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U-Bahn-Treter-Prozess in BerlinKnapp drei Jahre für Svetoslav S.

Das Gericht verurteilt einen Mann, weil er eine Frau von hinten die Treppe hinunterstieß. Laut Gutachten sei er nur vermindert schuldfähig.

Ein Überwachungsvideo machte S. im vergangenen Dezember als U-Bahn-Treter bekannt Foto: dpa

Berlin taz | Das Berliner Landgericht hat den als U-Bahn-Treter bekannt gewordenen Svetoslav S. zu zwei Jahren und elf Monaten Haft verurteilt. Damit lag das Urteil unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die für drei Jahre und neun Monate Haft für den Angeklagten plädiert hatte. Die Verteidigung von Svetoslav S. hatte eine Bewährungsstrafe unter zwei Jahren gefordert. Im Urteil berief sich das Gericht auf ein psychologisches Gutachten, das die verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten unter Beweis gestellt habe.

Das Gutachten war zu Beginn des vierten Prozesstages vorgestellt worden. Der Sachverständige Dr. Andreas Böhle hatte erklärt, einen Menschen mit sehr einfacher Intelligenzstruktur kennen gelernt zu haben, bei dem er sowohl eine seelische als auch eine organische Erkrankung festgestellt habe. Depressiv, ängstlich, paranoid und zwanghaft sei er aufgetreten, zusätzlich seien Schädigungen des Hirns festgestellt worden, offenbar Resultat eines Unfalls im Jahr 2008. „Das ist mit Sicherheit auch in diesem Fall zu beachten“, erklärte der Psychiater mit Blick auf die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung. Menschen mit dem festgestellten Krankheitsbild „neigen zu Durchbrüchen“.

Dass Drogen einen Einfluss auf die Hemmschwelle von S. gehabt haben, wollte der Gutachter nicht ausschließen. Der Angeklagte selbst und zwei ­ZeugInnen hatten vor Gericht angegeben, am Abend der Tat stark unter Drogen gestanden zu haben.

Die Staatsanwaltschaft rechnete dem Angeklagten in ihrem Plädoyer unter anderem seine Entschuldigung für die Tat positiv an. Die Anwältin des Opfers widersprach und unterstellte, die fehlende Erinnerung von Svetoslav S. an die Tat sei vorgeschoben und argumentierte: „Wer sich nicht erinnert, kann sich auch nicht richtig entschuldigen.“ Im Prozess habe sich letztendlich nur die Frau des Angeklagten entschuldigt. Vor Gericht hatte sie erklärt, sie bereue, vor der Tat einen Streit mit ihrem Mann am Telefon geführt zu haben, und stellte eine Verbindung zwischen der Auseinandersetzung und dem Übergriff im U-Bahnhof her.

Bundesweite Bekanntheit erreichte der Fall durch ein Überwachungsvideo vom Berliner U-Bahnhof Hermannstraße. Auf dem Video ist zu sehen, wie Svetoslav S. eine 26-jährige Frau mit einem Tritt in den Rücken eine Treppe hinunterstürzt. Das Video wurde Anfang Dezember letzten Jahres veröffentlicht und verbreitete sich rasant über unterschiedliche Kanäle. Wenige Tage nach Veröffentlichung des Bildmaterials wurde der Täter festgenommen.

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2 Kommentare

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  • Was im Artikel fehlt: Wie geht es denn dem Opfer heute???

    • @Rufus:

      Das wird nie, und in keiner Zeitung berichtet. Meine Theorie ist, dass bei der Berichterstattung Rachegefühle geschürrt werden könnten, und das ist criminel incorrectness. (Zynismus Ende)