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Debatte statt Hetze

von Katrin Gottschalk

Es gibt sie, diese Texte, die man zweimal lesen muss. Einmal für den Überblick, ein zweites Mal, nachdem man sich den Schaum vom Mund gewischt hat. Mithu ­Sanyal und Marie Albrecht haben einen solchen vor mittlerweile drei Wochen an dieser Stelle in der taz veröffentlicht.

Sie beschäftigen sich darin mit dem Begriff Opfer im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt und argumentieren, dass mit „Opfer“ bestimmte Vorstellungen verbunden sind, aus denen es schwer sei auszubrechen. Daher brauche es eine andere, aktivere Selbstbeschreibung. Sie schlagen „Erlebende sexualisierter Gewalt“ als mögliche Form vor.

Darüber lässt sich streiten, unbedingt. Ebenfalls an dieser Stelle erschien daraufhin ein Debattenbeitrag von Simone Schmollack. Die Passivität, die Sanyal und Albrecht in ihrem Text am Opferbegriff kritisieren, hält Schmollack gerade für wichtig.

Fast zeitgleich veröffentlichte der Blog Störenfriedas einen „Offenen Brief gegen die sprachliche Verharmlosung sexueller Gewalt“, der gegen Sanyals These Unterschriften sammelte. Darüber wiederum berichtete die Emma.

Mit der steigenden Aufmerksamkeit für den Text kam der Hass – denn rechte Trolle sind leider treue Leser feministischer Seiten. Mittlerweile kursiert im Netz ein Bild von ihr, auf dem steht: „Gutmenschin rät Opfer: Vergewaltigung kann auch Erleben sein. Viel Spaß!“

Bei dem Blog Politically Incorrect ist sogar ein Eintrag zu finden, in dem direkt auf Mithu Sanyals E-Mail-Adresse verwiesen wird. Diese ist ohnehin zugänglich, ja, aber auf einer Seite, die Sanyals These als „Ideologie der Menschenverachtung“ beschreibt, ist eine solche Veröffentlichung nur schwer anders denn als eine Einladung zu Hassmails zu verstehen. Natürlich bittet die Seite aber um eine „höfliche und sachlich faire Ausdrucksweise“.

Woher kommt der Hass?

Wie höflich die E-Mails sind, die Sanyal nun bekommt, beschreibt die Autorin in einem Beitrag für die Huffington Post: Ihr schrieben Menschen, „die mich nicht kennen und nichts über mich wissen, und wünschen mir, dass ich vergewaltigt werde, weil sie Opfer schützen wollen. Wie kann das Schutz von Opfern sein?“

Die „Wünsche“ in weiteren Nachrichten sind noch brutaler. An anderer Stelle im Netz seien ihre Telefonnummer und Adresse veröffentlicht worden. Woher kommt der Hass?

Der Wunsch, einen anderen Begriff für Opfer sexualisierter Gewalt zu finden, entsprang einer Debatte im taz-Café unter Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt hatten. Einige von ihnen meinten: „Ich bin kein Opfer.“ Diese Aussagen ernst zu nehmen ist nun genauso wichtig wie jene, die der genau entgegengesetzten Meinung entspringen.

Die ­Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch hat sich etwa en détail und sehr differenziert kritisch mit den Argumenten Sanyals und Albrechts auseinandergesetzt. Sie sieht die Kritik der Autorinnen, schlägt aber statt einer Umbenennung die Strategie des „Reclaiming“ vor, also das Wort Opfer mit neuen Attributen zu besetzen. Diese detaillierte Kritik ist aber eine Ausnahme. In der „Debatte“ werden mehrheitlich Textstellen der Autorinnen wiederholt so verkürzt dargestellt, dass sich gar nicht erst sinnvoll diskutieren lässt.

So werden aus „Erlebenden sexualisierter Gewalt“ im Originaltext nur noch „Erlebende“. Außerdem heißt es, die beiden Autorinnen forderten, überhaupt nicht mehr von Opfern zu sprechen. Dabei schreiben sie explizit: „Selbstverständlich soll ‚Erlebende‘ andere Bezeichnungen nicht ersetzen.“ Mit jedem Teilen des Textes im Netz geht ein bisschen Wahrheit verloren.

Es geht schon längst nicht mehr um den Text. Wir sehen hier eine Netzjagd auf eine Frau, wie sie leider immer wieder zu beobachten ist. Interessant ist, dass in vielen der Texte angenommen wird, dass Sanyal, weil sie als Expertin für dieses Thema gilt, nie Gewalterfahrungen gemacht habe. 40 Prozent der Frauen über 16 in Deutschland haben körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Die Koautorin des Textes hat sexualisierte Gewalt erfahren und im Heimweg-Blog der taz darüber geschrieben.

Debatten sind gut

Debatten sind gut. Debatten sind wichtig. Aber was ist eine Debatte wert, die dazu führt, dass eine Frau Vergewaltigungsdrohungen zugeschickt bekommt? Wie müssen Medien damit umgehen, dass sie ihre Autor*innen realer Gewalt aussetzen, wenn sie sie über Triggerthemen wie Feminismus oder sexualisierte Gewalt schreiben lassen?

Es sind nicht nur diese Themen, die zu besonders viel Hate­speech im Netz führen. Flüchtlinge, Islam und Migration gehören auch dazu. Erst diese Woche zeigte eine gemeinsame Studie vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und Mediendienst Integration, dass 42 Prozent der Befragten verbale und mitunter auch körperliche Angriffe im letzten Jahr erfahren haben.

Auch spielt eine Rolle, wer Texte schreibt. Eine Analyse aller Kommentare, die seit 2006 auf der Seite des Guardian hinterlassen wurden, ergab außerdem: Von den zehn am meisten beschimpften Personen sind acht weiblich und zwei Männer of colour.

Gewalt gehört mittlerweile zum journalistischen Alltag. Und sie verändert diesen. Viele würden laut der aktuellen Studie ihren Beruf als „Mutprobe“ beschreiben. Wenn ich dieses unangenehme Thema anfasse – führt es dazu, dass ich die nächsten Wochen mein E-Mail-Postfach nicht öffnen möchte? In unserem konkreten Fall: Werden die Autorinnen sich bei der nächsten Textanfrage der taz nicht dreimal überlegen, was sie schreiben werden? Debatten, die Denkanstöße geben könnten, werden so erstickt.

Wir müssen diskutieren, wir müssen ernsthaft diskutieren. Und vor allem müssen wir respektvoll bleiben. Mithu Sanyal erlebt gerade verbale Gewalt. Sie ist Opfer verbaler Gewalt. Und hier ist es nun reichlich egal, wie wir diesen Satz bilden.

Die These,auf die sich dieser Text bezieht, erschien in der taz.am wochenende vom 13. Februar. Mithu Sanyal und Marie Albrecht begründeten darin, warum der Begriff Opfer für „Erlebende sexualisierter Gewalt“ die falsche Bezeichnung sei. Nachzulesen ist der Text auch unter taz.de/erlebende

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