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Kommentar Sexismus in den USADas verklemmte Schweigen

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Donald Trump hat eine Schwelle der Duldbarkeit überschritten. Somit wurde ein Resonanzraum geschaffen.

Nur schwer zu ertragen: Donald Trump Foto: ap

D as Niveau politischer Auseinandersetzung im US-Wahlkampf 2016 ist drastisch gesunken, die offene Lüge gilt als neue Wirklichkeit. Es war nicht mehr sehr wahrscheinlich, dass Donald Trump noch vor dem 8. November an eine Grenze stoßen würde. Genau das aber ist nach seiner obszönen Prahlerei mit sexuellen Übergriffen geschehen.

Plötzlich geißeln auch erzkonservative Strömungen Trumps „unverholene Unmoral“. Eine neue Genderdebatte wie in den 70er Jahren wird sich daraus zwar nicht entwickeln. Dazu ist das Land sozial wie ideologisch viel zu tief gespalten. Weil es Trump jedoch geschafft hat, doch noch eine Schwelle der Duldbarkeit zu überschreiten, hat er einen Resonanzraum geschaffen.

Über Sex wird nicht gesprochen in den verklemmten Staaten von Amerika. Und nur ganz allmählich ist die allgegenwärtige sexuelle Gewalt diskussionsfähig. Entsprechend stumm bleiben die meisten Mädchen und Frauen bei sexuellen Übergriffen. Trumps Eingeständnis wirkt hier, als ob ein Tor geöffnet worden wäre. Millionen Tweets sind eine Botschaft an diese Gesellschaft.

In Deutschland hat im Jahr 2013 #Aufschrei einen Grimme-Preis verliehen bekommen. Ausgezeichnet wurden „all jene Hashtag-Nutzer, die die Problematik des existierenden Alltagssexismus konstruktiv diskutiert haben“. Mit dem #Aufschrei hat sich etwas im öffentlichen Diskurs verschoben. #notok hat für die USA ein ähnliches gesellschaftspolitisches Potenzial.

Große US-Politiker haben ihrem Land große Worte hinterlassen.

Bei i.redd.it findet sich dazu dieser Tage eine prägnante Zusammenstellung. „Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Angst selbst“, schrieb Franklin Delano Roosevelt. „Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, frage, was Du für Dein Land tun kannst“, sagte J.F. Kennedy.

„Pack sie an der Muschi“, wird von Donald Trump bleiben.

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Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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11 Kommentare

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  • "Meine amerikanischen Mitbürger, es freut mich, Ihnen heute mitteilen zu können, dass ich ein Gesetz unterschrieben habe, das Russland dauerhaft für vogelfrei erklärt. Wir beginnen in fünf Minuten mit der Bombardierung." (Ronald Reagan, "Mikrophonprobe", 1984)

     

    Der zuweilen haarsträubende, selbstgerechte Unsinn eines George W. Bush füllt ganze Bücher:

     

    "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." (abgewandeltes biblisches Zitat, anlässlich der kritischen oder zögerlichen Haltung einiger Verbündeter zu den "Vergeltungsschlägen" gegen den Irak, Mitte September 2001)

     

    "Was macht das schon aus?" (auf die Frage von Diane Sawyer, bezüglich der Massenvernichtungswaffen, welche nie im Irak gefunden wurden, 16. Dezember 2003)

     

    "Unsere Feinde hören nicht auf nachzudenken, wie sie unserem Land schaden könnten. Genauso wenig wie wir." (August 2004, Lapsus linguae zur Begründung von mehr Rüstungsausgaben)

     

    "Das ist eine eindrucksvolle Versammlung - die Reichen und die noch Reicheren. Manche nennen euch die Elite, ich nenne euch meine Basis." (Wahlkampfveranstaltung, undatiert)

     

    "Lassen Sie mich zunächst einmal klarstellen: Arme Menschen müssen nicht unbedingt Mörder sein." (zur Sozialpolitik, undatiert)

     

    "Zu viele Gynäkologen haben nicht die Möglichkeit, ihre Liebe zu Frauen zu praktizieren." (September 2004, Missouri, über die Ärzte, die ihren Beruf aufgeben; nimmt Trump schon fast vorweg)

     

    "Es ist nicht die Verschmutzung, die unserer Umwelt schadet. Es sind die Unreinheiten in Luft und Wasser" (über Umweltschutz, undatiert)

     

    "Die meisten Importe kommen aus dem Ausland." (zur amerikanischen Handelsbilanz, undatiert)

     

    "Die Entscheidungen, die wir in Washington treffen, haben offenbar direkten Einfluss auf die Menschen in unserem Land." (über seine Arbeit als Präsident)

     

    "Ich werde lange weg sein, bevor irgend ein schlauer Kopf jemals herausfindet, was in diesem Oval Office passiert ist." - (über seine Zeit im Weißen Haus, Washington, 12. Mai 2008)

  • Woher ihr Optimismus, verehrte Barbara Junge?

