piwik no script img

Kommentar Justizversagen in SachsenFurchtbare Pannenserie

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Die Pannen um Jaber A. zeigen, dass Polizei und Justiz in Sachsen reformiert werden müssen. Der Rücktritt des Justizministers wäre ein Anfang.

Ließ den Häftling A. nicht überwachen: Der verantwortliche JVA-Leiter Rolf Jacob Foto: dpa

D er Suizid des Terrorverdächtigen Jaber A. in der JVA Leipzig ist der furchtbare Höhepunkt einer Serie von Pannen, die den sächsischen Behörden in diesem Fall unterlaufen sind. Dass sich A. in seiner Zelle erhängen konnte, ist auch das Resultat einer fulminanten Fehleinschätzung. Zwar lässt sich ein Gefangener, der sich selbst töten will, nur schwer davon abhalten. Die zuständigen Beamten – von der Psychologin bis zum verantwortlichen Leiter der JVA – aber scheinen schlicht nicht erkannt zu haben, dass eine akute Selbstmordgefährdung vorlag.

Dabei gab es zahlreiche Hinweise. Nicht nur, dass der Mann bereit war, bei einem Selbstmordanschlag sein Leben zu opfern. Schon der Haftrichter hatte auf eine Gefährdung hingewiesen, dann trat A. in Hungerstreik, schließlich holte er eine Lampe von der Decke und manipulierte Steckdosen in seiner Zelle. A.'s Anwalt hatte sich noch am Nachmittag erkundigt, ob sein Mandant auch ausreichend unter Beobachtung stehe. Die JVA hätte diesem eine permanente Wache vor die Tür setzen oder ihn in einen besonders gesicherten Haftraum verlegen können.

Das aber taten sie nicht. Das Resultat: Der Mann ist tot und wird den Ermittlern keine Erkenntnisse mehr liefern – zu seinem Plan, seinen IS-Kontakten und möglichen Verbündeten, die vielleicht in Deutschland leben.

Auch bei der sächsischen Polizei lief vieles schief. Die Beamten observierten das Haus, in dem A. mit Sprengstoff hantierte, so, dass sie bemerkt wurden. Sie ließen A. entwischen. Dieser konnte unbemerkt von Chemnitz nach Leipzig reisen. Am Ende bekam die Polizei den Terrorverdächtigen von drei Syrern auf dem Silbertablett serviert. Jetzt ist er tot.

Der Rücktritt des Justizministers, der die politische Verantwortung für den Tod in der JVA trägt, wäre ein Anfang. Viel wichtiger aber: Polizei und Justiz in Sachsen gehören endlich grundsätzlich reformiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Seit Jahren wird gefordert,, zur Sicherheit gegen Terroristen müsse die halbe Republik rund um die Uhr mit Video überwacht werden.

    Und nun bekommen die Sachsen einen Top-Terroristen auf dem Servierbrett geliefert, entlocken ihm als Aussage die Verdächtigung gegen seine syrischen Fänger und posaunen dies so laut heraus , dass die sächsische Pegidawelt wieder in Ordnung ist.

     

    Da der verhaftete Top-Terrorist -statt längst in Karlsruhe vernommen zu werden- noch der sächsischen Jusiz überlassen blieb, durfte er seine so schwerwiegende Beschuldigung mit in den Tod nehmen.

    Manchen wird's freuen.

  • Bitte nicht nur Polizei und Justiz reformieren, das Bildungswesen bitte gleich mit! Von der Wurzel an, es müssen in Sachsen sowieso aktuell auch sehr viele neue Lehrer eingestellt werden.

     

    Diese heute agierenden, erwachsenen Beamten und Politiker haben (fast) alle die "tolle" Bildung in Sachsen durchlaufen. Auf diese ist man in Sachsen sehr, sehr stolz und bildet sich da ungemein was ein und verweist - ich wiederhole mich da gerne - immer auf die "dummen" anderen Bundesländer, vor allem die im Nordwesten der Republik. "Spitze" ist nur Sachsen, das scheint (den Sachsen) klar zu sein.

