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Kommentar FDP im WahlkampfLindner ist nicht der Wahl-Messias

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Christian Linder lässt die FDP gut aussehen: modern, mit viel Aufbruchsstimmung. Dahinter steckt aber immer noch die kühl rechnende, notfalls brutale FDP.

Gilt als guter Verkäufer: Christian Linder Foto: reuters

Z ugegeben, wenn Hunderte Menschen in einem großen Saal einem forschen Politiker zujubeln, kann das zu Fehleinschätzungen führen. Die Lichter, der Lärm, die Musik – alles zusammen wirkt, als ginge an Christian Lindners FDP kein Weg mehr vorbei. Bei 10 Prozent sehen die Demoskopen seine Liberalen; es geht also um Platz drei bei der Bundestagswahl. So eine Partei, eine mit einer Machtoption, ist nur noch schwer zu ignorieren. Besser, man fängt so früh wie möglich damit an, jetzt, da selbst Grünen-Chef Cem Özdemir seinen Kumpel Christian öffentlich duzt.

Aber der Eindruck täuscht. Es reicht nicht, der schnittig vorgetragenen Aufbruchsrhetorik zu lauschen und den frisch aufgetragenen Lack zu streicheln. In dem Raumschiff, das sich gerade anschickt, wieder im Berliner Regierungsviertel zu landen, sitzt nämlich immer noch die gute alte FDP, wie wir sie kannten: kühl rechnend, neoliberal, notfalls brutal, wenn es um Klientelinteressen geht. Markt vor Staat, daran hat sich nichts geändert.

Die Liberalen wollen die Studiengebühren wieder einführen und die Frist fürs Arbeitslosengeld weiter kürzen. Sie wollen das Renteneintrittsalter „flexibilisieren“, statt Renten zu erhöhen. Sie lehnen Quoten für Frauen ab und favorisieren nach wie vor das Ehegattensplitting. Die FDP fordert das Wechselmodell für getrennte Familien und damit das Ende des Kindesunterhalts, der in den meisten Fällen von den besser verdienenden Vätern an die Mütter gezahlt wird. Über Klimaziele möchte die Lobbypartei künftig abstimmen lassen. Und beim Thema Euro fällt vor allem das Wort Eigenverantwortung.

Die FDP fordert für den EU-Staat Deutschland ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Jenen, die irritiert sind von dem Lindner-Satz „Alle Flüchtlinge müssen zurück“, setzt dieser das Nützlichkeitsargument entgegen. „Von Vielfalt profitiert eine Exportnation wie Deutschland“, sagt er. Von Verantwortlichkeiten ist da wiederum keine Rede.

Es gibt die Hoffnung, die FDP werde sich in einer Koalition mit der Union – oder zusätzlich mit den Grünen im Boot – schon irgendwie einhegen lassen. Zauberwort: Realpolitik. Fakt aber ist: Die FDP ist eigentlich ausschließlich Christian Lindner. Für mehr als seine One-Man-Performance hat es in den zurückliegenden vier Jahren einfach noch nicht gereicht.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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15 Kommentare

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  • Was Lindner und die FDP so attraktiv macht?

    Der Glaube an den Kapitalismus,

    an den eigenen Reichtum

    und Millionen Euro Wahlkampfspenden für FDP und CDU.

    Die Linkspartei bekam gar nichts außer von ihren Mitgliedern.

    • @nzuli sana:

      Meinen Sie Lindner ist reich?

      Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.

  • "Das Einzige, worauf man sich bei der FDP verlassen kann, das ist ihre Gewissenlosigkeit."

     

    Franz-Josef Strauß (CSU), Ex-Atomminister, Ex-Verteidigungsminister,

    Ex-Wirtschaftsminister,

    Bundeskanzlerkandidat und Ministerpräsident von Bayern

  • Also an dem Wechselmodell zu kritisieren, daß dann kein Unterhalt mehr gezahlt werden muss, ist schon starker Tobak. Beim Wechselmodell verteilen sich die Kosten doch 50:50 auf beide Elternteile. Ich finde dieses Modell gut.

    • @Nobodys Hero:

      Nein, so ist es nicht, denn die Kosten für Kinder sind in zwei Haushalten insgesamt wesentlich höher und das vor allem, wenn ein Elternteil nicht bereit oder in der Lage ist, mit dem Kindswechsel auch andere Dinge und Informationen zu "wechseln".

