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Kommentar zum BundestagswahlkampfSchuld ist Schulz

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Mag sein, dass die Kanzlerin angesichts ihres Herausforderers hilflos wirkt. Doch Schulz’ Kandidatur hat auch Vorteile für sie.

Sie hat sich die ganze Wahlkampfnummer nochmal aufgebürdet – aber gegen Schulz zu verlieren wäre ok Foto: ap

S chon das Wochenend-Programm der beiden Kandidaten spricht Bände. Während sich SPD-Schulz im hippen Leipziger Kunstkraftwerk mit seiner Basis „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ nimmt, kommt CDU-Merkel in die Alte Brauerei zu Stralsund, um sich von ihrer Landesvertreterversammlung auf Listenplatz 1 zur Bundestagswahl küren zu lassen. Während also in Sachsen die Genossen das Wunder von Würselen feiern dürfen, müssen die Parteifreunde in Mecklenburg-Vorpommern dem Wahltag entgegenzittern und vorab ihre Spitzenkandidatin so wenig wie möglich beschädigen. Und schuld daran ist: Schulz.

Der SPD-Spitzenkandidat ist schon habituell eine Zumutung für Merkel. Der ganze Mann: eine Umarmung auf zwei Beinen. Und doch birgt diese Herausforderung auch Vorteile für die Amtsinhaberin. Und das aus gleich fünf Gründen.

Mit Martin Schulz werden wieder klare inhaltliche Linien zwischen Union und Sozialdemokraten erkennbar. Wer soll regieren – die oder wir? Das ist die Frage, die am 24. September den WählerInnen vorgelegt wird. Will die Union siegen, muss sie die von ihr reklamierte Mitte verlassen. Sie muss sich die Finger schmutzig machen – und dafür wahlweise Hass oder Bewunderung ernten.

Ältere CDUler dürften das noch aus den Barzel/Brandt- und Strauß/Schmidt-Wahlkämpfen der Siebziger und Achtziger kennen. Zu wissen, auf welcher Seite man steht, kann ungemein beleben.

Liebling, ich hab die AfD geschrumpft

Schulz schweißt die Union wieder zusammen. Die Abneigung zwischen CSU-Chef Horst Seehofer und CDU-Chefin Angela Merkel war zuletzt mit Händen zu greifen. Länger als ein Jahr hat er sie geschurigelt. Plötzlich, eine Woche nach Schulz’ Ausrufung zum Kanzlerkandidaten, schaffte es Seehofer beim Münchner Friedensgipfel doch noch, sein Ego einzuhegen. Endlich: ein gemeinsamer Gegner. Im Wahlkampf wird der CSU-Chef hemmungslos auf den Sozi eindreschen dürfen, derweil Merkel ruhig ihre Bahnen ziehen kann.

Schulz schrumpft die AfD. Und das freut auch die Union. Fünf Landtagswahlen hat die CDU im zurückliegenden Jahr durchlitten. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin – überall haben die Konservativen Wähler verloren, während die AfD zweistellig in die Parlamente einzog. Seit Schulz’ Ausrufung ändert sich das wieder.

Nur noch acht Prozent würden aktuell AfD wählen. Das mag auch an internen Querelen liegen. Doch auch die Aussicht, dass Angela Merkel das Kanzleramt räumen könnte, treibt die Wähler fort von den Populisten. Endlich lautet die Frage nicht mehr, wie die AfD kleingehalten werden kann. Sondern: Union oder Sozis?

taz.am Wochenende

Sie steigen aus. Jahrelang hatten Wolfgang Bosbach, Jan van Aken und Bärbel Höhn Macht und Einfluss im Bundestag. In der taz.am wochenende vom 25./26. Februar sprechen sie über das Innerste der deutschen Politik. Außerdem: Eine Reportage über das erste afrodeutsche Prinzenpaar und seine jecke Integrationswerbung im Karneval. Und eine Spurensuche: Die EU zahlt Milliarden für den Flüchtlingsdeal, aber wohin geht das Geld? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Schulz weckt nicht nur positive Gefühle. Beide SpitzenkandidatInnen könnten unterschiedlicher nicht sein. Hier der emotionalisierende Martin – dort die sachliche Angela. In dieser Kombination werden sich selbst die hartgesottensten Merkel-Kritiker noch freuen, solch eine Frau an der Spitze zu haben. Denn permanente Gefühlsgewitter, sieben Monate Klassenkampf, das hält weder ein Schulz durch noch seine Anhänger. Gut, wenn man da als Union eine Kandidatin hat, die Stringenz nicht nur verspricht, sondern sie auch verkörpert wie keine andere.

