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Verkehrswende verkehrtRadfahrer rausgeworfen

Jahrzehntelang durfte in den Fußgängerzonen am Altonaer Bahnhof geradelt werden. Nun glaubt die Polizei, dass das unzulässig und gefährlich sei.

Botschaft noch nicht angekommen: In der Ottenser Fußgängerzone darf eigentlich nicht mehr geradelt werden Foto: Joto

HAMBURG taz | In den Fußgängerzonen am Altonaer Bahnhof darf nicht mehr geradelt werden. Viele Jahre lang konnten sich Radler in der Ottenser Hauptstraße, auf dem Paul-Nevermann-Platz und in der Neuen Großen Bergstraße unters Fußvolk mischen. Doch vor anderthalb Jahren stellte die Polizei plötzlich fest, dass das gar nicht zulässig und überdies gefährlich sei. Jetzt sind die Ausnahme-Verkehrszeichen weg und die Bezirksversammlung plant, den RadfahrerInnen Alternativen anzubieten.

Beschwerden über die Radler gebe es „nicht erst seit gestern“, sagt Martin Roehl, der Sprecher des Bezirksamtes Altona. Es gebe genügend Radfahrer, die in der gut besuchten Einkaufsstraße mit Außengastronomie keine Rücksicht auf Fußgänger nähmen. „Wenn wir Radfahrer hätten, die die Fußgänger nicht wegklingeln würden, bräuchten wir das nicht“, sagt Roehl.

In ihrer „straßenverkehrsbehördlichen Anordnung“ vom Februar vergangenen Jahres stellt die Polizei fest, die Ottenser Hauptstraße sei ausschließlich Fußgängern und dem Wirtschaftsverkehr der Anlieger gewidmet. „Durch Verkehrszeichen darf kein Verkehr zugelassen werden, der über den Widmungsgehalt hinausgeht“, heißt es in der Anordnung.

In der Bezirksversammlung stieß es zunächst auf Unverständnis, dass in der Ottenser Hauptstraße nicht mehr geradelt werden sollte. Eva Botzenhart von den Grünen bezeichnete das Verbot damals in der taz als vollkommen unverständlich. Ute Naujokat von der SPD sagte: „Man kann nicht einfach ignorieren, dass es den Radverkehr nun mal gibt.“

Altonaer Ausweichroute

Das Bezirksamt Altona hat einen Vorschlag für eine Ausweichroute erarbeitet, der im Verkehrsausschuss diskutiert wird.

Spritzenplatz: Ein Zweirichtungsradweg soll die westliche Ottenser Hauptstraße mit der Großen Rainstraße verbinden.

Ottenser Hauptstraße: Statt vor dem Mercado sollen Radler auf einer durchgehend asphaltierten Strecke hinter dem Einkaufszentrum fahren.

Paul-Nevermannplatz: Zwischen Bahnhof und Busbahnhof soll ein Zweirichtungsradweg abgeteilt werden.

Neue Große Bergstraße: Die Sperrung für Radler bleibt mindestens so lange bestehen wie die dortige Baustelle. Radler können über die Große Bergstraße ausweichen.

Auf Bitten des Altonaer Verkehrsausschusses wertete die Polizei die Unfalllage in der Fußgängerzone aus. In den Jahren 2012 bis 2014 gab es demnach fünf Unfälle mit Verletzten unter Beteiligung von Radfahrern, wobei dreimal Radler mit Fußgängern kollidierten und zweimal untereinander. Ab vier solcher Unfälle gelte eine Straße als „Unfallhäufungslinie“, teilte die Polizei mit. Im selben Zeitraum seien Lastautos nur viermal irgendwo gegen gefahren.

„Wir haben im Verkehrsausschuss lange diskutiert, ob es eine Möglichkeit gäbe, eine Fahrradstrecke da durchzuführen“, sagte Naujokat am Sonntag. Mit 20.000 Passanten am Tag sei die Straße aber einfach zu voll. „Als Fußgängerin rechnet man da nicht mit Radlern.“

Nach dem Willen des Verkehrsausschusses solle die Straße nur tagsüber für Radler gesperrt werden, sagte Anke Frieling von der CDU. Von wann bis wann sei noch unklar. Außerdem hat das Bezirksamt einen Vorschlag für eine Ausweichroute erarbeitet.

