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Kommentar Türkeipolitik der GrünenÖzdemirs leere Versprechen

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Wenn die Grünen an der Regierung sind, werde es endlich eine Reisewarnung für die Türkei geben. Nur: Mit wem wollen die Grünen das durchsetzen?

Dass deutsche Konzerne auf Millionengewinne verzichten sollen, könnte es zwar mit Grün geben, aber nicht mit CDU, CSU und FDP Foto: dpa

A uf dem Kleinen Parteitag der Grünen blies Cem Özdemir am Sonntag kräftig die Backen auf: Autoritäre Herrscher würden sich freuen, wenn nach der Bundestagswahl Union und FDP gemeinsam regierten, rief er unter tosendem Beifall. Regierten aber die Grünen, sähe das ganz anders aus.

Mit Blick auf das Erdoğan-Regime: Wenn die Grünen erst an der Regierung sind, gibt es endlich eine Reisewarnung für die Türkei! Außerdem werden die Hermesbürgschaften ausgesetzt! Und Rüstungsschmieden wie Rheinmetall dürften dann auch keine Panzerfabrik mehr am Bosporus bauen! Genau das wäre die angemessene Antwort auf das diktatorische Treiben Erdoğans. Chapeau!

Es gibt nur ein Problem: Mit wem wollen die Grünen das durchsetzen? Unterstützung gibt es dafür nur von der Linkspartei. Da Berlin aber nicht Kreuzberg ist, dürfte es für die beiden Parteien wohl nicht ganz zu einer absoluten Mehrheit reichen. Falls die Demoskopen nicht völlig irren, besteht für die Grünen vielmehr die einzig realistische Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung in einer Koalition mit der Union und wahrscheinlich auch der FDP.

Dann jedoch wird Özdemirs Versprechen ein leeres bleiben. Wie schon die derzeitige Große Koalition wird man zu nichts bereit sein, was heimische Wirtschaftsinteressen tangiert. Dass deutsche Konzerne auf Millionengewinne nur für ein paar eingesperrte deutsche Journalisten und Menschenrechtsaktivisten verzichten sollen, gibt es mit CDU, CSU und FDP nicht. Egal, ob es um die Tourismusbranche oder die Rüstungsindustrie geht.

Daran werden die Grünen keine Koalition scheitern lassen. Das gilt ebenso für die von Union und FDP propagierte milliardenschwere Erhöhung der deutschen Militärausgaben, über die Özdemir am Sonntag wohlweislich erst gar kein Wort verlor – obwohl sich seine Partei in ihrem Wahlprogramm deutlich dagegen ausspricht. Das 2-Prozent-Ziel der Nato wird auch „Jamaika“ nicht infrage stellen, zumal die FDP sogar gern 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts veranschlagen würde. Wie heißt es so schön im Grünen-Programm: „Wer Frieden will, muss sich für weltweite Abrüstung engagieren und dabei mit eigenem Beispiel vorangehen.“

Es wird ein Satz fürs Poesiealbum bleiben.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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11 Kommentare

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  • "Es wird ein Satz fürs Poesiealbum bleiben."

     

    So wie die gesamte übriggebliebene Partei namens "Bündnis90/Die Grünen" ein Fall fürs "Poesiealbum" sind:

    Man schaue sich nur die Wortmeldungen der letzten zwei Monate einer KGE, Claudia Roth oder eines Kretschmanns an - diese Partei "hat fertig".

  • Vor den Wahlen ist Merkel mal kurz "stocksauer", aber wir Wähler haben ja genügend Erfahrung mit den einzelnen Parteien, um einschätzen zu können, was daraus wird. Die Vergangenheit ist ein guter Maßstab, Hoffnung ein ganz schlechter.

  • Die Versprechen der Grünen sind nicht so leer wie die der Linkspartei, die seit 89 noch nicht einmal eines ihrer Ziele politisch verwirklichen konnten. Noch nicht einmal über oppositionellen Druck.

  • Es ist festzustellen, dass die TAZ in den letzten Wochen umgeschwenkt hat, von einem permanenten Türken – Bashing bzw. Erdogan Bashing. Somit wendet sich die TAZ, anderes als die übrigen Medien von diesem Türken-Bashing ab, und das ist gut so, dass zumindest die Hetze in der Taz ein Ende findet.

