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Kommentar Flüchtlinge aus AfrikaWir brauchen neue Spielregeln

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Deutschland will Fluchtursachen in Afrika bekämpfen. Doch wer Diktaturen stärkt, die selbst die Fluchtursache sind, kommt nicht weit.

„Wir gehen nicht zurück!“ Denn zu Hause regiert wahrscheinlich ein Autokrat das Land kaputt Foto: dpa

N ehmen wir einmal an, Deutschland meinte es ernst mit der Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika. Experten könnten sich zu Übungszwecken ein Land ausdenken: ökonomisch eher solide und in der Lage, seine Bevölkerung zu ernähren; politisch eine Katastrophe, mit einem machtsüchtigen Familienclan an der Staatsspitze; aber von Europa leicht zu beeinflussen, da nicht zuletzt militärisch von Frankreich abhängig. Da fälscht dann im Planspiel der Präsident die Wahlen, lässt Demonstrationen dagegen zusammenschießen und die Opposition wird unterdrückt.

Wie verhindert man nun, dass Bürger dieses Landes hierher fliehen? Richtig: Man sorgt dafür, dass die Wahlfälschung nicht durchkommt, dass die Soldaten keine Menschen erschießen und dass Reformen auf den Weg gebracht werden. Das wäre Fluchtursachenbekämpfung.

Zufällig hat sich ausgerechnet ein Jahr nach „Wir schaffen das“ ein kleines Land in Afrika bereit erklärt, genau dieses Planspiel durchzuexerzieren. Der kleine reiche Ölstaat Gabun, wo Frankreich seine Interventionskapazitäten für ganz Zentralafrika in Reserve hält, hat Präsident Ali Bongos Wiederwahl dreist manipuliert und verteidigt diese nun mit Gewalt gegen die empörte Bevölkerung.

Jetzt wäre die Bundesregierung am Zug. Sie könnte nun in Paris anrufen und anregen, dass Frankreich seinen beträchtlichen Einfluss in Gabun geltend macht, um das Regime zur Räson zu bringen. Oder sie könnte der Afrikanischen Union (AU) nahelegen, dass diese ihren einstigen Kommissionschef Jean Ping, den um seinen Wahlsieg betrogenen Oppositionsführer Gabuns, nicht fallen lässt. Schließlich will Angela Merkel im Oktober den AU-Sitz in Äthiopien besuchen – noch so ein Land, dessen Regierung gleichzeitig Hilfe zur Flüchtlingsabwehr kassiert und unbewaffnete Demonstranten erschießt.

Jeder getötete Demonstrant bedeutet 100 Flüchtlinge – oder, zynischer, 100 Tote im Mittelmeer.

Fluchtursachenbekämpfung kommt nicht weit, wenn sie Diktaturen stärkt, die selber Fluchtursachen sind. Im Gegenteil: Regierungen dafür zu belohnen, dass sie ihre eigenen Bürger Richtung Europa vergraulen, macht überhaupt keinen Sinn. Jeder getötete Demonstrant in Afrika bedeutet irgendwann 100 afrikanische Flüchtlinge in Europa – oder, zynischer, 100 Tote im Mittelmeer.

Wie wäre es mit einer neuen Spielregel: Jeder tote Demonstrant in Afrika bedeutet Punkteabzug bei der Suche nach Partnern in Europa. Wer spielt mit?

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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8 Kommentare

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  • Okay. Nehmen wir doch einmal an, es gäbe Deutschland gar nicht. Zumindest nicht als Einheit, die irgend etwas „ernst nehmen“ kann. Nehmen wir weiter an, es müssten Leute her, die Deutschland repräsentieren, damit überhaupt in seinem Namen Entscheidungen getroffen werden können. Und unterstellen wir außerdem, dass diese Menschen sich mit der Verantwortung für ein 80-Millionen-Volk und dessen internationale Beziehungen mehr zugemutet haben, als sie leisten können. Wie stünde es dann um, sagen wir, die Fluchtruten nach Europa?

     

    Die Bundesregierung glaubt, sie muss Prioritäten setzen. Zum Beispiel findet sie es grade ziemlich wichtig, ihren militärischen „Brückenkopf“ in der Türkei rechtlich abzusichern. Dadurch, dass sie es den Abgeordneten ermöglicht, bei Bedarf zu Besichtigungszwecken dort hin zu reisen. Was aus ihrer Sicht nur dann zu schaffen ist, wenn sie sich von ihren Abgeordneten bzw. deren Entscheidungen distanziert. Ist das irgendwie hilfreich? Ich glaube nicht. Es sei denn für Herrn Erdogan und seine Großmachtfantasien.

     

    Regierungen dafür zu belohnen, dass sie einen Keil zwischen einen selbst und die paar Mitstreiter zu treiben, die man hat, macht auch nicht sonderlich viel Sinn. Trotzdem wird es praktiziert aus Angst davor, falsche Entscheidungen als solche anerkennen und korrigieren zu müssen. Wie wäre es also mit einer neuen Spielregel: Jede erkennbar dämliche Entscheidung einer Führungskraft bedeutet Punkteabzug bei der Suche nach einer neuen Mehrheit am nächsten Wahlsonntag? Ich würde glatt mitspielen. Auch auf die Gefahr hin, dass Deutschland nachher (wie beispielsweise Belgien) Monatelang überhaupt keine Regierung hätte.

     

    Wer solche Repräsentanten hat wie wir, hat besser keine.