Schulz könnte Merkels Exit-Strategie sein

Schulz könnte Merkels Türöffner raus aus der Bundespolitik werden. Es ist bekannt, dass Angela Merkel lange mit ihrer Entscheidung gezögert hat, noch einmal anzutreten. Wahlkampf ist alles andere als vergnügung­steuerpflichtig, die politische Lage ebenfalls. Aber wer aus der CDU sollte sonst ran? Das war die Frage.

Am Ende hat Merkel die Verantwortung gewählt, obwohl sie nicht einmal mehr die volle Unterstützung ihrer eigenen Partei hat. Martin Schulz ist ein Herausforderer, dem Merkel sich unter Wahrung ihres Gesichts geschlagen geben könnte. Und wer sagt denn, dass es nicht auch mit einem Kanzler Martin Schulz wieder eine Große Koalition gibt? Für Merkels Getreue wäre dann gesorgt.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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14 Kommentare

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  • Schöner Artikel zu einem Thema über welches man in letzter Zeit viel liest.

     

    Schulz als Merkels Exit-Strategie ist ein gutes Argument, weil die CDU mit dem erneuten Antritt Merkels einen ähnlichen Weg ging wie damals bei Kohl. „Mutti muss es machen! Wir haben nix besseres!“

    Und die Zeit in der Opposition nach Kohl hat der CDU gut getan.

    Gehen wir mal davon aus, dass die SPD die nächste Wahl gewinnt und den Kanzler stellt.

    Sagen wir mal es kommt Rot-Rot-Grün. Dann hat die CDU 4 Jahre Zeit jemand neues zu finden und mit dieser Person dann die SPD herauszufordern.

    Und es wird viele Angriffspunkte bei RRG geben, ich sage nur die LINKE die mit Lafontaine zum Koalitionsbruch aufrief. Solche Kommentare werden des Öfteren vom Saar Napoleon kommen und den Koalitionsfrieden stören.

    Möglichkeit 2: Wieder eine GroKo. Aber diesmal mit der CDU als Juniorpartner. Auch in diesem Fall wird Merkel sicher kein Amt übernehmen. Aber für die CDU wird es ähnlich schwer werden wie für die SPD damals mit Steinmeier und Steinbrück.

    Kandidaten die gegen ihren Koalitionspartner antreten und erklären müssen was sie besser können und für welche Fehler sie in der Regierung nicht verantwortlich waren.

  • Es gibt momentan viele Themen, wo beide Parteien eine breite Masse an Bevölkerung treffen würden, wenn es Verbesserungen auf der Bundeseben gebe.

     

    -Energiewende.

     

    Ist zweifellos sehr wichtig für Deutschland und die ganze Welt und muss umgesetzt werden. Die Umsetzung in unserem Land ist aber ungerecht. Die Energiewende wird größtenteils durch den Endverbraucher finanziert also meist auf den Schultern der Bevölkerung getragen. Bspw. Energieversorgungsunternehmen wälzen die Energiekosten der Energiewende auf den Endverbraucher ab.

     

    -Wohnungspolitik.

     

    Energetische Modernisierung bspw. wird längst als Aufwertung der Immobilien und Erhöhung der Mietpreise zum Zwecke der langfristigen Gewinnmaximierung seitens der Immobilieneigentümer benutzt. Die Kosten der energetischen Modernisierung tragen allein die Mieter. Und nach der Modernisierung, also nachdem die Investitionen der Vermieter durch höhere Mieteinnahmen ausgeglichen wurden, bleibt die Miete trotzdem weiterhin auf dem erhöhten Niveau und wird von Vermietern nicht gesenkt.

     

    -Arbeitslosigkeit.

