernthemen aufgegeben – die Ausgestaltung der multikulturellen Gesellschaft. Dafür fehlt ihnen inzwischen der Gestaltungswille. Wenn sie heute an einer Landesregierung beteiligt sind, entscheiden sie sich meist lieber für Ökoressorts wie Umwelt und Energie, Landwirtschaft oder Verbraucherschutz als für Soziales und Integration. Das gute Leben ihrer Mittelschichtswähler ist ihnen wichtiger als die Probleme der Migranten und Unterschichten.

Das aber macht sie für viele Wähler verzichtbar, denen Flüchtlinge und Migrationspolitik am Herzen liegen. Nicht nur im kulturell vielfältigsten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen, wurden sie im Mai dafür abgestraft. Jetzt droht ihnen das nächste Debakel im Bund. Denn gegen Erdoğan zu sein ist noch keine Integrationspolitik – und erst recht kein Alleinstellungsmerkmal.Wem es reicht, konservative Leitkultur-Fantasien und neoliberalen „Leistung muss sich lohnen“-Fetischismus mit ein paar schönen Sonnenblumen zum neuen bürgerlichen Stillleben zu garnieren, der muss keine Angst vor „Jamaika“ haben.

Wem es dagegen auf dem Feld der Sozial- und Integrationspolitik um konkrete politische Fortschritte oder auch nur um Schadensbegrenzung geht – etwa den Familiennachzug für Flüchtlinge zu verteidigen, den Schutz von Mietern oder den Diskriminierungsschutz von Migranten zu verbessern –, dem bleibt am Sonntag wenig anderes übrig, als auf die SPD zu setzen. Und zu hoffen, dass die Große Koalition fortgesetzt wird.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er schreibt über Politik und Popkultur – inbesondere über die deutsche Innen- und Außenpolitik, die Migrations- und Kulturpolitik sowie über Nahost-Debatten und andere Kulturkämpfe, Muslime und andere Minderheiten sowie über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 folgte das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”
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8 Kommentare

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  • Welche Partei wählen / Welche Koalitionen sind zu erwarten: Also, nun die SPD zu wählen, um Schwarz-Gelb zu verhindern, ist völlig überflüssig, denn die SPD als Zweitplatzierte hat in jedem Fall genügend Mandate in Aussicht, um wieder GroKo zu bilden. Schwarz-Gelb funktioniert nur mit Grün, und auch das würde durch SPD-Wählen nicht verhindert.

    Grüne kann ich folglich überhaupt nicht mehr wählen, weil diese Chamäleons freudig der FDP und CDU zur absoluten Mehrheit verhelfen werden, um an die Regierung zu kommen, ohne dort auch nur eine Spur sozialer Anliegen durchzusetzen, weil CDU + FDP schliesslich dagegen und immer in der Mehrheit wären.

    Als sozial und umweltbewusste/r WählerIn kann man also ganz getrost weiter Die Linke wählen, wenn man nicht AFD will.

    Quelle: Koalitionsrechner nach neuesten Umfragen aller relevanten Institute: https://web.de/magazine/politik/wahlen/bundestagswahl/bundestagswahl-2017-koalitionen-wahrscheinlich-grosse-koalition-jamaika-ampel-buendnis-32530908

    Daraus ergibt sich doch alles ganz klar.

  • So viele knackige Sätze, die von keinem Fakt untermauert werden! Und ohne Bezug zu irgendeiner Debatte oder politischen Arbeit in den Bundesländer.

     

    Als einiger Bezug die Bundestagswahl.

     

    Ist die taz eigentlich mittlerweile der "Wir-schaffen-das-nicht"-Linkspartei geworden. CDU würde auch passen.

     

    Ein Kuschelinterview mit der Petry wie bei Wagenknecht (taz-Redakteurin Ulrike Herrmann bezeichnete das Interview als „rechtes Konsensgespräch“ ), samt ihrer ganzen Sprüche mit der sie AfD-Wähler locken wollte würden man selbst bei Palmer nicht finden.

     

    "scheint ihnen das ganze Thema heute irgendwie peinlich zu sein. Sozialpolitik war noch nie ihre Stärke." Schon mal nach Bremen, dem ärmsten Bundesland, geschaut? Dort gibt es eine grüne Finanzsenatorin. Dort boxte sie trotz der vom Bund verordneten Schuldenbremse als Vorreiter Ausnahmen durch und machte Geld locker . Ramelowsieht dagegen trotz steigender Steuereinnahmen kaum Spielraum für zusätzliche Ausgaben. "Ich sehe keinen Grund, von unserer zurückhaltenden Finanzpolitik Abstand zu nehmen"

     

    Die Argumentation für die SPD macht nur aus einem Grunde Sinn: Eine Koalition braucht einen möglichst großen sozialen und ökologischen gegenpol. Selbst in einer Schwarz-Grünen Koalition hätten die Grünen nur das halbe Gewicht der SPD.

