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Kommentar Würzburg-AttentatAngst vor dem Generalverdacht

Kommentar von Mortaza Rahimi

Unser Autor ist selbst Flüchtling aus Afghanistan. Über seinen Schock angesichts des islamistischen Attentats von Würzburg.

Flüchtlinge aus Afghanistan und Umgebung – wegen Würzburg unter Generalverdacht? Foto: dpa

E s war schrecklich für mich zu hören, dass ein Flüchtling, wie auch ich einer bin, in dem Land, das ihm Schutz und Hilfe gewährt hat, zum Attentäter wurde. Ein Jugendlicher, der hierher gekommen ist und behauptet hat, vor Krieg und Terror zu fliehen, ist jetzt selbst zum Terroristen geworden. Es ist für mich unvorstellbar, dass ein junger Mensch, der wahrscheinlich aus meinem Land Afghanistan oder aus dem Nachbarland Pakistan stammt, versucht hat, gewaltsam anderen Menschen das Leben zu nehmen.

Aber leider ist es passiert. Ein Flüchtling aus meiner Heimatregion ist in der Nähe von Würzburg mit Axt und Messer auf Reisende in einem Zug losgegangen und hat brutal vier Menschen schwer verletzt.

Als ich von der Tat gehört habe, war ich schockiert und es hat mich zutiefst getroffen. Es ist schändlich und man findet keine Worte. Aber gleichzeitig bin ich auch besorgt. Welche Konsequenzen wird das für afghanische Flüchtlinge in Deutschland haben? Ich habe Angst, dass wir jetzt unter Generalverdacht gestellt werden.

Nicht nur ich, sondern alle Afghanen fürchten sich jetzt davor, in einen Topf geworfen und als Terroristen angesehen zu werden. Müssen wir nun mit noch mehr Benachteiligungen und Restriktionen rechnen? Werden wir jetzt ausgegrenzt von der Gesellschaft und diskriminiert? Wenn wir nicht dazu gehören dürfen, wäre das sowohl für Afghanen als auch für die Deutschen eine gefährliche Entwicklung.

Wir wissen nicht, warum und wann sich der junge Attentäter Riaz A. radikalisiert und entschieden hat, sich der Terrormiliz IS anzuschließen. Seine furchtbaren Angriffe sind durch nichts zu rechtfertigen. Anders als die allermeisten minderjährigen Flüchtlinge, die in Massenunterkünften leben müssen, hatte er Glück. Er ist von einer Pflegefamilie aufgenommen worden. Aber seine Bluttat ist der Terrorakt eines Einzeltäters.

Mortaza Rahmini, 25, arbeitet als Journalist in Afghanisatn. Nach Todesdrohungen der Taliban flüchtete er 2011 nach Deutschland Foto: privat

Wir dürfen daraus nicht den falschen Schluss ziehen, dass es keinen Unterschied macht, wo und wie ein minderjähriger Flüchtling lebt. Integration kann nicht gelingen, wenn Parallelgesellschaft aufgebaut werden. Das weiß jeder. Dennoch bekommen afghanische Asylbewerber – anders als etwa Syrer – inzwischen keine Deutschkurse mehr.

So eine Isolation ist ein Problem gerade für minderjährige Flüchtlinge. Denn in jungen Jahren wird die Persönlichkeit geformt – wird entschieden, ob aus einem Menschen ein Radikaler wird.

Ich weiß, dass Deutschland nicht alle Menschen aufnehmen kann, die Schutz brauchen. Andere Länder, die ebenfalls sicher sind, müssen auch helfen. Denn sonst könnte in Deutschland der gesellschaftliche Frieden gefährdet sein. Ich verstehe auch, dass viele in der deutschen Gesellschaft jetzt Angst vor Terror haben. Auch wir Afghanen fürchten uns davor. Uns kann ein Anschlag genauso treffen.

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21 Kommentare

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  • Ich frag mich, warum ausgerechnet jetzt überall so viele Menschhen gleichzeitig durchdrehen (USA, Nizza, Türkei, Dtschld.).

    Ist grad wieder Vollmond?

  • Ich finde es weiterhin wichtig, gegen die Erklärung Afghanistans zum "sicheren Herkunftsland" zu protestieren.

    Solche Aktionen machen die Innenminister immer gerne in der Sommerzeit.

     

    Bei den Warnungen des BND sind durchaus alle Araber unter Generalverdacht.