       

      Und es ist nun mal ein Unterschied, ob zwei Elternteile sich gemeinsam in einem Haushalt um die Kosten für die Kinder kümmern oder ob es ein Elternteil allein tun muss.

       

      So einfach ist die Rechnung einfach nicht. Kinder sind keine Autos oder Bohrmaschinen.

    • @Nobodys Hero:

      wenn die Eltern einigermaßen nah beeinander wohnen und bereit sind, sich zusammenzuraufen auf Elternebene - dann ist es auch gut.

       

      Dann ist es sogar eher traurig, wenn das Kindeswohl auf "finanzielle Aspekte" der Mütter reduziert wird wie hier.

  • Westerwelle im Schafspelz?

  • Studiengebühren halten – laut Studien – arme Menschen nicht vom Studieren ab. Wo ist das Problem, wenn Bafög, KfW-Kredite & Co. entsprechend erhöht werden? Oder eine Rückfinanzierung, nach Abschluss des Studiums erfolgt?

     

    Es verwundert, dass sich die taz für eine Umverteilung von der Sekretärin zur studierenden Zahnarzttochter einsetzt.

     

    Aber es scheint ja wichtiger zu sein, wer das fordert, als was gefordert wird.

     

    Die Senkung der Hotelsteuern, waren die nicht auch in Wahlprogrammen unterschiedlicher Couleur? Werden die Apotheker im Moment nicht viel stärker von der CSU vertreten – durch ein Ferhandelsverbot, das den "ach so ungerechten Markt" aushebelt und so zu höheren Medikamentenpreisen führt? Ist die FPD nicht viel freier von Diktatorennähe und Antisemitismus, als es DIE LINKE je sein wird?

     

    Mir scheint, bei den Parteien wird mit zweierlei Maß gemessen.

  • Man mag es in der taz-Redaktion kaum glauben, aber in Deutschland gibt es Mitbürgerinnen und Mitbürger, die diese kaltherzige, brutale und unmenschliche Partei wählen. Dies ist kein Verbrechen. Ich selbst bin Neoliberaler von Haus aus. Als Gesamtschüler aus NRW blieb mir in meinen jungen Jahren - nach einem Ausflug in die Sozialdemokratie - kaum eine andere politische Alternative. Mein neoliberales Herz ist zudem so kalt, dass es den Klimawandel im Alleingang aufhalten könnte......außerdem kann ich als FDP-Parteigänger in allen Mövenpick-Hotels kostenlos nächtigen. Ein Traum von Klientelismus......

     

    Was würde die taz-Redaktion eigentlich ohne FDP machen?

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @casio:

      Die taz-Redaktion kommt schon durch.

      Schwerer hat es da schon die FDP. Aber vielleicht macht Herr Kubicki aus seinen in der Höhe nicht bekannten Einnahmen dann eine Spende an Lindner, Beer und Suding, und dann ist die FDP gerettet. Das ist ja überschaubar, da die FDP ja nur aus 4 Personen besteht.

    • @casio:

      Was würde die taz-Redaktion eigentlich ohne FDP machen ?

       

      Was wohl ? Vlt. sich an der AfD abarbeiten ? ;-)

      • 4G
        4932 (Profil gelöscht)
        @Nikolai Nikitin:

        Wir schaun mal, ob die FDP was hergibt am 24.9., ansonsten die AfD oder sonst die CSU. Da findet sich auf jeden Fall was. Beide, FDP und AfD sind für jeden Redaktionsmitarbeiter wunderbare Objekte. Da haben Sie recht.

    • @casio:

      'in Deutschland gibt es Mitbürgerinnen und Mitbürger, die diese kaltherzige, brutale und unmenschliche Partei wählen. Dies ist kein Verbrechen.'

      Nein, hat auch keiner behauptet.

      Ist aber auch kein Verbrechen, FDP und ihre neoliberalen Kolleginnen scheiße zu finden.

    • @casio:

      Na wunderbar! Nun haben Sie also ihr Coming-Out als eiskaltes Subjekt ja schön hinbekommen.

      Und jetzt können Sie sich wieder in Ihre Narzissten-Selbsthilfegruppe zurück gehen und ein Gläschen Schampus im Spiegelsaal des nächsten Mövenpicks schlürfen.

      Mein Gott, sind Sie schön!

  • Die FDP bleibt, was sie immer war. Sie verkörpert wie keine andere Partei die Interessen der Eliten und Kartelle, was heißt:

    Gewinne privatisieren - Verluste sozialisieren.

    Die FDP ist so nötig wie ein Krebsgeschwür...