     

    Ich meine: Was ganz genau veranlasst Sie zu glauben, Donald Trump sei "nach seiner obszönen Prahlerei mit sexuellen Übergriffen" bereits "vor dem 8. November an eine Grenze [ge]stoßen"? Der Umstand etwa, dass "erzkonservative Strömungen Trumps 'unverholene Unmoral' [geißeln]?" Du liebe Güte!

     

    Sie gehen nicht sehr oft zu Fußballspielen, oder doch? Ich meine: Zu Fußballspielen, bei denen die Emotionen der jeweiligen Ultra-Fans stellvertretend hochkochen dürfen, sind sie lange nicht gewesen, schätze ich. Anderenfalls wüssten Sie, dass derartige "Spiele" häufig zu einem bestimmten Stoßseufzer Anlass geben: "Wehe, wenn sie los gelassen...!"

     

    Einmal in Aktion, lassen sich die "echten Fußballfans" von niemandem mehr sagen, was sie dürfen und was nicht. Würden Trump-Wähler auf irgendwelche "erzkonservativen Strömungen" was geben, würde mich das ziemlich überraschen. Die zählen schließlich auch nur zum "Establishment".

     

    Fußball-Ultras jedenfalls kann man nur noch mit echter Gewalt bändigen. Und zwar vor allem deswegen, weil sie genau darauf schon vor dem Anpfiff aus waren.

     

    Über Sex wird zwar "nicht gesprochen in den verklemmten Staaten von Amerika", dass Amis aber keinen haben, ist dann doch eher unwahrscheinlich. Und wenn "die allgegenwärtige sexuelle Gewalt" nur "ganz allmählich ist diskussionsfähig [wird]", dann könnte das vor allem eins bedeuten:

     

    Da, wo die Gesellschaft (noch) nicht wirklich hinschaut, sind ganz viele kleine und größere Trumps damit beschäftigt, sich vor der neuen Zeit zu fürchten, in der ihr Sex nicht mehr brutal sein darf. Die alle dürfen wählen gehen in den USA, verehrte Barbara Junge, und zwar ebenso frei wie geheim. Dreimal dürfen Sie raten, wem diese Leute ihre Stimmen geben werden.

    • @mowgli:

      Kann es sein, daß Sie Ultras und Hools ein wenig vermischen?

      • @Mephisto:

        In den meisten Stadien machen die das selbst.

  • "Plötzlich geißeln auch erzkonservative Strömungen Trumps „unverholene Unmoral“."

     

    Ich glaube, die Autorin verwechselt hier echte Empörung mit Heuchelei. Erzkonservative Politiker treten nie für für die wirkliche Achtung von Frauen ein. Es ist ihnen nur peinlich, wenn der Inhalt von "Männergesprächen" in die Öffentlichkeit kommt. Schließlich ist Sexualität und alles was damit zusammenhängt für sie offiziell ein Tabuthema.

  • Prüderie und Sexismus sind nicht das Gleiche. In den USA ist der Kampf gegen den Sexismus so weit fortgeschritten, wie in kaum einem anderen Land. Es herrscht geradezu eine Sexismus-Phobie. Das prüde Amerika unterstützt diesen Kampf und münzt ihn in einen konservativen Kampf gegen obszöne Wörter oder auch nur offene Gespräche über sexuelle Vorlieben.

    Gerade diese Phobie vor falschen Wörtern, hat einen Trump erst möglich gemacht. Er kümmert sich nicht um politische Korrektheit. Hätten die Vorkämpfer_innen gegen Sexismus Maß gehalten, so wäre Trump einfach nur ein lächerlicher alter Chauvi.

    In Deutschland reproduzieren wir diese Muster und haben mit der AfD auch schon eine ähnliche "Ernte" eingefahren. Aufgesetzte Kampagnen wie "#Aufschrei", die nicht aus der Community kamen, sondern von den Medien gepusht wurden, verstärken dies nur.

    So zeigt sich leider, dass die übertriebene Zensur der political correctness den Sexismus wieder hoffähig macht. "Glücklicherweise" aber hat Trump das Rad so weit überdreht, dass er jetzt auf massive Gegenwehr stößt. Wir sollten uns das eine Lehre sein lassen und künftig nur diejenigen an den Pranger stellen, die es wirklich verdient haben. Sonst wählen leider diejenigen, die zu Unrecht am Pranger stehen, die, die dort hingehören.