     

    Und zum Abschluss noch der Satz aus den 90ern, der noch heute auf manchem Auto klebt: "Wir Sachsen sind spitze ohne Joint und Spritze" https://www.amazon.de/Hinweisschild-Sticker-PVC-Aufkleber-Sachsen-Spritze/dp/B00BS5077M

     

    Das Mantra "Wir Sachsen sind spitze" dürfte jetzt vielleicht doch langsam mal hinterfragt werden.

  • Wenn bei jeder Verfehlung einzelner Beamter immer gleich der Rücktritt eines Ministers verlangt wird, müsste dann wohl alle paar Tage eine Neubesetzung vorgenommen werden. Die reflexartig verlangte Übernahme politischer Verantwortung für individuelle Fehler von Mitarbeitern halte ich für nicht zielführend.

  • In Deutschland soll immerzu zurückgetreten werden, warum?

     

    Die Amerikaner sind ja nach 911 und was da alles falsch lief auch nicht zurückgetreten wegen der massiven Pannen, sondern haben den "Kampf gegen den Terror" aufgenommen.

  • in der gegend wat oder ist doch auch der NSU unterwegs und inzwischen weiß man ja, dass die polizei da anders tickt... Chemnitz liegt zwischen Zwickau und Dresden. Nazis und IS verbünden sich gern. Der IS wie die Nazis bzw. die SS... das hört sich alles gar nicht gut an!

    • @CV:

      Das wird sich der IS auch gedacht haben, dann gehen wir mal nach Chemnitz, da lässt sich recht unauffällig leben, egal, was man tut.

  • 8G
    80537 (Profil gelöscht)

    Es war ein voller Erfolg für die sächsische Polizei und Justiz. Absolut. Immerhin ist es den Beamten, also hier nochmal "Beamten", gelungen, dass der Verdächtige nicht wieder abgehauen ist. Hätte ja auch sein können, dass er aus dem Gefängnis spaziert...

     

    Die ganzen Vorgänge belegen aber eindrucksvoll, dass die sächsische Polizei und Justiz gegenüber Rechtsterroristen nicht zu nachlässig ist. Die Truppe in blau ist einfach generell unfähig.

    • @80537 (Profil gelöscht):

      In Sachsen waren bisher die größten "Staatsfeinde" linke Gruppierungen und bürgerliche (Gegen-)Demonstrationen zu rechten Aufmärschen und/oder entsprechender Politik im Freistaat. Nicht selten wurden und werden diese als "Linksextreme", wenn nicht sogar "Linksterroristen" bezeichnet. Wenn man nun davon ausgeht, dass z.B. Theaterintendanten und Söhne von hochrangigen Politikern oder auch einfach nur Familien, die an Solikonzerten teil nehmen, von Sächsischen Behörden als (mögliche) "Terroristen" eingestuft werden und somit als höchste anzunehmende Gefahr, ist es logisch, dass sie mit einem "echten" Terroristen nicht zurecht kommen.

       

      Die rechts eingestellten Bürger und Rechtsextremen hingegen wurden/werden tendenziell hofiert (siehe PEGIDA und Bautzen), mit denen muss man sich also erst gar nicht abgeben, denn die werden ja auch nicht fest genommen.

       

      Den Attentäter von Dresden (Stichwort Moschee) haben sie auch immer noch nicht gefunden, dafür aber die Spuren verwischt.

  • Schlimme Sache, ich bin gespannt was hier alles ans Tageslicht kommt.

    Aber — nicht nur in Sachsen. Auch in Berlin ist das Justizvollzugs *System* marode, überwiegend besetzt mit Personal, welches auf dem freien Markt keine Chance hat und meiner Meinung nach mangelnde bis nicht vorhandene Kompetenzen - nicht nur - in Sachen Menschenführung an den Tag legt. Über die überwiegende politische Gesinnung will ich gar nicht reden ...

  • Also ich habe noch nirgends gelesen, dass der Mann geplant hatte, einen Selbstmordanschlag zu begehen. Soweit ich lesen konnte, sollte er eine Bombe bauen und die an einem Bahnhof/Flughafen deponieren und zur Zündung bringen. Sicher beinhaltet das ein hohes Maß an Eigengefährdung, wie bei Johannes Timme zu sehen war. Aber noch bewegen sich die meisten Publizisten, wie das üblich ist, im Bereich der Spekulation.



    Und ob er Erkenntnisse geliefert hätte? [...]

     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.