    Eine Reisewarnung ist kein politisches Instrument, sondern soll den reisenden Landsleuten eine objektive Einschätzung über die Sicherheit im Zielort geben.

    Wenn der Gegenstand einer Reisewahrung politische Ziele wären, z.B. die Einhaltung der Menschenrechte oder des Völkerrecht, dann müssten in 155 Staaten von 193 Staaten laut dem Bericht (2015) der Menschenrechtsorganisation Humanrights Reisewarnungen ausgesprochen werden.

    Istanbul ist nicht Bagdad und die Türkei ist nicht Afghanistan, dass was Özdemir vorschlägt, nämlich die Türkei mit einer Reisewarnung einen empfindlichen wirtschaftlichen Schaden zu zufügen, ist nicht in Sicherheitsüberlegungen begründet, sondern wie ich meine, in seinem ganz persönlichen Hass gegen die frei und demokratisch gewählte türkische Regierung.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @Nico Frank:

      "sondern wie ich meine, in seinem ganz persönlichen Hass gegen die frei und demokratisch gewählte türkische Regierung."

       

      Haha! Der war gut! ;D

  • Nun, eine Mehrheit von Grünen und Linkspartei allein, ohne die sehr stark die Interessen der Wirtschaft berücksichtigende SPD ist nun mal völlig unrealistisch. Das ist aber nicht die Schuld der Grünen. Insofern ist es dann doch besser, wenn die Grünen in einer Jamaica-Koalition auf eine härtere Gangart gegenüber Erdogan drängen.

  • Ein paar Worte zur Reisewarnung. Natürlich - wer ist nicht gegen die Repression in der Türkei, wer ist nicht für die Freilassung von Denis Yücel und den vielen andern Inhaftierten. - Aber was hat - bitte sehr - eine Reisewarnung damit zu tun ? Es kann und muss doch jeder selbst entscheiden, ob er in die Türkei reist.

    Eine Reisewarnung ist kein Spielball der Politik sondern dann, und nur dann notwendig, wenn wirkliche Gefahren drohen, Terrorismus oder was auch immer ...

    • @Christoph :

      Reisewarnung? Überflüssig! Wer bis heute nicht registriert hat was in der Türkei los ist, der ist nicht zu warnen. Gegen Ignoranz und Wurstigkeit ist kein Kraut gewachsen. Wer Saufen will, der säuft. Wer rauchen will der raucht. Und wer in die Türkei will...

      Reisewarnung? Kann man natürlich trotzdem machen. Hat aber lediglich den Zweck hinterher sagen zu können: "Hab ich Dir's nicht 1000 mal gesagt!? - Das haste nun davon".

      Also wenn das alles ist, was uns zu Erdogan einfällt...

    • @Christoph :

      Mit der Reisewarnung könnte man dem Türken zeigen was eine Harke ist und ihm ein bisschen Respekt vor Deutschland beibringen ! ;-)

       

      Ich könnte mir vorstellen das SPD, Linke und AfD einen entsprechenden Antrag unterstützen falls nach der Wahl CDU und FDP die Regierung stellen.

      Schon allein um die Regierung unter Druck zu setzen.

      Zumindest innenpolitisch kann also eine Reisewarnung sinnvoll sein.

      Und was die Wirkung in der Türkei angeht... wen interessiert das schon ?

      Im schlimmsten Fall springen die Russen ein und liefern Waffen, machen Urlaub in der Türkei und kaufen türkisches Obst, Gemüse und andere landwirtschaftliche Produkte welche die EU nicht mehr liefern will oder darf.

  • Lieber Herr Peuker, die Aussage von Cem Özdemir ist erst einmal eine klare Aus- und Ansage, nicht mehr und nicht weniger. Das erwarte ich von dem Spitzenkandidaten einer Partei, egal welcher (kommt nur bei anderen leider nicht). Und das kann auch ein Journalist erst einmal zur Kenntnis nehmen. Ob es eine Jamaikakoalition gibt und ob die Grünen dort in diesem oder im zweiten genannten Punkt einknicken und unter welchen Umständen ist Zukunftsmusik und Kaffeesatzleserei. Sie stellen es als Gewissheit hin - woher? Warten wir es doch mal ab.