     

    Wir dürfen es nicht hinnehmen, das die Killfahndung so weiter geht. Das ist die Einführung der Todesstrafe durch die Polizeipraxis.

    • 8G
      86548 (Profil gelöscht)
      @nzuli sana:

      Mitbekommen was in Würzburg passiert ist?

  • Generalverdacht ist übel für alle, die sich nichts zuschulden kommen lassen. Und die Täter selbst sind stets nur eine verschwindend geringe Minderheit.

     

    Andererseits ist Generalverdacht eine wichtige Überlebensstrategie. Es ist einfach sicherer, drei mal ganz genau hinzuschauen als einmal gar nicht. Genau genommen ist es nicht viel anders als bei Pilzsammlern. Auch erfahrene Sammler laufen Gefahr, versehentlich einen Giftpilz zu pflücken, und deshalb stehen nach dem Sammeln erst einmal alle Pilze unter Generalverdacht.

     

    Ganz etwas anderes ist die Generaldiskriminierung. Sie taugt nichts, sie bringt nirgends Vorteile und sie kann u. U. sogar ein Auslöser für Terror werden.

  • "Dennoch bekommen afghanische Asylbewerber – anders als etwa Syrer – inzwischen keine Deutschkurse mehr"

     

    Dieser Satz bestätig immer wieder was ich erlebe und anscheint keiner Wahr haben will.

     

    Man nehmt einer Person die Vorzüge und gibt es einen anderen und schon knallt es.

     

    Ich wette jeder hier würde zumindest erstmal nachhacken und fragen warum?

  • "Andere Länder, die ebenfalls sicher sind, müssen auch helfen."

     

    Nein, müssen sie nicht. Die Afghanen müssen ihre Probleme sebst - ohne Einmischung eines quasi höhergestellten westlichen Schiedsrichters der Werte vorgibt - sebst in Afghanistan regeln. Und wenn dann eine patriachalische/islamische/undemokratische Gesellschaft herauskommt, dann ist das halt so.

  • Der Autor hat völlig recht. Pauschale Vorwürfe sind grundfalsch! Doch die Angst vor Pauschalisierung darf nicht die Analyse der Ursachen verhindern. Wesentlich für die Radikalisierung junger Muslime ist das völlige Unverständis moderner westlicher Lebensweise. Dieses, gepaart mit Islamistischer Propaganda im Internet schafft ein einfaches Weltbild. 99,X% werden trotzdem nicht zu Attentätern.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Dieser Art von Anschlägen lässt sich nicht verhindern. Ich würde mir wünschen, dass es für alle Betroffenen einen Solidarfonds gibt. Dass unsere Gesellschaft ohne jedwede Militanz klar Stellung in der Unterstützung der Betroffenen bezieht. Und zwar außer dem üblichen Betroffenheitsgeschwalle.

     

    Und auf der anderen Seite der Medaille stehen die alltäglichen menschen(rechts)verachtenden Politiken wie der Deal mit der Türkei. Dieses Land und sein Establishment ist nicht im Geringsten glaubwürdig. Das kleine Beispiel mit den Deutschkursen, eines von hunderten, steht hier dafür Pate. Auch in Deutschland wird der Terror eine Heimat finden, schlicht weil es ausreichend viele diskriminierte unglückliche Menschen gibt. Wenn ich schon lese, welch glückliches Los der Mörder doch hatte, weil er eine Ausbildung als Bäcker antreten durfte. Man möchte meinen, dass wer im Jahr 2016 so etwas von sich gibt über die Hauptschule nicht hinauskam. Und doch regieren diese Personen das Land. In einer Backfabrik wäre deren Wirken weniger verheerend. Wir erleben es gerade in den Staaten. Irgendwann ist die rote Linie überschritten. Und Politiker, die dann zu nichts weiter taugen als zu symbolpolitischen Ritualen, gehören abgewählt.

  • Das Problem liegt halt in der Regierung Merkel.

    Die Aufnahme von Flüchtlingen hat Frau Doktor Merkel ja angeblich aus humanitären Gründen zur Chefsache erklärt. Aber daran zu arbeiten dass ebendiese Aufnahme auch gelingen kann liegt scheinbar außerhalb ihrer Interessen und Fähigkeiten.

     

    Dabei könnte die CDU meiner Meinung nach viele Wähler con AfD und Co zurückerobern wenn man die Aufnahme von Flüchtlingen eben in eine Integration von Menschen münden ließe.