     

    Nicht Arbeitslose Menschen müssen ständig bestraft werden, weil sie angeblich nicht arbeiten wollen, sondern Unternehmen, von denen sehr viele entgegen dem Sozialstaatsprinzip wirtschaften, müssen der gesellschaftlichen Verantwortung verpflichtet werden.

  • "eine Kandidatin hat, die Stringenz nicht nur verspricht, sondern sie auch verkörpert wie keine andere."

     

    Stringenz, wann? wo? hab ich was verpasst?

     

    Hier mal ein paar "Stringenz"-fakten:

    - PKW-Maut wird es mit mir nicht geben"

    - Aufkündigung Atomkonsens im Herbst 2010, 180 Grad Wende 8 Monate später.

    - Erst stilisiert man sich zur Klimaretterin um danach auf EU-Ebene schärfere CO2-Grenzwerte für PKWs zu blockieren und politisch die Kohleverstromung zu forcieren.

    - Das jahrelang bestehende Dublin-Abkommen hebelt Merkel mal kurz spontan mit Ihrer "Willkommenskultur" aus, um dann hinterher wieder Grenzkontrollen einzuführen und mit Erdogan zu paktieren. - sehr stringent das Ganze.

  • Schulz muss Merkel stellen und das wird schwer, sie muss ihn nur abwehren und sich als Landesmutti gerieren. So einfach wird das nicht, Merkel los zu werden. Außerdem fehlt mir noch die Wechselstrategie bei Schulz - ein wenig Menschen wieder zu befördern bzw. ein paar besser zu stellen, wird nicht wirklich die Masse mobilisieren. Außerdem regiert die SPD ja selber im Bund mit CDU/CSU - das spricht für Nähe, wie will Schulz daraus Kontrast, Konflikt und Differenz erzeugen?

  • Hmpf, also muss ich jetzt nach Überschrift und Untertitel noch weiter lesen?

    Erscheint mir Zeitverschwendung, weil Hoooorse Raaaaaceeeee mit Wette auf die alte Merkel Stute.

     

    Oh verdammt, dann hab ich es doch überflogen und war im Recht. Inhaltlich gleich 0 . Spekulationen über Personen und Posten.

     

    Scheiß die Wand an, ich geh mal RegPK von gestern gucken. Vermutlich kommt selbst da mehr Inhalt bei rum. Wie Sie wissen soll das schon was heißen.

  • Ich kann die Namen Merkel, Schulz u.a.

    nicht mehr sehen.

    Die beiden wirken wie ein Feindbild im wirklichen, sozialen Körper.

    Nur die Linke ist wirklich für die kleinen Leute.

    Wer als "kleiner Bürger" noch CDU/CSU, SPD, FDP wählt, hat eh nicht mehr alle Gabeln in der Schublade.

  • Endlich mal ein Kommentar, der wesentliches auf den Punkt bringt.

    Und der nicht fragt, wie lange der "Schulz-Effekt" noch anhält.

    Oder das sich die Lage wieder ändern wird, wenn erst die Wahl-Programme der Parteien vorlegt werden (was für ein Schwachsinn; wer liest Wahlprogramme und wählt danach?).

    Und richtig; "Sozis oder Union" wird zur Wahl stehen, wie seit 20 Jahren nicht mehr.

    Und in persona: Martin oder Angela.

    Dies wird ein Personenwahlkampf ... nichts fürchtet die Union eigentlich mehr ... und kein Lagerwahlkampf.

    Allein deswegen wird es grandios spannend.

  • Jetzt ist plötzlich auch bei Frau Maier wieder mal die "Sachlichkeit" gefordert, was leider meist nichts anderes meint, als ein vermeintlich unvermeidliches Kontinuum ausgerechnet aus seinem Ist-Zustand begründen zu wollen. Die Bundespräsidentenkür unlängst war ein Paradebeispiel dazu.

    Nicht wenige sind deshalb wohl auch jederzeit unreflektiert bereit, die fortgeschrittene Erdoganisierung der deutschen Politik mit "Stabilität" und "Sicherheit" zu verwechseln. Merkel ist gewiss eine beeindruckende Persönlichkeit, aber die Politik ihrer Regierungen war im Ergebnis unterm Strich eine einzige Katastrophe für die Mehrzahl der Menschen in Deutschland und in Europa.

