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Protest Früher kämpften sie gegen den Castor, jetzt gegen Kohle. Aktivisten besetzen Tagebau in der LausitzHände hoch, Kohle weg

Alle herhören, einmal üben noch, und dann los zum Tagebau Foto: Florian Boillot

Aus Proschim Martin Kaulund Malte Kreutzfeldt

Am Freitagnachmittag, kurz nach 14 Uhr, erreichen sie die Abbruchkante. Hunderte Menschen sind es, sie tragen weiße Anzüge und Tagesrucksäcke, einer schwenkt eine Flagge. Es wurde ihnen aber auch leicht gemacht. Keine Polizei zu sehen, niemand von Vattenfall, dabei hatte der Konzern vorher behauptet, er würde verhindern, dass jemand das Gelände des Tagebaus Welzow Süd betritt.

Und jetzt sind die Aktivisten also hier und feiern es als Erfolg beim globalen Kampf für den Kohleausstieg. Ein Dutzend Aktivisten hat einer der riesigen Kohlebagger besetzt, sie wollen darauf übernachten.

Die europäische Umweltbewegung hat wieder ein Projekt, und es wird an diesem Wochenende von einer Wiese nahe der Ortschaft Proschim in Brandenburg aus gesteuert. Was 2007 Heiligendamm und bis 2011 der Castor-Protest im Wendland war, das ist heute der Kampf gegen die Braunkohle. Missionsname: „Ende Gelände“.

Knapp 3.000 Leute haben sich auf dem Zeltplatz in der Lausitz versammelt, Hunderte sind dazu aus dem Ausland angereist. Aus dem Baskenland sind welche gekommen, aus Frankreich und den Niederlanden, aus Polen und Tschechien. Aus Schweden, wo der Energiekonzern Vattenfall, der den Tagebau in der Lausitz betreibt, seinen Hauptsitz hat, sind zwei Busse mit UmweltaktivistInnen hergefahren. Zum Frühstück gibt es Graubrot mit Sesammuß.

Krieger mit Seifenblasen

Was hier seinen vorläufigen Höhepunkt findet, begann im Juni 2007 auf einer Wiese wenige Kilometer vor dem Ostseebad Heiligendamm: Der Fußmarsch, den Tausende gemeinsam in den frühen Morgenstunden aufnahmen, führte über einen Trampelpfad durch ein kleines Waldstück, dann über eine große Wiese. Wie dort tausende Menschen über das grüne Feld ziehen – das ist zu einer Bild­ikone der außerparlamentarischen Linken geworden. Nicht zu sehen: Die Polizeihubschrauber mit Beamten, die nur zuschauen können, wie dort unten die neuen Fußtruppen der globalisierungskritischen Bewegung aufziehen.

Sie agieren wie in „Command & Conquer“, einem Computerspiel der 90er Jahre. Dort gibt es ein Universum, das Tiberium heißt und vergiftet ist. Wer durch Tiberium läuft, verliert Energie. Auf einer weiten Landkarte kann der Spieler Truppen befehligen. Das Ziel und der Reiz dabei: Nach und nach mehr Gelände gewinnen. So war es auch, als beim G-8-Gipfel in Heiligendamm die tausenden Menschen über die Felder liefen. Und es war das Geheimnis der teils über Tage anhaltenden Blockaden der Castor-Transporte im Wendland. In der Weite der Landschaft war das kreative Kollektiv stets mächtiger als sein Gegenüber, die Polizei.

Als im August 2015 knapp 1.000 Aktivisten in weißen Overalls in den nordrhein-westfälischen Tagebau Garzweiler vordrangen – die erste Kampagne von „Ende Gelände“ –, folgten sie diesem Prinzip. Allerdings beherrschten sie plötzlich nicht nur eine Wiese, sondern eine Kulisse mit weit mehr Symbolkraft. Man kann sich das vorstellen wie in einem Videospiel, wenn die Weite der zu erobernden Landschaft unendlich erscheint: Bis zum Horizont türmen sich Mondlandschaften in kontrastarmen Reliefen auf – heller Sand, mattbraune Krater. Dazwischen ziehen die Armeen der Krieger, bewaffnet mit Strohsäcken und Seifenblasen.

Die endlos wirkende Grube diente als Kontrastvorlage: Vorne Menschen, oft in weißen Maleranzügen, im Hintergrund die riesigen Radschaufelbagger und die Räumpanzer der Polizei. Und dann die Farben: Nur das Blau des Himmels und der Sand, eine irreal anmutende Szenerie. Es war besser als im Computerspiel: Selbst wer sich vor dieser Kulisse vermöbeln ließ, hatte Erfolg. Jedes Bild war ein Gewinnerbild für die Bewegung.

In diesen Tagen im August 2015 begriffen einige, was sie sich bis dahin zwar einredeten, aber nicht unbedingt glaubten: Was der Castor war, ist jetzt die Kohle. Und während dann einige Monate später, im November 2015, aus vielen europäischen Ländern Umweltaktivisten zum Klimagipfel in Paris reisten, arbeiteten in Deutschland viele bereits an etwas anderem: „Ende Gelände 2016“.

