piwik no script img

Kommentar Freispruch von ŠešeljDer Brandstifter bleibt unversehrt

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Der serbische Nationalist Vojislav Šešelj wurde vom Vorwurf der Kriegsverbrechen freigesprochen. Doch vor der Geschichte bleibt er schuldig.

Vojislav Šešelj am 31. März bei einer Pressekonferenz Foto: reuters

Z uerst haben die Menschen in Bosnien und in Kroatien die Nachricht über den Freispruch von Vojislav Šešelj für einen schlechten Scherz gehalten. Auch in Serbien war die Überraschung perfekt, selbst Šešelj hatte nicht mit diesem Urteil gerechnet. Denn er hatte das Gericht immer als Instrument des Westens betrachtet, Serbien zu demütigen. Doch auch nach dem Spruch in Den Haag bleibt er vor der Geschichte schuldig.

Als Šešelj 1989 seine Tschetnikbewegung gründete, gab er den Ton für die nationalistisch-faschistische Bewegung in Serbien vor. Der ehemalige Kommunist, der Mitte der 80er Jahre zum glühenden Nationalisten konvertierte, wurde zum Ideologen eines ethnisch reinen Großserbiens, das alle Serben, die in Jugoslawien lebten, in einem Staat zusammenfassen wollte.

In einer Vielvölkerregion, wie es der Balkan nun einmal ist, bedeutet diese Strategie von vornherein, Kriege zu provozieren und die Vertreibung und Ermordung aller Nichtserben aus den von Serben beanspruchten Gebieten durchzuführen.

Šešeljs Tschetniktruppen aus Hooligans und Kriminellen waren 1989 die ersten paramilitärischen Verbände. Die später im Krieg von ihm politisch beeinflussten Truppen wie die der „Weißen Adler“ und „Gelben Wespen“ begingen zweifelsfrei große Verbrechen in der zu Kroatien gehörenden Region Slawonien, in Vukovar und in Ostbosnien, sie waren beteiligt an der Ermordung Hunderter in der Kleinstadt Visegrád an der Drina, in Ovčari und später dann im Kosovo.

Wirres Verhalten kam ihm zugute

Šešelj war schlau genug, niemals direkt als militärischer Kommandeur aufzutreten, wie andere es taten. Er hatte ständig Krach mit ihnen und sogar mit Präsident Slobodan Milošević, mit dem er mal koalierte und den er mal bekämpfte. Das wirre Verhalten Šešeljs ist ihm jetzt im Urteil zugutegekommen.

Die Aussage des Gerichts, für Großserbien einzutreten sei Politik und kein Verbrechen, macht die allerdings fragwürdige Haltung des Gerichts deutlich. Dass das UN-Tribunal die Ideologen des Völkermords nicht zur Verantwortung ziehen will, war schon in anderen Prozessen deutlich geworden.

Die Aufarbeitung der Verbrechen der 90er Jahre dürfte in Serbien nun noch schwerer fallen

Die serbische Öffentlichkeit interpretiert diesen Freispruch trotz der Verurteilung des Serbenführer Radovan Karadžić vor einer Woche als Entlastung für die Serben insgesamt. Und Šešelj hat jetzt sogar die Chance, bei den Wahlen am 25. April triumphal ins serbische Parlament zurückzukehren.

Die Aufarbeitung der Verbrechen der 90er Jahre wird nun noch schwerer fallen. Weil Šešelj weiterhin für Großserbien kämpfen will, wird sich die Atmosphäre in der Region wieder verschlechtern. Und ob mit Šešelj als EU-Gegner und Russlandfreund die Pro-EU-Strategie der jetzigen Regierung durchgesetzt werden kann, ist fraglich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Leider sind auch Bush und Obama noch immer "unversehrt". Es geht, bitterbitter, sehr ungerecht zu, auf der Welt.

  • Beim Brandanschlag von Salzhemmendorf im Weserbergland wurde endlich wegweisend der Zusammenhang von Nazi-Ideologie und Gewaltverbrechen formuliert und verurteilt.

    Der Medienprozess im Arusha-Tribunal zu Rwanda ICTR hätte ebenfalls wegweisend für eine Verurteilung Šešelj sein können.

     

    Übrigens bezeichnet "Herr Šešelj" stets alle Richter und Leute, die er nicht leiden kann, als Schwanzlutscher.

  • Vielleicht, man müsste es prüfen, liegen die Gründe für dieses Urteil in den vor ca 3 Jahren veränderten Regeln der Beweisführung des Gerichts, indirekt soll dies auf Bemühungen der Amerikaner zurückgehen, in der dt. Presse wurde damals praktisch gar nicht darüber berichtet, ausführlich hingegen in der dänischen, weil damals der Brief eines ehemaligen dän. Richters Jugoslawien-Tribunal geleakt wurde, dahinter steht wohl das Ansinnen sowohl die Kroaten (schon Nato- Partner) als auch die Serben (zukünftige Nato- Wunschpartner [Putin umwirbt hier auch die Serben]) günstig zu stimmen. Die geänderten Regeln beziehen sich u.a. darauf, dass militär. Befehle, um als gültiger Beweis zu gelten, schriftlich vorgelegen haben müssen, mündlich erteilte, wie es oft auch bei den allerhöchsten Befehlshabern bewusst geschieht hätten somit keinerlei Beweiskraft mehr. Befehlshaber (Oder hochrangige Politiker sollen nicht mehr für die Taten der auführenden Soldaten verantwortlich gemacht werden. So kamen schon vor 3 Jahren auf die geänderten Regeln serbische u kroatische Militärs Geheimdienstler frei, mit denen die Amis (und so vermute ich auch der Rest des Westens) sehr gerne zusammen arbeiten (möchten). von Analysten wurde damals kritisiert, dass die neuen Regeln hinter die Standards der Nürnberger Prozesse zurückfallen. Ein weiterer vermuteter Grund für die Regeländerungen, liegt wohl darin, dass sich die Amerikaner, durch die gesenkten Standards zukünftige Prozesse gegen eigene Soldaten (bislang haben sie die Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofes immer noch nicht ratifiziert) vor internationalen Gerichten bessere Chancen für sie erhoffen.

  • In Ex-Jugoslawien haben viele Menschen anscheinend nichts aus der Geschichte gelernt. Angesichts der wirtschaftlich desolaten Lage dort, wirft man sich dem Ultranationalismus in die Arme. So findet der Hype um die serbischen Schlächter seine Ergänzung in Kroatien, wo Kriegsverbrecher von großen Teile der Bevölkerung als Helden verehrt werden. Die Kosovaren halten wiederum zu ihren kleptokratischen 'Helden'. Jeder hat seine Fahne, seine Hymne, seine Sprache - dafür Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und korrupte Politiker. Kein Friede, sonder nur ein von EU und NATO verordneter Waffenstillstand - bis zur nächsten Runde.

  • In D. hätte man diesen „ehrenwerten“ Herrn Šešelj wenigstens wegen Volksverhetzung am Kanthaken gekriegt. Im Völkerrecht gibt es wohl einen solchen Paragraphen nicht? Das wäre schlimm, denn mit Hetze gegen „die Anderen“ beginnt, was schließlich mit Krieg endet, siehe D., 1933-1945!

     

    Aber in D. war nach 1945 der Traum von einem „Großdeutschland“ endgültig zerstoben, während Šešelj nun mit dem Segen aus Den Haag die nächste Etappe im Kampf für ein „Großserbien“ angehen kann. Die –zig Mio €, die er jetzt als Entschädigung für die U-Haft verlangt (und wohl auch bekommen wird), werden ihm dabei eine große Hilfe sein!

  • Zuallererst muss ich mich wundern, dass der Schreiberling dieses Kommentars seine Identität nicht preisgibt.

    Nun frage ich mich warum dieses Urteil des Gerichts nicht akzeptiert wird aber aller anderen schon?

    Ein Gericht, dass nur serbische Angeklagte und ein paar afrikanische Despoten verurteilt hat, scheint mir in seiner Rechtsphilosophie zweifelhaft.

    Was ist mit den Verantwortlichen der US-Amerikanischen Invasionskriege der letzten 100 Jahre nebst Betreibern von Guantanamo Bay? Die werden nie ein Gericht als Angeklagte von innen sehen. Ebenso wenig wie Herr Gündogan und seine Schergen.

    Das ist für mich ein noch viel schlechterer Scherz.

    • @Links234:

      Beschimpft wurde hier niemand, nur eine Bemerkung getätigt. Und Philippe Ressing halte ich für ebenso wenig überprüfbar wie Fix und Foxi.

      Der "Gündogan" ist falsch, völlig richtig aber der richtige Name lautet Erdoğan und nicht Erdoghan. Wenn schon, dann bitte richtig korrigieren.

      Es heißt ja auch lustig und nicht luschtig...so viel dazu.

      Gute Nacht.

    • @Links234:

      Luschtig wenn ein Anonymus einen anderen Anonymus dafür beschimpft, anonym zu posten. Digitale Realsatire 2016.... Natürlich lassen sich die Mächtigen erst vor den Kadi zerren, wenn sie ihre Macht verloren haben. Aber ohne das Tribunal von Nürnberg 1946 und die nachfolgenden Auschwitz-Prozesse in den Sechzigern, würde man in Deutschland heute noch den Holocaust für eine Petitesse der Geschichte halten. PS. der türkische Präsident heißt Erdoghan - man sollte früher zu Bett gehen....

  • Wenn es sich bei diesem Artikel um ein Kommentar handelt, wie über der Überschrift zu lesen ist, sollten wir Lesenden auch erfahren von wem dieser stammt.

    • @hmm?:

      Also bei mir steht das (am PC) rechts neben dem Kommentar...

  • Die geschätzten Opferzahlen nach dem offiziellen Ende des Irakkrieges, bei dem die USA Brandstifter, Lügner und Massenmörder geworden sind – überschreiten die Zahlen selbst der diversen Jugoslawienkriege um ein Vielfaches. Wann kommen Bush und neuerdings auch schon seit langem mit eigenen, eigens zu verantwortenden Massenmorden: Obama, vors Kriegsverbrechen-Tribunal?-Das Beste an dem Typen ist der Friedensnobelpreis. Aber wie heißt es im Taz-Bericht: "Doch vor der Geschichte bleibt er schuldig." Kommt andererseits aber darauf an, ob man die wahre Geschichte meinen will, oder sich lieber auf eine bestimmte Seite der Geschichte schlagen möchte.