    • @Velofisch:

      Soso: "Sexismus-Phobie", Maßhalten, "aufgesetzte Kampagnen", "übertriebene Zensur". Und an den Pranger stellen gerne, aber bitte nur die, die es verdient haben.

      Pegida, vegane Ernährung, Trump, Anti-TTIP-Proteste, der Patient als Experte, virale Kampagnen: Alles Phänomene, die entstehen, weil es im Internet "information at our fingertips" gibt, massenhaft, überall, immer. Manche können diese Informationsflut richtig einordnen, manche nicht.

      Wer wie Sie hier meint, wenn etwas als sexistisch benannt wird, werde Zensur ausgeübt, gehört zur letzteren Gruppe. Wer wie Sie die zahlreiche und ernsthafte Nutzung eines Hashtags auf eine "von den Medien gepushte", "aufgesetzte Kampagne" reduziert, gehört zur letzteren Gruppe.

      Sind Sie gegen Sexismus? Gut. Dann erhalten Sie seine Hoffähigkeit nicht dadurch, dass Sie ihn in Kommentaren als zwangsläufig rechtfertigen.

    • @Velofisch:

      Ich fürchte, werter VELOFISH, sie haben da was übersehen. "Hätten die Vorkämpfer_innen gegen Sexismus Maß gehalten, so wäre Trump einfach nur ein lächerlicher alter Chauvi", schreiben Sie. Nun frag' ich mich, worin das "Maß" bestehen soll, das es zu "halten" gilt im Kampf gegen Sexismus.

       

      Wer "gegen" etwas kämpft, gerät leicht in Versuchung. Dagegensein kann nämlich einfach heißen: Ein dicker Daumen drauf (im Zweifel kann es auch eine Neutronenbombe sein) und dann is' gut. Dafür sein ist da schon viel schwieriger. Wenn man dafür sein will, dann muss es nachher funktionieren.

       

      Wer "gegen Sexismus" kämpft, der braucht sich keine Gedanken zu machen darüber, was nach seinem Sieg passiert. Wo es das einzige Ziel ist, den Sexismus zu vernichten, da reicht es, wenn es Sexismus nachher nicht mehr gibt. Zumindest nicht mehr an der Oberfläche der Gesellschaft. Wo er geblieben ist und/oder was es sonst noch alles gibt? Ist vollkommen egal. Man will ja schließlich nachher wieder kämpfen - und siegen können wie ein Held, der irgendwo in einen (Dreh-)Buch steht.

       

      Der Kampf gegen alles Mögliche hat die USA da hin gebracht, wo sie jetzt sind. Es wäre sicher besser, sie würden zur Abwechslung mal wieder für was kämpfen. Zum Beispiel für die Gleichberechtigung. Da hätten dann auch manche Männer was davon.

    • @Velofisch:

      > Wir sollten uns das eine Lehre sein >lassen und künftig nur diejenigen an

      >den Pranger stellen, die es wirklich >verdient haben

       

      Bin ganz bei Ihnen. Wir sollten uns in Zukunft bei der Kritik hauptsächlich Männern (und gelegentlich uneinsichtige Cissexuellen) widmen und uns produktiv dem Problem widmen, dass vor allem Erstere gerne Protest durch Gewalt an Minderheiten ausdrücken. Wenn erst eine Anhebung des Wahlalters für Männer, evtl in Verbindung mit einer Vaterpflicht durchgesetzt ist und normale Leute sicher vor deren (leider sehr verbreiteten) unreif-kerligen Anspruchshaltung sind, könnte ich den Diskurs, die Werbung mit submissiven Frauen, die putzigen kleinen persönlichen Vorlieben für die immer gleiche Demütigung von Nichtmännern etc. auch mit einem Augenzwinkern sehen...

       

      Alternativ könnten Sie sich mit ihrem mahnenden Maßhalten (wie zum Teufel soll ich eine Ideologie dekonstruieren, wenn ich nichtmal Worte anfassen darf?) auch einfach ins Knie bohren.

      • @Lieschen:

        "Männer entwickeln sich in der Regel geistig bis zum Lebensalter von etwa sieben Jahren. Danach wachsen sie nur noch."

         

        Wann immer Trump (oder einer seiner Verharmloser) den Mund aufmacht, merke ich, dass ich dem Zitat nicht wirklich viel entgegenzusetzen habe, so sehr ich es möchte.

  • Nun tut man ja grad so, als sei nirgendwo diese Sprache zu finden. Dabei ist sie allgegenwärtig, vor allem in konservativen Gesellschaften. Je strikter die Moral desto schmutziger die Witze. Erst wenn die Witze schweigen wird es gefährlich.