Freitagvormittag. Drüben auf dem Feld üben zwölf Franzosen eine Sitzblockade, daneben laufen einige hundert andere in ihren weißen Ganzkörperanzügen hin und her. Erst proben sie das Umfließen, dann das Durchbrechen von Polizeiblockaden. Über der Gruppe fliegt eine kleine Drohne mit Kamera. Es ist ein Test für später, wenn die Bewegung ihre Formationsläufe dokumentiert und in dem Territorium, das sie erkämpfen will, ihre eigene Bildsprache inszeniert. Kommandiere und erobere.

Und dann, gegen Mittag, laufen sie in drei Gruppen los, in drei „Fingern“, wie sie es nennen. Sie rufen: „Wir sind hier. Wir sind laut. Weil ihr uns das Klima klaut.“

Julia Normann, 27, lebt in Stockholm. 2015 ging sie mit in die Grube in Garzweiler. „Das war das erste Mal, dass ich politisch etwas gemacht habe“, sagt sie. Damals war sie mit neun Freunden aus Schweden angereist. In diesem Jahr hat Julia Normans Gruppe noch 100 weitere Aktivisten aus Stockholm und Göteborg mitgebracht. Es hat sich herumgesprochen: Von den zahlreichen Protestaktionen, die in diesen Tagen unter der Stichwort „Break Free“ weltweit für einen Ausstieg aus der fossilen Energie werben, wird der Tagebaubesetzung in der Lausitz der größte Stellenwert beigemessen.

Selbst wer sich vermöbeln ließ, hatte Erfolg. Jedes Bild war ein Gewinnerbild für die Bewegung

Dass die Proteste sich wieder internationalisieren, hat einen Grund: Auch der Adressat der Proteste ist international. Fünf Braunkohletagebaue in der Lausitz sowie vier große Kraftwerke, die von dort mit Brennstoff versorgt werden, gehören derzeit noch dem schwedischen Staatskonzern Vattenfall.

Der sieht die Braunkohle-Nutzung, glaubt man dem Unternehmen, mittlerweile fast ebenso kritisch wie die Teilnehmer von „Ende Gelände“: Der extrem hohe CO2-Ausstoß der ostdeutschen Braunkohle-Kraftwerke passt nicht zum neuen Image, das Vattenfall sich verschreiben will. Die Zukunft des Konzerns liege in den erneuerbaren Energien, hatte Vorstandschef Magnus Hall im April verkündet: „Wir wollen Teil der Energiewende sein.“ Auf Druck der schwedischen Regierung will sich Vattenfall darum von den Tagebauen und Kraftwerken in Ostdeutschland trennen.

Als neue Eigentümer sind zwei andere ausländische Konzerne vorgesehen: Die tschechische Energieversorger EPH, dem bereits die Braunkohletagebaue der Mibrag südlich von Leipzig gehören, und der asiatische Finanzinvestor PPF. Bezahlen werden sie allerdings nichts für ihren neuen Besitz; wegen der hohen Zukunftskosten für die Braunkohleschäden gibt Vattenfall ihnen stattdessen noch 1,7 Millarden Euro dazu, um die Sparte loszuwerden. Ehe die neuen Besitzer die Anlagen stilllegen, werden sie jedoch noch lange Kohle fördern.

Bei den TeilnehmerInnen des Klimacamps kommen die Pläne darum schlecht an. Sie wollen stattdessen, dass Vattenfall die Tagebaue und Kraftwerke behält, um sie schnellstmöglich sozial- und klimaverträglich stillzulegen. Die schwedische Regierung hat noch keine endgültige Entscheidung getroffen, ob sie dem Verkauf zustimmt. Die Prüfung soll Monate dauern. Auch deswegen ist das Anti-Kohle-Bündnis in der Lausitz.

Und so entsteht rund um den Tagebau Welzow-Süd etwas, das auch in den kommenden Jahren Bedeutung entfalten wird: eine neue, verjüngte Klimabewegung. Und eine, die nicht vor nationalen Grenzen haltmacht. Die Aktivisten aus dem Ausland wollen das Gelernte auch zu Hause anwenden.

Am Freitagnachmittag haben alle drei „Finger“ ihr Ziel erreicht. Direkt vor dem Hauptgebäude von Vattenfall sitzen 500 Leute auf den Schienen der Kohlebahn, manche haben einen Mundschutz um wegen des Kohlestaubs. Vielleicht zehn Polizisten schauen zu und zehn Mann vom Wachschutz. Wenn sie mindestens 24 Stunden hier sitzen bleiben, hätte es Auswirkungen auf den Kraftwerksbetrieb. Dann nämlich, so kalkulieren die Aktivisten, geht Vattenfall die Kohle aus.

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