Wer mit dem Rad in der Ottenser Hauptstraße einkaufen wolle, müsse „eben mal 100 Meter schieben“, sagte Frieling. Für die Neue Große Bergstraße gelte das Radelverbot vorerst nur wegen der dortigen Baustelle.

Der Fahrradverband ADFC bezweifelt wegen des Umweges, dass die Alternativroute funktioniert. Besser als ein Radelverbot wären Zusatzschilder „Bitte Rücksicht nehmen“, sagte ADFC-Sprecher Dirk Lau. Fünf Unfälle in drei Jahren sind für ihn eher ein Indiz, dass Fußgänger und Radfahrer auf der Ottenser Hauptstraße überwiegend gut miteinander klarkommen.

Der Schwellenwert von vier Unfällen ist für Lau neu. „Straßen, an denen es zu Unfällen mit Autofahrerbeteiligung gekommen ist, werden meines Wissens nicht nach diesem Schwellenwert behandelt und dann für den Autoverkehr gesperrt“, sagte der ADFC-Sprecher. Dabei lege die Schwere der Autounfälle eine Sperrung viel eher nahe.

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11 Kommentare

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  • .... und die "Durchmischung" gibt es ja auch an anderen Stellen in Ottensen - überall auf Gehwegen, wo die Straßen gepflastert sind und Radfahren holprig wird. Ganz haarig wird es meist auf den Gehwegen der Ottenser Hauptstraße. Dort wird man sogar von nebeneinander fahrenden Radlern angeklingelt u wütend angemacht, wenn man sich als Fußi nicht sofort trollt.

    • @Nikolausi:

      Mir ist auf dem Gehweg in der Ottenser Hauptstr. noch nie ein Radfahrer begegnet, der Fußgänger anklingelt. Nebeneinander fahren oftmals eher Kinder und die müssen bis zum 11 Lebensjahr auf dem Gehweg fahren, wenn kein Radweg vorhanden ist.

  • Vielleicht könnte man Radfahren wenigstens ausserhalb der Haupteinkaufszeiten erlauben? Funktioniert z.B. in Loughborough ganz gut, da ist in der Fußgängerzone Radfahren nur Mo-Sa zwischen 10 und 16 Uhr nicht erlaubt

  • Faszinierend, wie jemand zum Schluß kommen kann, daß Radfahrer durch Fußgängrzonen fahren dürfen sollten.

     

    Wer einigermaßen regelmäßig Fußgängerzonen benutzt, dem fallen regelmäßig die höllisch gefährlichen Situationen auf, die ein großer Teil der Radfahrer hervorruft, indem mit zu hoher Geschwindigkeit, rücksichtslosen, weil zu nahem Passieren und zur Dämmerstunde ohne Licht gefahren wird.

     

    Radfahrer haben Radwege oder die Straße zu benutzen.

    • @Claus Zuhaus:

      Und Fußgänger haben den Gehweg zu benutzen! Vor allem, die die Pokemons jagen! Und parkende Autos haben nichts auf Radwegen verloren! Und wenn die Radfahrer demnächst wieder auf's Auto umsteigen, weil die Stadt zu gefährlich zum Radfahren geworden ist, haben wir ein echtes Problem. Dann kommt hier keiner mehr voran.

  • "am besten bei Rot und ohne Licht, ist immer der Autofahrer schuld."

     

    Na, wenn der Autofahrer bei rot (also dunkelgelb) und ohne Licht jemanden überfährt, ist natürlich der Autofahrer schuld.