     

    Letztendlich sind nur Stimmen für die Linkspartei verschenkte Stimmen und würden nichts ändern. Wagenknecht mit ihren Sprüchen blieben ihren Fans weiterhin erhalten. Auch Gregor Gysi würde sichelich weiterhin herzerwärmende Sprüche für die 50% Ü60 Parteimitglieder parat haben.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    "Schwer vorstellbar, wie Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt es da schaffen wollen, sich gegen Horst Seehofer und Christian Lindner durchzusetzen, um etwas gegen Kinderarmut oder für den Flüchtlingsschutz zu tun."

     

    Wenn Merkel schlau ist (und das ist sie wohl), setzt sie in einer Jamaika-Koalition eher auf die grüne als auf die gelbe Karte und "profiliert" sich dadurch weiter. Ich habe schon lange den Eindruck, als würde sie sehr gerne mit den Grünen buhlen.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Man verwechselt Politik damit eh mit den gerade aktuellen Fernseh-"Duellen". Es zählt im wesentlichen nur die Stimmenzahl der Partien. "Jenseits der Donnerkuppel" (-; Christian und Katrin gehen rein, Katrin kommt raus ;-) ist woanders.

       

      Wenn Merkel schlau ist, dann spielt Sie alle möglichen Koalitionspartner gegeneinander aus. Sie hat einfach das beste Blatt aktuell in der Hand. Amüsant findet sie es sicherlich auch wie Linkspartei-Fans (die besten Wahlhelfer der CDU) Grüne und SPD zickisch zerfleischen.

  • Vor allem für die SPD wäre eine erneute Große Koalition (die dritte in den letzen 12 Jahren!) verheerend - die Partei würde sich endgültig mit ihren 20-25% und der "staatstragenden" Rolle als Juniorpartner der Union arrangieren.

     

    Die unbestrittene gesellschaftliche Liberalisierung der Union wurde konterkariert von einer starken (auch nach Schröder) wirtschaftlichen Orientierung der Sozialdemokraten. Ich gehe stark davon aus, dass dies auch der Hauptgrund für die zunehmende "Realosierung" der Grünen sind, die einfach die Linke Perspektive von der SPD aufgegeben sehen.

  • Ja sicher tolle SPD, nur dass sie eben auch Teil dieser tollen Regierung ist, ich finde man sollte die Grünen erst für Jamaika verurteilen, wenn sie tatsächlich diesen Schwachsinn mitmachen. Die SPD ist immer noch die konservativere Partei, die nie ein linkes Bündnis wollte, die Mehrheit war ja ausnahmsweise da die letzten vier Jahre, eine vertane Chance. Aber wir können natürlich auch die Grünen für das was falschläuft in unserem Land verantwortlich machen, ich will nicht abstreiten, dass mir auch bei den Grünen, speziell bei den Baden-Würtemberg Grünen einiges zuwider ist, nur habe ich das Gefühl das die Grünen immer härter verurteilt werden für solche Dinge, denn von der SPD hat man Ideale oder son Quatsch eh nicht mehr erwartet.

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @wirklich?:

      Wieso sollte ich denn eine Partei wählen, wenn ich aufgrund der eigenen Erfahrungen mit dieser Partei und der persönlichen Einschätzung, keine soziale Verbesserung erwarte? Das Risiko bin ich nicht mehr bereit zu tragen, also eine Partei zu wählen, die den Sozialabbau nicht stoppt. Da dort vorher keine eindeutigen Aussagen diesbezüglich stattgefunden haben bzw. vorab keine verbindlichen Grenzen gezogen wurden, werde ich dieses Risiko nicht eingehen als Wähler.

  • " Die SPD steht weiter für soziale Gerechtigkeit. "

     

    Ein Witz, gell?

     

    "Sie hat noch eine Chance verdient."

     

    In der Opposition?

     

    "Dann doch lieber wieder GroKo"

     

    Die PARTEI hat letztes Jahr im berliner Wahlkampf einen herrlichen Aufkleber auf SPD- und CDU-Plakate gebappt: Groko haram.