  • "Jetzt wäre die Bundesregierung am Zug. Sie könnte nun in Paris anrufen und anregen, dass Frankreich seinen beträchtlichen Einfluss in Gabun geltend macht, um das Regime zur Räson zu bringen."

     

    Die "Lösung" der afrikanischen Probleme wäre also mehr Einflußnahme durch Europa? Obwohl die Mehrheit der Flüchtlinge aus Ländern kommt in denen sich Europa (und Amerika) besonders stark einmischen, seien es Syrien, Afghanistan oder Somalia.

     

    Wie wäre es stattdessen mit weniger Ausnutzung der afrikanischen Arbeitskräfte durch europäische Konsumenten? Dann hat der Afrikaner auch mehr Zeit sich um seine eigene politische Entwicklung zu kümmern, wenn er nicht für einen Hungerlohn Erze und Luxus-Agrarprodukte abbauen muß um sich exportierte europäische Lebensmittel-Abfälle leisten zu können.

    • @ShieTar:

      Sie verkennen leider, dass es auch die afrikanischen Autokraten sind, die es ermöglichen, dass die Afrikanische Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Und das mit den europäischen Konsumenten ist ziemlich abseitig, denn die haben wenig Einfluss auf Arbeitsbedingungen in Afrika und es gibt auch wenig Produkte von dort, die direkt in unseren Läden landen. Überdies würde ein Boykott solcher Waren vor allem bewirken, dass es noch weniger Einkommensmöglichkeiten gibt. Natürlich gibt es da ein sehr ungesundes Verhältnis zwischen afrikanischen Staaten und Industriestaaten. Landraub, Fleisch zu Dumpingpreisen etc. Aber das ist nicht so sehr Sache der Konsumenten, sondern der Politik. Um dagegen etwas zu unternehmen, braucht es viel kritische Öffentlichkeit. Z. B. auch in Form von Unterschriftenkampagnen, Proteste gegen die Politik der EU etc. Ein anderes Bewusstsein muss her, wir müssen weg davon, nur an uns selbst zu denken, sondern wirklich global denken. Und nicht nur was unseren Warenkorb betrifft, sondern auch bei unseren Forderungen an die Politik.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Weder die Kanzlerin, noch der französische Präsident sind in der Position eine gerechte Lösung herbeizuführen. Da stehen Großkonzerne im Weg, die ganz andere Interessen haben. Und mit denen legt sich keiner ernsthaft an...

  • Was bedeutet denn konkret, "Diktaturen zu stärken"? Und wie sollte sich Europa Diktaturen gegenüber verhalten? Bitte konkreter!

    • @Brigitte Sanders:

      Ich glaube dem Autor geht es konkret darum, dass wir manchen Ländern helfen, ihre Grenzschützer und Polizisten auszubilden. Leider ohne dass betrachtet wird, wofür die danach eingesetzt werden. Anstatt nämlich das Land zu stabilisieren und die Ausreisebewegungen zu verhindern werden diese durch Gewalt und Ungerechtigkeit, ausgeübt mittels dieser durch unsere Mittel ausgebildeten Kräfte, die Fluchtursachen erst geschaffen. Wie die Anstalt es schön zusammengefasst hat: "Wer ist denn da jetzt die Hauptfluchtursache, so in einem Wort?" "Wir"

      Daher würde ich annehmen: Diktaturen kein Geld und keine Waffen zu schenken, ohne zu schauen, was dann passiert wäre ein sehr guter Anfang!

      • @Sophie Kowalski:

        Ja, das wäre ein guter Anfang. Ausbildung von Militär und auch Waffenlieferungen sind aber nicht das Hauptproblem. Letztere bekämen die Diktatoren auch woanders her. Im Grunde läuft der Deal seit den 60ern, der Zeit der afrikanischen Nationalstaatenbildung, vielerorts folgendermaßen:

        Die Machthaber beuten die Ressourcen des Landes mit Hilfe westlicher Konzerne aus. Beide machen riesigen Profit. Von dem Geld können sich die Machthaber einen Repressionsapparat und einen märchenhaften Lebensstil leisten und sich damit außerdem die Loyalität möglicher Widersacher sichern. Die westlichen Regierungen protegieren die Konzerne und hofieren die Potentaten zum Wohle ihrer eigenen Volkswirtschaften, und wenn der Status quo zu kippen droht, schicken sie auch mal Militär oder Geheimdienste vorbei. Das Ganze nennt sich Realpolitik. Alles mal sehr grob runtergebrochen.

        Eine andere, fast noch üblere Variante: Bürgerkriegsparteien in zerfallenen Staaten finanzieren sich durch Verkauf von Rohstoffen in den Westen, und können ihre Kriege überhaupt nur dadurch führen.

         

        Das bedeutet ganz schlicht: All das Elend der letzten Jahrzehnte, die Hungerkatastrophen, die Kriege mit Millionen ziviler Opfer, wurde von Europäern und Amerikanern maßgeblich mit verursacht.

        Sehr zynisch gedacht könnte man diesen, unseren Regierungen die Probleme, die ihnen durch die afrikanischen Flüchtlinge entstehen, daher eigentlich nur gönnen. Von ihrer Misere profitieren aber leider nur die Rechtspopulisten, die noch viel schlimmer sind. So oder so sind die Leidtragenden immer die mittellosen Afrikaner*innen.

    • @Brigitte Sanders:

      Diktaturen sollte man am besten destabilisieren, denn das schafft Wohlstand und Frieden. /s