Daniel Bax über den Vorwurf der Spionage gegen die Türkei: Falsche Erwartungen
Es ist sehr bedenklich, dass der türkische Geheimdienst Listen von Menschen in Deutschland erstellt, die er für Gegner der türkischen Regierung hält. Es ist ein Unding, dass diese Menschen Repressalien bis hin zu ihrer Verhaftung fürchten müssen, wenn sie in die Türkei einreisen wollen, oder dass ihnen – wenn sie türkische Staatsbürger sind – auf dem Konsulat der Pass entzogen wird. All das ist schon passiert, ohne dass der deutsche Staat dagegen viel machen konnte.
Die türkische Regierung kann nicht ernsthaft erwarten, dass ihr die deutsche Regierung auch noch dabei hilft, ihre Gegner in Deutschland zu verfolgen. Warum hat der türkische Geheimdienstchef dem BND-Chef Bruno Kahl dann unlängst eine Liste mit Hunderten Namen, Adressen und Fotos übergeben? Innenminister Thomas de Maizière hat vermutlich recht, wenn er dahinter nicht Naivität, sondern bewusste Provokation vermutet.
Es ist jedoch etwas hoch gegriffen, hier von Spionage zu sprechen. Nach allem, was man bisher weiß, haben sich der türkische Geheimdienst und seine Zuträger für die Erstellung ihrer Listen lediglich aus öffentlich zugänglichen Quellen wie Webseiten bedient, um Informationen über Menschen zusammenzutragen, die sie der sogenannten Gülen-Bewegung und deren Sympathisanten zurechnet. Nichts anderes macht auch der deutsche Geheimdienst, wenn er seine Berichte schreibt. Das Wort „Spionage“ aber weckt die Assoziation, dass hier Menschen heimlich ausgespäht oder Telefone abgehört wurden, wie es die NSA getan hat.
Wegen der Vorgänge ermittelt inzwischen die Bundesanwaltschaft, und erste Politiker fordern die Ausweisung mutmaßlicher türkischer Spitzel. Nur: Damit werden Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können. Denn es ist in Deutschland nicht strafbar, sich aus öffentlich zugänglichen Quellen zu bedienen, um Listen von missliebigen Personen zu erstellen.
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