     

    Eine funktionierende Flüchtlingspolitik anstatt des Versuchs gut auszusehen eben.

    Ich denke auch dass viele Menschen durchaus bereit wären Steuergelder für Integration auszugeben.

     

    Der Bund gibt derzeit gerade einmal 7Milliarden Euro bis 2018 als Integrationshilfe an die Länder aus.

    Die Rundfunkgebühren für die öffentlich rechtlichen die über die Misslage berichten liegt bei 8Milliarden pro Jahr.

    • @Chaosarah:

      Integration und Förderung ist aber ganz offensichtlich kein Garant für einen zufriedenen Menschen, der Teil unserer Gesellschaft wird.

       

      In diesem Fall wurde von deutscher Seite eigentlich alles richtig gemacht und dennoch begeht er solch eine Tat...

      • @Nobodys Hero:

        Der Wahnsinn gilt als eine "geistige Störung[], bei de[r] ein Mensch bei vergleichsweise normaler Verstandesfunktion an krankhaften Einbildungen [leidet]" und zwar "bis hin zu […] völlig bizarren und (selbst-)zerstörerischen Handlungen".

         

        Ja, Deutschland offenbar vieles richtig gemacht in diesem Fall. Nur war das leider nicht genug. Das Erschrecken darüber ging tief, auch bei mir. Nur habe ich mich (aus Erfahrung) sagen hören: Ganz oft hilft es sehr wohl, wenn manche Dinge richtig laufen. Seit Jahren kommen Flüchtlinge hier an, auch unbegleitete minderjährige. Bisher ist nie etwas Vergleichbares passiert. Es ist also vermutlich keine wirklich gute Idee, all das, was bisher offenbar richtig gemacht wurde, plötzlich ganz anders zu machen. Es sei denn, man will noch mehr Ärger riskieren, als man jetzt hat.

         

        Offenbar wird längst nicht jeder irre an den Umständen seines Lebens. Die meisten Leute wissen es durchaus zu schätzen, wenn man sie gut behandelt – und unterscheiden auch. Das "Restrisiko", dass Einzelne auch morgen wieder die "krankhafte Einbildung" kultivieren, sie könnte sich mit einer Axt- oder Auto-Attacke auf Unschuldige "rächen" für erlittene seelische Schmerzen, bleibt allerdings. Es lässt sich nur weitgehend minimieren.

         

        Dass Mortaza Rahimi sich nun fürchtet, ist schade. Er traut uns Deutschen offensichtlich zu, dass wir wahnsinnig genug sind, alle Afghanen, Pakistaner oder gar Zuwanderer kollektiv haftbar zu machen für die Tat eines wahnsinnigen 17-Jährigen. Die Angst ist hoffentlich weitgehend unbegründet.

         

        Wenn es deutschen Polizisten im Zweifel nicht gelungen ist, in der konkreten Angst ums eigne Leben vier sichere Schüsse auf die Beine eines Täters abzugeben, heißt das schließlich noch nicht, dass alle Deutschen oder auch nur viele auf eine Medienberichterstattung ähnlich reagieren. Schön, immerhin, dass unsere Waffengesetze strenger sind als die amerikanischen. Man weiß ja schließlich nie.

      • @Nobodys Hero:

        Zähneputzen verhindert auch nicht ALLE Zahnprobleme, aber daraus zu schließen, dass man es gleichwohl lassen kann, ist auch nicht gerade zielführend.

         

        Leider ist das aber die Ebene, auf der diese und andere Diskussionen momentan stattfinden.

        • @Mustardman:

          Schöner Vergleich, MUSTARDMAN, danke dafür.

           

          Ja, mit dem Zähneputzen ist es wirklich ähnlich: Man muss früh anfangen damit, am besten schon, bevor man Zähne hat. Man darf auch zwischendurch nicht aufhören, schon gar nicht jahrelang. Man darf nicht zu viel Zucker konsumieren, und muss sich außerdem noch halbwegs gut ernähren. Und selbst dann noch gibt es so was wie Veranlagungen. Der Zahnschmelz kann erheblich variieren in Dicke und Belastbarkeit. Zähneputzen ist also gut - als Teil einer "Gesamtlösung", die keine Garantie bedeuten muss. So ist das auch mit jeder Art von Wahnsinnstaten. Das Lebensrisiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (in dem Fall nicht in Hongkong sondern hier) hat man sein leben lang, sogar im eignen Bett. Man muss es allerdings nicht fahrlässig erhöhen, indem man das Sozialwesen, das Menschen nun mal sind, unnötigem sozialem Stress aussetzt.