  • Die Ottenser Hauptstraße ist mein täglicher Weg zum und vom Arbeitsplatz. Allein in diesem Jahr habe ich etwa 10 Unfälle zwischen Radfahrern und Fußgängern registriert, die fast immer nach dem gleichen Schema ablaufen: Radfahrer mit überhöhter Geschwindigkeit touchiert von hinten kommend ahnungslosen Fußgänger, kommt teilweise selbst zu Fall, rappelt sich auf und fährt unter wildem Gefluche über die "behinderten Spasties" weiter. Dabei ist eins klar: Auf Grund der stark frequentierten Straße ist selbst der Versuch von Fahrradfahrern, diese Straße auch nur mit moderatem Tempo zu durchqueren, ein Vabanque-Spiel. Und auch unserer Kampfradler-Fraktion sollte es zugemutetet werden, in aller Ruhe mal abzusteigen und ihre -oft bremsenlosen- Edelrösser mal 200 Meter zu schieben.

    • @Thea:

      Meiner auch, Thea, aber ich habe in 5 Jahren keinen einzigen Unfall registriert. Es gibt sicher auch verantwortungslose Radfahrer, aber der größte Teil fährt rücksichtsvoll - und es gibt ja auch Fußgänger, die auf Radwegen laufen, weil ihr Handy sie mal eben dahin navigiert hat. Es gibt Autofahrer die Fußgänger überfahren - die sind dann tot. Straßen gibt es trotzdem noch. Mir machen die SUV-Edelrösser in den schmalen Straßen Ottensens viel mehr Kopfweh. Die brettern hier durch als gäbe es kein Morgen. Komisch, dass sich darüber kaum jemand aufregt!

  • "Viele Jahre lang konnten sich Radler ... unters Fußvolk mischen."

     

    Nur daß das Druntermischen bei den allgegenwärtigen Kampfradlern eine echte Gefahr bedeutet. Sie rempeln, pöbeln, klingeln, schneiden Fußgängern den Weg an, erkennen keinerlei Regeln an. Und wenn sich mal wieder einer davon in Kamikaze-Manier vor ein Auto gestürzt hat, am besten bei Rot und ohne Licht, ist immer der Autofahrer schuld.

     

    In anderen Zusammenhängen würde man solche Individuen aussortieren und bestrafen. Aber wenn es sich um Radfahrer handelt, ist das offenbar tabu. Sie tragen das selbstgerechte Gefühl der Rechtschaffenheit wie eine Krone. Was sollte ihnen schon etwas anhaben, wo sie doch so umweltfreundlich-sportlich-dynamisch daherkommen? Unfälle werden bagatellisiert, Beinah-Unfälle gar nicht registriert. Von wegen 5 Unfälle in 2 Jahren! Das dürfte so etwa der Schnitt in zwei Stunden sein. Nur dass der Kampfradler halt einfach abhaut, wenn er jemanden gerempelt oder umgenietet hat. Und der Betroffene keinen Benefit darin sieht, eine aussichtslose Anzeige bei der Polizei zu machen. Die sieht sowieso weg.

     

    Es ist schon besser, wenn man Radler bei Radlern lässt und Fußgänger bei Fußgängern. Leider wird jede Freizügigkeit immer schnell von irgendwem missbraucht.

    • @Läufer:

      Volle Zustimmung und für alle Menschen mit Zweifeln, ob das gerechtfertigt ist, empfehle ich einfach mal einen Ausflug an einem normalen Wochentag in Städte wie Freiburg, Konstanz oder Darmstadt. Freiwild ist da durchaus noch verniedlichend beschrieben.

       

      Allerdings wird damit natürlich nicht geklärt, wie das Gesellschaftliche Zusammenleben weiterhin funktionieren soll, wenn sich ständig neue Gesellschaftsblasen (Radfahrer vs. Autofahrer vs. Fußgänger vs. Mütter mit Kinderwägen vs. Rollstuhlfahrer vs. Rentner vs. Schüler vs. Pendler vs. ......) bilden, deren Mitglieder ohne Rücksicht auf Verluste aufeinander einschlagen. Ein normales Miteinander bekommt heutzutage noch nicht mal mehr die "aufgeklärte liberale Mittelschicht" hin, siehe sämtliche Debatten der letzten 5 Jahre. Und ganz ehrlich so dermaßen wie dabei mittlerweile Verachtung und Entmenschlichung betrieben wird, war es noch nicht mal im tiefsten Mittelalter.

    • @Läufer:

      absolut gestapelt - dort kommt ma sich wirklich wie Freiwild vor!