    • @Rainer B.:

      Die Politik ihrer Regierungen zählt zweifellos zu der Erfolgreichsten.

      ("Ich leite die erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung")

       

      Glauben Sie etwa sinkende Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum und ein solider Finanzhaushalt sind Zufallsprodukte?

      ("Deutschland geht es gut.")

       

      Wenn es Tatsächlich zu R2G kommen sollte, wird man Merkel sehr bald vermissen.

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @IL WU:

        "Wenn es Tatsächlich zu R2G kommen sollte, wird man Merkel sehr bald vermissen."

         

        Aber wer ist denn "man"?

        Wahrscheinlich sind es die Einfallslosen, welche in Merkel-Zitaten eine Art Beweiskraft sehen wollen.

      • 1G
        10236 (Profil gelöscht)
        @IL WU:

        "Glauben Sie etwa sinkende Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum und ein solider Finanzhaushalt sind Zufallsprodukte?"

         

        Nee. Produkte einer blinden exportorientierten auf Lohndumping (ja auch auf dem hohen Niveau kann man Lohndumping betreiben) basierenden Politik,

        http://www.querschuesse.de/wp-content/uploads/2012/05/1a217.jpg

         

        wo man heimlich gehofft hatte, dass diejenigen die negative Bilanzen haben, es trotzdem hinnehmen.

         

        Sie können sich den GAU nicht vorstellen, wenn es in die Hose geht. V.a. für ein Land, dass 50% des BIPs exportiert.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    SIE weiß, dass sie viele Menschen nicht (mehr) überzeugt, bzw. mit ihren austauschbaren Statements langweilt, und damit hätte sie gegen den wendefreudigen Goslarer kein Problem gehabt.

    Jetzt ist aber einer auf die Bühne getreten, der vergessen geglaubte Themen aufs Tapet bringt, die Frau Merkel jetzt nicht einfach im Handstreich besetzen könnte, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

    Was ihr bleibt, ist Auf-der-Stelle-treten als Programm.

  • Verblüffend wie Medien (und speziell die) und Wahlvolk bzw. Parteigänger (x Tausend SPD Neueintritte seit Martin S.; (ggf. als Gegenreaktion auch bei der CDU demnächst?) sich von einer einzigen Personalie beeindrucken lassen!

     

    An wie vielen Regierungen der letzten 16 Jahre nochmal war die SPD NICHT beteiligt? Was nochmal hat der Schulz in Europa gemacht außer mit dem Juncker auf gnadenloses EU-Flächenwachstum zu setzen und für allfällige Probleme (die natürlich alle nicht zu erwarten waren und deshalb Krisenbewälltizngsmechansimen obsolet waren?)

     

    Solange sich die Wähler von anbiedernden (ich komme aus Würselen und habe doch tatsächlich kein Abitur und deswegen verstehe ich euch in all euren Schichten) Politikern so beindrucken lassen wird das nix mit einer Politik jenseits von Parteinteressen und dümmlichen Selbstdarstellungen.

     

    Ist es denn nicht möglich die Leute an ihren Taten zu messen anstatt an ihren Worten?

    Haben wir vielleicht keine Fake Medien aber doch Service Journalismus für Politik und Wähler?

    Die Angst scheint groß, dass wenn es für den Bürger unbequem wird, man nicht mehr gelesen/gewählt wird.

    Bei der TAZ will ich das anders sehen und deshalb erware ich da ein bisschen mehr!

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Mit Martin Schulz werden wieder klare inhaltliche Linien zwischen Union und Sozialdemokraten erkennbar."

     

    Welche "klaren inhaltlichen Linien"? Liebe Frau Maier, Sie verlinken da auf einen Artikel Ihrer werten Kollegin, der sich vordergründig damit beschäftigt, wie Martin Schulz sich vor den klaren Aussagen drückt, die den von den Sozialdemokraten angerichteten sozialpolitischen Schlamassel in Frage stellen würden.

     

    "Und wer sagt denn, dass es nicht auch mit einem Kanzler Martin Schulz wieder eine Große Koalition gibt?"

     

    Na jetzt reden wir Tacheles. Gleiche Politik mit einem "regime change".