piwik no script img

Interview mit der Autorin Nell Zink„Kuckucke sind kleine Luder“

Vögel, Naturschutz und Sex: alles drin in Nell Zinks spätem, aber erfolgreichem Debüt „Der Mauerläufer“. Die US-Amerikanerin lebt und schreibt in Bad Belzig.

„Ich bin wahrscheinlich die spießigste Person in Belzig“: die Schriftstellerin Nell Zink Foto: Claudius Prößer

taz: Frau Zink, woran merkt man, dass man berühmt ist?

Nell Zink: Ich bekomme Post, da steht drauf: Nell Zink, Bad Belzig. Mehr nicht. Und es kommt an.

Und was macht das Berühmtsein mit Ihnen?

Man könnte sagen: Nichts. Ich habe mich mein Leben lang gefragt, was ich mache, wenn ich Geld wie Heu habe. Jetzt weiß ich es: das gleiche wie immer, nur etwas entspannter. Wenn jemand Scheiße baut bei einem Literaturfestival und meine Übernachtung im Four Seasons Downtown Miami nicht bezahlt hat, dann zahle ich’s halt selbst. Und dieser Beitrag fällt nicht ins Gewicht, das ist genial.

Für Ihr aktuelles Buch sollen Sie einen Vorschuss von mehr als 400.000 Dollar bekommen haben.

Das stimmt.

Sie könnten sich jetzt eine schicke Eigentumswohnung in Berlin kaufen.

Nein danke. Dann hätte ich es so weit nach Bitterfeld und Dessau. Und da ist die Natur so viel schöner.

Das ist Nell Zink

Das Leben: Zink, 1964 in Ka­li­for­ni­en ge­bo­ren, in Vir­gi­nia auf­ge­wach­sen, hat sich in jun­gen Jah­ren mit Jobs als Se­kre­tä­rin und auf dem Bau über Was­ser ge­hal­ten. In den USA stu­dier­te sie Phi­lo­so­phie und grün­de­te 1993 in Phil­adel­phia das Fan­zine Ani­mal Re­view über Mu­si­ker und ihre Lieb­lings­tie­re. Au­ßer­dem hat sie auch in einer Indie Rock­band ge­sun­gen und war min­des­tens zwei­mal ver­hei­ra­tet. 2000 zog Zink nach Deutsch­land, pro­mo­vier­te in Tü­bin­gen in Me­di­en­wis­sen­schaf­ten und ar­bei­te­te als Über­set­ze­rin. Seit 2013 lebt sie in der Klein­stadt Bad Bel­zig süd­lich von Ber­lin.

Die Bü­cher:„The Wall­creeper“ schrieb Zink in weni­gen Wo­chen für den ame­ri­ka­ni­schen Bestseller­autor Jo­na­than Fran­zen. 2014 ver­kauf­te sie das Ma­nu­skript für 300 Dol­lar an einen ame­ri­ka­ni­schen Kleinst­ver­lag. Das Buch schaff­te es in die Liste der „100 no­ta­ble books of 2014“ der New York Timesund brach­te Zink ers­ten Ruhm und eine Agen­tin. Auf Deutsch er­schien „Der Mau­er­läu­fer“ im Früh­jahr 2016 bei Ro­wohlt. Es geht, grob ge­sagt, um Liebe und Um­welt­schutz, um Vögel und Sex. Das Ganze spielt auch in Ber­lin und Des­sau. Der Nach­fol­ger, „Mis­laid“, 2015 bei einem gro­ßen New Yor­ker Ver­lag er­schie­nen, war für den Na­tio­nal Book Award no­mi­niert. Die deut­sche Über­set­zung ist für 2018 an­ge­kün­digt. Ak­tu­ell ar­bei­tet Zink an dem Roman „Ni­co­ti­ne“, der im Ok­to­ber in den USA ver­öf­fent­licht wird. (mah)

Ihr erstes Buch, „Der Mauerläufer“, ist im Frühjahr auf Deutsch erschienen. Es spielt auch in Berlin und Brandenburg. Tiff, die Protagonistin, liebt Vögel und hasst Berlin. Sie wohl auch?

Die übertreibt ein bisschen. Aber ja, Berlin ist für mich ein bisschen wie ein Moloch, ich werde dort nach einer Weile aggressiv. Wenn ich da unterwegs bin mit dem Rad, es ist ja keine Traumstadt für Radfahrer, dann fang ich irgendwann an, auf ­alles zu schimpfen.

Hier in Bad Belzig gibt es nicht so viel zu schimpfen?

Worauf sollte ich hier schimpfen?

Keine Ahnung. Auf die provinziellen Spießer?

Ich bin wahrscheinlich die spießigste Person in Belzig. Zumindest was die Lärmempfindlichkeit betrifft. Wenn die hier drüben im Café nach zehn noch laut reden, denk ich: „Schlecht, ganz schlecht.“ Außerdem bin ich hierhergezogen, weil ein Freund mir sagt: „Da fällst du nicht auf. Da gibt es Leute, die sind noch viel verrückter als du.“ Hier gibt es ja das ZEGG – Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung. Eine Art Kommune, die leben nur für Rhythmentanz und tantrische Öl­rituale.

Sie dagegen leben hier allein. Ist das eine bewusste Entscheidung?

Ja. Aus dem Erfahrungsschatz. Sich jeden Tag, jede Nacht im Detail mit jemandem auseinanderzusetzen, das hemmt die Kreativität und vor allem die Langeweile. Man muss sich ­langweilen, um dazu getrieben zu werden, etwas zu machen.

Deshalb auch Bad Belzig, als Ort der Langeweile?

Klar. Damit hier etwas passiert, muss ich es selbst machen. In großen Städten lebt man wie auf dem Laufband.

Haben Sie uns die Zeitschrift hier auf dem Tisch extra hingelegt?

Die Vögel? Nee. Die kam heute mit der Post.

Manche schreiben mit Absicht verwirrend und schwierig und abweisend, so was kommt mir nicht in den Sinn. Ich habe immer für meine Freunde geschrieben, nicht für meine Feinde.

Das ist eher die Laienzeitschrift, oder?

Absolut. Es gibt noch Der Falke, die krieg ich auch. Schaut mal, ein Braunkehlchen, ist das nicht lieb …

Wie sind Sie denn zur Vogelliebhaberin geworden?

Ich wurde bekehrt. Ich hatte einen Freund, einen Ornithologen, der hat mir erzählt von den Abenteuern der Vögel. Das kann man festmachen an einer Anekdote über Knäkenten auf dem Mittelmeer, die kamen aus der Sahelzone nach Europa und wollten in die wertvollen Feuchtgebiete. An der Adria­küste stand aber damals alle hundert Meter ein Typ mit ’ner Schrotflinte. Und dann sitzen die Knäkenten auf dem Meer fest, nichts zu trinken und nichts zu essen, obwohl sie direkt vor sich perfekte Rastplätze haben. Diese Geschichte hat in mir einen Schalter umgelegt.

Ornithologie gilt eher als ein Hobby für Nerds, die lateinische Namen runterrattern. Bei Ihnen klingt es nach einer fast zärtlichen Beziehung.

Wenn man sich für Vögel begeistert, ist das wie Popmusik oder Kunst. Je mehr man über sie liest, desto faszinierender sind sie: Manche sind so richtige kleine Spießbürger. Der Zaunkönig zum Beispiel. Das Männchen ist wie so ein Schwabe: „Schaffe, schaffe, Häusle baue und dann nach dem Mädle schaue.“ Bei den Sperlingen ist es eher wie in einem großen besetzten Haus, da gibt es schon Pärchen, aber, na ja … Die Meisen sind auch alles andere als treu. Und die ­Kuckucke, sie sind absolut schamlos, völlig durchtriebene kleine Luder, legen ihre Eier in irgendein Nest und verbringen dann den Rest des Jahres in Afrika. Und die Segler: Die schlüpfen, fliegen los, schlafen am Himmel, haben Sex am Himmel. Drei Jahre gehen die niemals auf den Boden. Die haben nicht mal richtige Beine, nur so absurde kleine Beinchen.

Im Literaturbetrieb ist es so, dass sich Bücher mit einer guten Story verkaufen. In gewisser Weise ist das ja auch Teil Ihrer Geschichte. Sie fallen raus aus dem üblichen Reigen der AutorInnen: erstes Buch mit 50, lebt irgendwo im Nirgendwo in einem anderen Land, die Vogelliebhaberei. Wie nehmen Sie selbst diese Inszenierung Ihrer Lebensumstände wahr?

Ich bin promovierte Medienwissenschaftlerin, ich weiß, dass das notwendig ist. Hinter einem Buch muss eine Autorin stecken, und ohne die Medien ist man aufgeschmissen. Es gibt sehr, sehr viele Bücher, und man muss mit einer Story kommen. Mir war von Anfang an bewusst, dass ich eine gute Story habe, die kommt mir manchmal selber crazy vor. Ich habe wirklich jahrzehntelang ganze Romane nur für meine Freunde geschrieben.

Und Sie dachten nie ans Veröffentlichen?

Ich wusste nicht, dass ich gut genug für den Markt schreibe. Ich habe vor allem vom Übersetzen gelebt, von 1.000 Euro im Monat. Das ist die kleinbürgerliche Askese. Dass man in Armut lebt, als Promovierte und nebenbei seine Kunst macht. Das ist ein Risiko, aber bei mir hat es sich gelohnt. Ich verdiene jetzt Geld mit der Kunst.

War das der Plan?

Nein. Ich habe nicht geahnt, dass es für mich eine Nische in der Marktwirtschaft gibt.

Haben Sie es denn früher probiert?

Man muss jemanden kennen, und ich kannte niemanden.

Bis der Beststellerautor Jonathan Franzen kam.

Ich habe ihm einen Leserbrief geschrieben und wollte ihn dazu bringen, für den New Yorker oder National Geographic etwas über einen befreundeten Ornithologen zu schreiben, was er dann auch gemacht hat. Er mochte meinen Schreibstil, also habe ich ein Buch für ihn geschrieben, das dann veröffentlicht wurde. Jetzt schreibe ich an meinem dritten Buch. Das sind Sachen, die man nicht erfinden kann. Ich hatte einfach Glück.

In den Rezensionen zum „Mauerläufer“ war von einer spe­ziellen literarischen Stimme die Rede. Der Nachfolger, „Mislaid“, ist in den USA bereits erschienen und hat einen völlig anderen Stil.

Den „Mauerläufer“ habe ich wirklich nur für Jonathan Franzen geschrieben, als von einer Veröffentlichung noch nicht die Rede war. Das Buch ist also sehr persönlich, und mir war nicht klar, dass ein Verlag es einfach übernehmen und drucken würde, fast unredigiert. Ich habe mich dann ein bisschen geschämt und wollte nicht sagen, welche Teile ich gerne rausnehmen würde, weil sie zu persönlich waren. Es hat zwar nichts Autobiografisches, ist aber ein sehr intimes Buch.

Das nächste Buch sind Sie kommerzieller angegangen?

Franzen hat versucht, meine früheren Schriften bei einem Verlag unterzubringen, und ist abgewiesen worden. Da dachte ich: Wie kann ich ihm sein Leben einfacher machen, wenn er mir schon den Gefallen tut und als mein Agent auftritt. Und ich dachte, ich könnte etwas schreiben, das ein bisschen mehr high concept ist. Wo man in einem Satz sagen kann, wieso gerade dieses Buch so totally sexy ist für den Markt. Und ich dachte, okay: Eine Lesbe heiratet einen Schwulen, sie ist weiß und gibt sich als Schwarze aus. So mach ich’s. Aber trotz des kommer­ziellen Hintergedankens bin ich so gewissenhaft wie immer an „Mislaid“ rangegangen.

Das heißt …

Ich will Geschichten erzählen, nicht so einen völlig undurchdringlichen Schmarrn. Manche schreiben ja mit Absicht verwirrend und schwierig und abweisend, so was kommt mir nicht in den Sinn. Ich habe immer für meine Freunde geschrieben, nicht für meine Feinde. Deine Leser sind nicht deine Gefangenen; wenn sie es nicht unterhaltsam finden, legen sie das Buch einfach weg.

Ist es ein Zerrbild, das das deutsche Feuilleton gezeichnet hat? Dass Ihre Literatur so sexzen­triert ist? „Analverkehr auf Seite dreizehn!“, schrieb ein Rezensent über den „Mauerläufer“.

In der amerikanischen Literatur hast du normalerweise Analsex auf Seite vier. Ich habe das Buch ja für Franzen geschrieben. Und in seinen Romanen merkt man, da gibt es Intimität durch konventionellen Geschlechtsverkehr, aber noch einen Schritt intimer ist der Analverkehr, und zwar eindeutig aus männlicher Perspektive. Franzen hat sich noch nie überlegt, wie das für die Frau eigentlich ist. Ich habe diese Szene also geschrieben, um ihn eines Besseren zu belehren. Es wird ja gerne um den heißen Brei geredet, dass es für Frauen gewöhnungsbedürftig oder schmerzhaft sei oder unbequem, aber wonach es sich eigentlich anfühlt, das zu schreiben ist politisch offenbar doch nicht vertretbar.

Ihre Protagonistin scheint recht getrieben von der eigenen Sexualität. Ist das Ihre eigene Erfahrung?

Dieser gnadenlose Sextrieb, dem die Tiff ausgesetzt ist, ist eher etwas von jüngeren Frauen. Dieses Problem habe ich in dieser Form nicht mehr. Das flaut mit den Jahren ab, und das ist gar nicht so schlimm.

Schafft das Freiraum?

Absolut. Für die Kunst und auch für Beziehungen. Wenn man jung ist, wird man von den Männern gejagt. Dann kommt eine Phase, wo man sich Männer sucht und die vielleicht auch kriegt. Ich war damit einigermaßen erfolgreich, aber wenn mal einer Nein gesagt hat, habe ich sofort das Interesse verloren, weil ich den Trieb hatte, mit jemandem zusammen zu sein. Wenn man dann älter wird, kann man einfach mehr Geduld aufbringen. Hier noch mal eine Schraube zu drehen oder da, sein Meisterstück abzuliefern. Die Beziehungen werden darum mit der Zeit immer besser.

Wenn Frauen erst dann mehr Freiraum haben, wenn sie aus dem Familiendruck raus sind, müsste es doch viel mehr geben, die erst mit 45 plus große Bücher schreiben. Furore machen aber junge Autorinnen.

Viele Frauen schreiben Bücher, aber viele brauchen auch keine Story. Die Story ist, dass sie so jung sind. Das ist wie damals, als Bob Dylan auserkoren wurde, die Stimme der Folk Music in den USA zu sein. Die hatten diese ganzen hässlichen abgehalfterten Folksänger, kein Teenie hätte für die geschwärmt. Da haben sie gesagt: Den wollen wir haben, der ist jung!

Wenn Sie rekapitulieren, was Sie mit Anfang 20 geschrieben haben, hätten Sie das gerne veröffentlicht gesehen?

Es waren Jugendsünden – aber verdammt gut geschriebene. Wahrscheinlich hätte ich sie irgendwo unterbringen können und mein Leben wäre sehr viel einfacher gewesen. Dafür bringe ich jetzt natürlich auch Lebenserfahrung und Bildung mit, die andere nicht haben. In den USA habe ich damit noch einen größeren Vorteil, weil da kein Mensch studiert. Die machen einen Bachelor in creative writing und fangen an, Romane zu schreiben. Und tagsüber arbeiten sie als Praktikanten bei einem Medienunternehmen. Die haben nichts erlebt und haben als Input nur die Oberfläche der Gesellschaft. Wenn das meine Konkurrenz ist, sieht es für mich ganz gut aus.

Also ist doch alles optimal gelaufen mit dem späten Erfolg.

Na ja. Immer wenn ich fotografiert werden soll, denke ich, ich wäre auch gerne noch jung. Altern ist schon hart. Ich sage nicht, dass ich scheiße aussehe, weil ich 52 bin. Aber ich kann mit großer Sicherheit sagen, dass ich mit 25 besser ausgesehen habe. Wenn ich damals schon meine Bücher veröffentlicht hätte, würden die sich bestimmt noch besser verkaufen.

Kürzlich waren Sie leicht bekleidet in einer deutschen Wochenzeitung abgebildet.

Dass ich in der Zeit in Unterwäsche abgebildet war, das war eine gezielte geschmackliche Verfehlung. Ich war eigentlich dabei, mir das Kleid zuzuknöpfen, aber der Fotograf meinte, lass es einfach auf. Ich kann als Feministin nicht wirklich dahinterstehen, aber die Zeit ist ja auch kein feministisches Blatt. Ich dachte, vielleicht kann ich die Leser mit Haut ermuntern, etwas über mich zu lesen. Dass es auf den Titel des Zeit Magazins kommen sollte, konnte ich da noch nicht wissen. Auf der Buchmesse in Leipzig wurde ich ein bisschen schief angeguckt, vor allem von Frauen.

Auch hier in Bad Belzig?

Ich bin am Morgen gleich rüber zum Kiosk und habe alle drei Exem­plare der Zeit gekauft, damit war die Sache gebongt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!