      • @Nobodys Hero:

        Es trifft halt immer irgendwie die Falschen...

  • Niemand muss ich für die Tat seines anderen entschuldigen, leider wird sicherlich diese Tat dazu genutzt, um Stimmung zu machen gegen diejenigen, die nun rein gar nichts für diese Tat können. Das ist völliger Blödsinn!

    Danke für diesem Kommentar!

    Neben den bisherigen Durchgeknalten (Winnenden und ok) kommen nun auch Menschen die aus anderen Motiven dazu neigen andere Menschen umbringen zu müssen, diese Motivation ist für einen gesunden Menschen kaum nachzuvollziehen.

    Es ist zum verzweifeln! Mitgefühl für die Opfer und aktive Hilfe sind aus meiner Sicht wichtig als diese entlosten Täterdiskussionen.

    • @Mr Jago:

      Es ist doch längst bekannt das der Täter vorraussichtlich weder Afghane noch 17 Jahre alt war? Bitte im Artikel korrigieren!

      • @Alfred Sauer:

        Er war Paschtune, was nicht viel mit einer speziellen Linie auf einer Karte zu tun hat. Paschtunen leben sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan.

         

        Aber wenn ein Freund von ihm in Afghanistan ermordet worden ist und wenn das westliche Truppen gewesen sein sollten, dann ist diese Tat im Licht des paschtunischen Ehrenkodex zwar immer noch barbarisch, aber nicht mehr so ganz unverständlich und sicherlich auch irgendwie politisch. Wenn die Bundeswehr und unsere Verbündeten in Afghanistan kämpfen, darf man sich nicht wundern, wenn der Spieß umgedreht wird. Die von Drohnen Ermordeten in Pakistan haben darum auch nicht gebeten, getötet zu werden.

         

        (Das wird man ja wohl noch sagen dürfen...)

        • @Mustardman:

          Und wenn ein Freund von ihm durch westliche Truppen getötet wurde, ist das auch nach paschtunischem Ehrenkodex kein Grund, eine chinesische Familie betialisch ermorden zu wollen.

          Was ich damit sagen will: In aller Regel scheint es den islamistischen Terroristen völlig egal zu sein, wen sie da töten. Unter den Opfern in Nizza waren z.B. sehr viele Nordafrikaner.

        • 2G
          2730 (Profil gelöscht)
          @Mustardman:

          Klar, ich bin auch für jede Vendetta zu haben....

          Denk mal logisch. Nehmen wir den Geflüchten G.. Dieser hat sich auf den weiten Weg gemacht von Afghanistan nach Deutschland, weil er in Afghanistan nicht mehr (über)leben wollte/konnte.

           

          Weiterhin nehmen wir mal den übelsten Fall an, (s)ein Freund sei durch eine westliche Aktion ums Leben gekommen.

           

          Auf der Stelle. dreht sich das Weltbild des G.. Auf einmal ist der Westen böse und die, vor denen er "geflüchtet" ist, sind die Guten? Er bringt Menschen um aus der Umgebung, die über Wochen und Monate sein Ziel war und ihn in der Tat aufgenommen hat? Darüber hinaus Menschen aus einer völlig anderen Kultur?

          Wie logisch ist das denn?

          • @2730 (Profil gelöscht):

            Ich sage nicht, dass das logisch oder angemessen war. Ich wollte nur sagen, dass es zwischen Amoklauf, erweitertem Selbstmord, politischem Terrorismus und religiösem Wahn jede Menge Gründe gibt, weshalb Menschen meinen, sowas sei eine gute (oder die letzte verbleibende) Idee.

             

            Und dass jede Menge junge Menschen aus eher konservativen Gesellschaften (und nicht nur die) Identitätsprobleme haben und nach Sinn und Bedeutung suchen, ist jetzt auch nicht verwunderlich. Jihad ist dann ein wenig das, was im letzten Jahrhundert die Begeisterung für linke Volksrevolutionen war. Wen man schon nicht leben kann, will man wenigstens für etwas sterben...

        • @Mustardman:

          ... nein, denn wie Sie hoffentlich wissen, ist der Afghanistaneinsatz eine humanitäre Befreiungsaktion, die der dortigen Bevölkerung Wohlstand und Sicherheit bringen wird.

           

          :)