Forscherin über Biotierhaltung: „Besser, aber nicht gesünder“
Schweine in Ökobetrieben können ihr natürliches Verhalten besser ausleben: Professorin Ute Knierim über Krankheiten, Auslaufflächen und Kontrollen.
taz: Frau Knierim, auch in der Biolandwirtschaft gibt es immer wieder Skandale: Sauen in engen Käfigen, überbesetzte Hühnerställe und verletztes Vieh. Geht es Ökotieren wirklich besser als konventionellen?
Ute Knierim: Da muss man zwischen Verhalten und Gesundheit unterscheiden. Die meisten Biotiere sind nicht gesünder. Die Untersuchungen dazu haben bei den meisten Krankheitsbildern und Tierarten ähnliche Erkrankungsarten gefunden. Ausnahmen sind zum Beispiel Lahmheiten bei Milchkühen, die im Schnitt bei Biotieren seltener auftreten. Denn in der Regel sind die Liegeflächen für Biokühe beispielsweise mit weichem Stroh eingestreut, und sie haben mehr Weidegang. Die Tiere stehen nicht so viel auf feuchten, harten Böden, was zu Klauenerkrankungen führen kann.
Bei welchen Krankheiten und Tierarten schneidet Bio im Schnitt schlechter ab?
Zum Beispiel beim Parasitenbefall von Schweinen, was sich widerspiegelt in Narben an den Lebern. Auch das ist unter anderem dadurch zu erklären, dass Bioschweine Einstreu und Auslauf ins Freie haben. Das erhöht das Risiko, dass sie Wurmeier aufnehmen. Wenn die Tiere rauskönnen, ist es grundsätzlich schwieriger, sie vor potenziellen Krankheitserregern abzuschirmen.
Wie kann man Erkrankungen verhindern und die Tiere dennoch draußen und auf Stroh halten?
Man muss verschmutzte Einstreu wechseln und zum Beispiel Schweinen Platz geben, damit sie genügend Abstand zu ihrer Kotecke halten können. Der Auslauf sollte regelmäßig gesäubert werden.
55, ist Professorin für Nutztierethologie und Tierhaltung am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel
Aber selbst dann dürfte es im Auslauf mehr Erkrankungen geben als in hermetisch abgeriegelten konventionellen Ställen. Sollten die Bios trotzdem am Auslauf festhalten?
Wenn die Bedingungen für das Tier insgesamt stimmen, kann der Auslauf auch zu einer gesteigerten Abwehrkraft beitragen. Und nicht jede Erkrankung schränkt das Wohlbefinden der Tiere ein. Ein milder Parasitenbefall ist zum Beispiel normal und keinesfalls kritisch. Aber es stimmt schon, die Anforderungen an ein gutes Management durch die Tierhalter steigen.
Was kann die Biokontrolle tun, damit die Tiere gesünder sind?
Die Bioverbände sind ja schon länger auf dem Feld aktiv. Sie haben Leitfäden für ein gutes Management erstellt und seit letztem Jahr in ihre Kontrollen einen Tierwohlcheck aufgenommen. Es wird nun stärker darauf geachtet, dass nicht nur die Stallmaße stimmen, sondern auch darauf, wie viele lahme Tiere habe ich denn, wie ist denn die Eutergesundheit und solche Sachen.
Reicht dieser Tierwohlcheck?
Nun, er ist noch entwicklungsfähig. Die Herausforderung ist, in einer relativ kurzen Zeit, momentan im Mittel etwa 30 Minuten pro Betrieb, ausreichend belastbare Informationen zu gewinnen.
Skandale kamen in den vergangenen Jahren auch in der Ökotierhaltung vor:
Schweine: Der Biofleisch-Pionierbetrieb Hermannsdorfer Landwerkstätten stand zuletzt in der Kritik. Gründer Karl Ludwig Schweisfurth räumte nach Vorwürfen von Tierschützern ein, Sauen zeitweise in engen Kastenständen gehalten sowie Antibiotika eingesetzt zu haben, welche die Richtlinien seines Verbandes Biokreis verbieten. Beides habe sich geändert, sagte er damals der taz.
Hühner: Tierrechtler warfen dem Ökohof Wiesengold im Oktober 2013 vor, Tiere schlecht zu behandeln. Die meisten Elterntiere von Ökolegehennen bekamen keinen Auslauf, viele männliche Küken wurden nach dem Schlüpfen getötet. Tierrechtler hatten Hennen in den Ställen gefilmt, die kaum noch Federn hatten. Die Firma, die bis dato als größter Bio-Eiervermarkter Deutschlands galt, wurde schließlich geschlossen. (taz)
Muss der Tierwohlcheck länger dauern?
