Debatte Ernährung und Landwirtschaft: Klasse statt Masse
Obwohl Milliarden in die Landwirtschaft fließen, schließt ein Hof nach dem anderen. Warum die Lage der Bauern uns alle angeht.
W as für eine Geldverschwendung: Jährlich unterstützt die Europäische Union die Landwirtschaft in den Mitgliedsländern mit 55 Milliarden Euro Subventionen. Das sind 110 Euro pro EU-Einwohner, vom Baby bis zum Greis. Dennoch haben etwa in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt seit 1960 ganze 80 Prozent der Betriebe aufgegeben. Und immer noch schließen vor allem kleine Höfe. Das ist die Lage der Landwirtschaft, deren weltgrößte Messe, die Grüne Woche, am Freitag in Berlin begonnen hat.
Wenn zu viele Höfe schließen, können ganze Regionen auf dem Land abgehängt werden – ein Einfallstor für politischen Extremismus. Dass immer mehr kleine und mittlere Höfe durch wenige Megabetriebe ersetzt werden, befördert zudem die immer ungleichere Wohlstandsverteilung in Deutschland. Und nicht zuletzt geht es um die Umwelt und das Wohl der Tiere. Wer nur noch Verluste macht, dem fällt es schwer, mehr für die Artenvielfalt zu tun oder Kühe artgerechter zu halten. Die Lage der Bauern geht uns alle an.
Höfe schließen in erster Linie, weil sie nicht mehr rentabel sind. Zwar haben die Bauern ihre Produktionskosten in den vergangenen Jahrzehnten dank des technischen Fortschritts gesenkt und erzeugen heute pro Hektar und Arbeitskraft viel mehr als früher: Ein deutscher Bauer ernährt nun 15-mal so viele Verbraucher wie noch 1950.
Aber das Sinken der Kosten hat es dem Handel auch ermöglicht, die Preise zu drücken. Rechnet man die Inflation heraus, bekamen die Landwirte 2008 etwa 6 Prozent weniger für jedes tierische Produkt als 11 Jahre zuvor.
Billiger und produktiver
Um bei den geringen Stückpreisen noch etwas zu verdienen, setzten viele Bauern auf Masse. Sie errichteten größere Ställe und pachteten noch mehr Äcker. Die Deutschen werden aber eher weniger und können auch nicht noch mehr essen. Deshalb suchten die Landwirte ihr Heil im Ausland: Sie lieferten Milch nach China, Schweinefleisch nach Russland, Hühnchenteile nach Afrika.
Doch die Chinesen produzieren zunehmend selbst Milch. Die Russen boykottieren infolge des Ukrainekonflikts Schweinefleisch aus der EU. Und es ist unrealistisch, dass die deutschen Bauern mit ihren hohen Arbeitskosten langfristig gegen Billigproduzenten wie Brasilien bestehen können.
Nun gibt es von vielen Agrargütern zu viel in der EU – und die Preise rutschen noch weiter in die Tiefe. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage ist es für junge Leute immer unattraktiver, die Entbehrungen des Bauerndaseins – wenig Urlaub, viel körperliche Arbeit – zu akzeptieren.
Mitnichten wurde die Misere durch strengere Umwelt- und Tierschutzvorschriften verursacht. Diese haben zwar die Produktionskosten etwas erhöht, doch dass massenhaft Betriebe aufgeben, begann schon sehr lange vor den zaghaften Gesetzesverschärfungen.
Hermetisch abgeriegelte Tierfabriken
Um das Höfesterben zu stoppen oder zumindest stark zu bremsen, sollte die EU ihre Subventionen nicht mehr in erster Linie dafür zahlen, dass jemand Land hat. Grundbesitz ist derzeit die wichtigste Bedingung, um Geld aus Brüssel zu erhalten: Es gibt Zahlungen pro Hektar, weitgehend unabhängig davon, wie umweltfreundlich der Boden bewirtschaftet wird.
Künftig müssen die Milliarden ausgegeben werden, um hermetisch abgeriegelte Tierfabriken umzubauen in Ställe mit Zugang ins Freie und mit tierfreundlicherer Haltung auf Stroh. Geld sollte zum Beispiel auch dafür fließen, weniger Pestizide und Dünger einzusetzen, was mehr Tier- und Pflanzenarten vor dem Aussterben bewahren würde. Oder dafür, Kühe auf der Weide statt nur im Stall zu halten. Dieser Umbau des Subventionssystems könnte flankiert werden von strengeren Vorschriften etwa gegen Überdüngung.
Solche Maßnahmen sind schon aus Umwelt- und Tierschutzgründen geboten. Bislang verschmutzen vor allem die Bauern das Grundwasser mit Nitrat, das sich im Körper teils in giftiges Nitrit verwandelt. Die Landwirtschaft ist auch einer der größten Klimakiller. Sie ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Artenvielfalt abnimmt. Und die meisten Tiere werden schlecht gehalten.
Eine Ökologisierung der Landwirtschaft würde auch dazu führen, dass weniger Lebensmittel produziert und Überschüsse abgebaut würden. Denn Weidehaltung etwa braucht mehr Platz und ist ab bestimmten Viehzahlen je Betrieb aus praktischen Gründen unmöglich. Am Ende bekämen die Bauern endlich wieder faire Preise.
Weniger für den Export
Aus Nicht-EU-Ländern drohte kaum Gefahr, wenn die Mitgliedsländer ihre Agrarproduktion reduzieren und verteuern würden. Verbote von Hormonfleisch oder bestimmten Desinfektionsmethoden etwa begrenzen Importe zum Beispiel aus Nordamerika effektiv. Es gibt auch noch hohe Zölle auf Einfuhren beispielsweise von Milchprodukten. Genug zu essen hätten wir bei so einer Agrarpolitik dennoch. Die Landwirte würden ja nur ihre Produktionsüberschüsse abschmelzen und weniger exportieren.
Allerdings müssten die Verbraucher etwas mehr zahlen für ihre Lebensmittel, wenn die Bauern mehr Geld erhalten sollen. Aber diese Mehrbelastungen dürften sich in Grenzen halten. Denn die Landwirte erhalten nur 22 Prozent von jedem Euro, den die Verbraucher für Nahrungsmittel ausgeben. Den Rest kassiert zum Beispiel der Handel.
Trotzdem könnten diese geringen Steigerungen etwa Hartz4-Empfänger besonders treffen. Sie müssten vom Staat einen Ausgleich bekommen, zum Beispiel durch Steuererleichterungen oder die Erhöhung von Sozialleistungen. Finanziert werden könnte das beispielsweise, indem auf Fleisch künftig der normale Mehrwertsteuersatz von 19 statt der bisherigen 7 Prozent erhoben würde.
Es gibt also Konzepte gegen die Pleite der Bauern. Die EU-Kommission hat schon versucht, die Agrarsubventionen erheblich zu ökologisieren. Sie hat es den Mitgliedsländern sogar ermöglicht, selbst Subventionen umzuverteilen. Doch vor allem einer bremst sie regelmäßig aus: das Bundesagrarministerium – geführt seit fast 12 Jahren von der CSU.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk