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Solidarität für Hausprojekt in BerlinSymbol für linke Freiräume

Der Konflikt um die Rigaer94 in Berlin-Friedrichshain reicht über Bezirksgrenzen hinaus. UnterstützerInnen geht es um Grundrechte und Mietpreise.

Rund 1.800 PolizistInnen waren bei der Demo am Samstagabend in der Rigaer Straße Foto: dpa

BERLIN taz | Jeden Abend um 21 Uhr wird es laut in Berlin-Friedrichshain, im sogenannten Nordkiez rund um die Rigaer Straße. Von Balkonen und aus Fenstern klappert es, Topfdeckel auf Topfdeckel, Holzlöffel auf Nudelsieb. Seit mehr als zwei Wochen geht das so. „Solidarität mit der Rigaer94“ ist das Motto dieses nachbarschaftlichen Protests, der auch die Demonstration begleitete, die am Samstagabend mit etwa 3.500 Menschen durch Friedrichshain zog. Die Rigaer94, 1990 besetzt, ist eines der letzten Hausprojekte in Berlin, in denen zumindest ein Teil der Räume bis heute nicht legalisiert oder geräumt wurde, sondern tatsächlich noch besetzt ist.

Obwohl man jetzt in der Vergangenheit sprechen müsste, denn ebendiese Räume im Erdgeschoss ließ der Hauseigentümer, ein britischer Investor, am 22. Juni räumen. Und weil die Rigaer94 nicht irgendein Haus ist, sondern seit Jahren ein Symbol für die linken Freiräume Berlins, rückten mit den BauarbeiterInnen auch 300 PolizistInnen an. Dass in Berlin gerade Wahlkampf ist und Innensenator Frank Henkel (CDU) sich in den letzten Monaten immer vorwerfen lassen musste, sich vor allem durch die Anzahl seiner Dienstreisen auszuzeichnen, mag ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen haben.

Seitdem brennen in Berlin und anderen Städten von Bielefeld bis Würzburg jede Nacht Autos, werden Farbanschläge auf teure Neubauten verübt oder die Fensterscheiben von Banken eingeworfen. Viele dieser Anschläge wurden in Bekennerschreiben in Zusammenhang mit der Rigaer94 gestellt. Senator Henkel ließ vor knapp zwei Wochen eine eigene 14-köpfige Ermittlergruppe einrichten, die „SoKo LinX“, um den linksradikalen BrandstifterInnen auf den Leib zu rücken.

Bei einer ersten Festnahme in der vergangenen Woche erwischte die Polizei dann ausgerechnet einen Szene-Aussteiger, der sich heute auf rechtsextremen Demonstrationen herumtreibt und von dem sich die Rigaer94 öffentlich distanziert hat, weil er in einer polizeilichen Vernehmung über das Hausprojekt Auskunft gegeben hatte.

Es ist ein Konflikt, der weit über Friedrichshain und die linksradikale Szene hinausreicht. Dass in Berlin die Mieten rasant steigen und gerade in der Innenstadt selbstverwaltete, unkommerzielle Räume verschwinden, das beschäftigt viele in der Stadt. Das Vorgehen der Polizei sorgt ebenfalls auch jenseits der autonomen Szene für Empörung: AnwohnerInnen fühlen sich von den seit Monaten stattfindenden anlasslosen Personenkontrollen in diesem als „kriminalitätsbelasteten Ort“ ausgewiesenen Gebiet schikaniert.

Nur eine Rückgabe der Räume beendet die Anschläge

Dass die Polizei als Erfüllungsgehilfe der Hausverwaltung auftritt und auch mal Fahrräder der BewohnerInnen aus dem Innenhof abtransportieren lässt, trifft ebenfalls auf Unverständnis. „Ich muss kein Freund der Rigaer Straße sein, um Grundrechtsverletzungen scheiße zu finden“, betonte etwa das Berliner Blog Metronaut schon Anfang des Jahres.

Mit seiner Unversöhnlichkeit gegenüber den etwa 30 BewohnerInnen der Rigaer94 steht Innensenator Henkel deswegen ziemlich allein da. Selbst der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat sich öffentlich dafür ausgesprochen, das Gespräch zu suchen. Wer hier mit wem verhandeln würde und ob sich die BewohnerInnen der Rigaer94 auf Gespräche einlassen würden, ist allerdings unklar.

Auf der linken Internetplattform Indymedia erklärten AutorInnen unter dem Namen „Autonome Gruppen“, dass sie mit „Vertreter/innen des Staates“ nicht verhandeln würden. Nur ein Abzug der Polizei und die Rückgabe der Räume an die BewohnerInnen könne die Anschläge beenden.

Kommende Woche wird erst einmal vor Gericht verhandelt werden: Die BewohnerInnen der Rigaer94 haben ein Eilverfahren gegen die Teilräumung des Hauses angestrengt. Da es keine Mietverträge gibt, befindet sich der Eigentümer rechtlich vermutlich auf der sicheren Seite. Wer allerdings politisch aus diesem Konflikt als Gewinner herausgehen wird, ist weniger klar.

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7 Kommentare

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  • An einigen Kommentaren merkt man schon wie weit der inflationäre Gebrauch des Wortes "Terrorismus" seit 2001 gediehen ist. Konnotierte man Terror in vergangenen Zeiten überwiegend mit Gewalt gegen Menschen (Entführungen, Attentate, Geiselnahmen), so wird heute bereits ein angezündetes Auto als Linksterrorismus bezeichnet. Ich kann jedem, der vorschnell die Semantik des Terrorbegriffs damit verniedlicht nur raten, sich mal ein Geschichtsbuch zu nehmen und nachzublättern welche Qualität einst und heute zu verzeichnen ist. Es lässt schon tief blicken, wenn "Terrorismusexperten" wie MARK_SCH und LAIN LAINSEN, linke Demonstranten pauschal als Attentäter bezeichnen. Bei Youtube finden sich indes unzählige Videos von Rechten, Nazis, Reichsbürgern u.a., wo bei linken Demonstranten druchweg von Linksterroristen die Rede ist. Herzlichen Glückwunsch zur Erreichen der gleichen niveauvollen Argumentationsebene übrigens...

    • @User0815:

      Ich habe den Begriff "Attentäter" nirgendwo benutzt. Schon gar nicht für Demonstranten. Demos sind grundsätzlich legitim. Brandstifter sind dagegen keine Demonstranten, sondern Straftäter.

       

      Terror ist "die systematische und oftmals willkürlich erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt, um Menschen gefügig zu machen". Den Begriff finde ich in diesem Zusammenhang richtig verwendet. Wer den Begriff sonst noch benutzt, ist zweitrangig. Kritik an linkem Terror in die rechte Ecke stellen zu wollen, ist unzulässig.

       

      Linke Extremisten zündeln, rechte Extremisten zündeln. Für beides kann ich keine Rechtfertigung akzeptieren. By the way: Der Fall es Ex-Linken, der ins rechte Lager gewechselt ist und beim Autoanzünden erwischt wurde, zeigt doch sehr schön, wie nah sich diese Typen sind.

  • "Dass in Berlin die Mieten rasant steigen und gerade in der Innenstadt selbstverwaltete, unkommerzielle Räume verschwinden, das beschäftigt viele in der Stadt."

     

    Ja, dieses Problem beschäftigt auch mich. Aber die Verbindung zur Rigaer94 sehe ich nicht. Die Autonomen kämpfen nicht für Mieterrechte, sie wollen "das System" angreifen. Und treffen mit ihren Brandanschlägen Dutzende zufällige Autobesitzer. Das ist nicht mein Ding, da hört jede Sympathie auf.

     

    Zudem befinden sich die Extremisten mit ihrer Dialog-Verweigerung ebenso wie Herr Henkel mit der seinen in einer Sackgasse. Wieso verdient das Unterstützung?

     

    Den Innensenator werden wir voraussichtlich nach der Wahl im September los. Den Linksterror wohl nicht. Die dauernden Straftaten müssen meiner Ansicht nach bedingungslos aufhören, bevor man sich mit Unterstützern oder Vertretern dieser Szene überhaupt an den Gesprächstisch setzen kann. Unter welcher politischen Koalition auch immer.

  • Warum sich linke Projekte immer selber ins Aus schießen, verschließt sich mir. Keine schriftlichen Mietverträge? Wie naiv muß man sein, um damit durchzukommen?

    Was wäre, wenn die 3500 Demonstranten nicht demonstriert hätten und ihr Bahnticket/ Spritgeld in Höhe von 10 Euro in den Kauf eines solchen Hauses gesteckt hätten. Dann wären nach einem Jahr 420.000 Euro zusammengekommen. So könnte eine Gegengentrifizierung stattfinden, solch ein Haus in jeder Straße könnte Maßstäbe setzen.

    • @Arne M:

      Nun zunächst scheuen Autonome sowas wie Eigenleistung oder Verantwortung im Normalfall genauso sehr wie Seife.

       

      Und die 10Euro haben sie nicht, sie könnten ja für 10Euro weniger kiffen oder saufen.

       

      Es ist einfacher anderen die Schuld zu geben anstatt selber was zu tun.

  • "Wir wollen nicht verhandeln und die Anschläge gehen weiter bis unsere Forderungen erfüllt sind." Klarer als mit dieser Aussage kann man wohl nicht machen, dass es sich hier um Terrorismus handelt. Beim Abfacklen von Autos handelt es sich hier also, wie im Artikel genannt, um "Anschläge" und die TäterInnen sollten, wenn gefasst, auch ensprechend als Terroristen, nicht als Sachbeschädiger, verurteilt werden.

  • Sagen wir es so: Es ist schön, auch eine andere Darstellung zu den Protesten zu bekommen als die aus anderen Medien, die sich auf die Zahl der verletzten Polizisten konzentriert. Dass Sie den Zusammenstoß mit der Polizei aber gar nicht erwähnen und entsprechend einordnen, finde ich schon höchst fragwürdig.

     

    Wie steht es denn mit Rechtspopulisten, die mit der Gewalt von Rechtsradikalen auch nichts zu tun haben wollen? Wahrscheinlich ist ja die Gewalt von rechts tatsächlich viel schlimmer als das, was hier geschehen ist, weil es mehr davon gibt und sie sich gegen Flüchtlinge richtet, die sich weniger gut schützen können als Polizisten. Eine kritische Einordnung der Zusammenhänge wäre aber schon zu begrüßen.

     

    Es gibt nichts, was Gewalt rechtfertigen kann. Ob sie nun von Rechts kommt, von Links, von Islamisten oder von wem auch immer. Jeder Mensch hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit (Polizisten übrigens auch).