Wahrscheinlich schon. Eine genaue Zahl kann ich noch nicht benennen. Aber es geht auch darum, effizientere Vorgehensweisen zu entwickeln, zum Beispiel eine intelligente Kombination aus Eigenkontrolle durch die Landwirte und externer Kontrolle.
Sind die Verhaltensmöglichkeiten von Biotieren besser als die von konventionellen Tieren?
Ja, durch die höheren Anforderungen der EU-Ökoverordnung haben die Tiere tatsächlich bessere Voraussetzungen, ihr normales Verhalten auszuführen. Es gibt natürlich Abweichungen im Einzelfall, ein Biobetrieb kann auch mal schlechter als ein konventioneller sein, aber im Schnitt ist das Ökoniveau höher.
Was sind die wichtigsten Unterschiede bei den Haltungsbedingungen zwischen konventionell und bio?
Mehr Platz, zum Beispiel hat ein 100 Kilogramm schweres Ökoschwein mehr als dreimal so viel Fläche zur Verfügung wie ein konventionelles. Dann Zugang zum Außenklima. Und, soweit möglich, auch Weidegang. Anders als im konventionellen Bereich ist beim Geflügel die Zahl der Tiere begrenzt, die maximal in einem Stallabteil gehalten werden dürfen. Bei Masthühnern müssen langsamer wachsende Rassen eingesetzt werden, was einen ganz starken Effekt auf das Wohlbefinden der Tiere hat. Man hat bei den Säugetieren entweder verlängerte Säugezeiten – etwa bei den Schweinen – oder Zeiten, in denen die Tiere natürliche Milch bekommen müssen. Bei Milchkühen etwa gibt es in der konventionellen Haltung keine Vorschriften für Mindestflächen und Angebot von Einstreu, bei Bio schon.
Warum ist Einstreu wichtig?
Mit Stroh etwa können sich die Tiere vielfältig beschäftigen. Schweinen ermöglicht es, Nester zu bauen, zum Beginn der Geburt oder zum Ruhen. Das trägt erheblich dazu bei, dass sie sich nicht mangels Beschäftigung gegenseitig verletzen. Einstreu kann auch den Liegekomfort erhöhen, bei niedrigen Temperaturen isolieren und von den Tieren gefressen werden.
Konventionellen Tieren werden die Schnäbel und Schwänze gekürzt. Wie ist das bei Bio?
Das Verbot von nichtkurativen Eingriffen ist rigoroser. Das sind Eingriffe, die eigentlich nicht zur tierärztlichen Behandlung gehören, sondern die Tiere an die Haltungsbedingungen anpassen. Dort, wo Ausnahmen bei Bio gemacht werden oder auch bei der Kastration männlicher Tiere, sind die Anforderungen an die Schmerzausschaltung strenger.
Manche konventionelle Landwirte sagen, dass Weidegang für Kühe nicht so wichtig sei. Was lässt sich dazu aus wissenschaftlicher Sicht sagen?
Es ist gut belegt, dass der Weidegang bei der Kuh viele positive gesundheitliche Effekte haben kann. Kühe mit Weidegang leben nach einigen Untersuchungen im Schnitt länger, sie haben weniger Schäden an der Haut und den Gelenken, zum Beispiel weniger Schwellungen, Geschwüre oder offene Stellen.
Woran sieht man in der Praxis, dass die Kühe gern draußen sind?
Zum Beispiel, wenn sie im Frühjahr das erste Mal auf die Weide gehen, rennen sie wie wild durch die Gegend – sie spielen, was man ja bei erwachsenen Kühen nicht unbedingt erwarten würde. Sie laufen mit hoch erhobenem Schwanz herum und erkunden alles, bis sie wieder in ihren gemächlichen Gang übergehen und anfangen zu weiden. Wenn Kühe die freie Wahl haben – einige Untersuchungen hat es dazu gegeben –, bevorzugen sie durchaus den kühlen schattigen Stall, falls es draußen sehr heiß ist. Aber im Frühjahr etwa, wenn die Außentemperaturen für die Kühe sehr angenehm sind, bleibt keine Kuh imStall.
Es wird immer wieder kritisiert, dass es so viele Ausnahmen von den Biovorschriften gebe. Wie ist das beispielsweise beim Weidegang?
Es gibt auch Biomilchviehbetriebe ohne Weidehaltung, etwa weil die Ställe im Ort liegen und sie keinen Zugang zu Weiden haben. Aber wo der Weidegang möglich ist, muss er gewährt werden. Tatsächlich gibt es insgesamt mehr Weidegang im Biobereich als in der konventionellen Haltung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Folgen des Koalitionsbruchs
Demokraten sind nicht doof – hoffentlich
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal