: „Hier zu sein ist eine Chance für uns“
Ankommen I Vier syrische Geflüchtete machen gemeinsam arabischsprachiges Radio für Flüchtlinge aus Syrien in Berlin. Sie wollen den Menschen helfen, in dieser Gesellschaft anzukommen, sagen sie, und selbst viele neue Erfahrungen in Deutschland sammeln
Geflüchtete brauchen viele Informationen. Welche inhaltlichen Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Sendung?
Dima B. Kalaji: Viele Medien konzentrieren sich darauf, die Informationen zu verbreiten, die neu angekommene Flüchtlinge brauchen. Wir wollen die versorgen, die durch die erste Phase durch sind und nach Wegen in diese Gesellschaft suchen. Wir berichten über solche Möglichkeiten hier in Berlin: etwa, dass man hier in arabischer Sprache den Führerschein machen kann, über die Angebote, die Berliner Universitäten den Geflüchteten machen, oder Führungen in arabischer Sprache in Berlins Museen. Aber wir wollen Geflüchteten auch einen Raum bieten, wo sie einfach mal ein bisschen Spaß haben, entspannen können. In unserer ersten Sendung war eine Multikulti-Liveband.
Multikulti – haben Sie das Wort hier gelernt oder aus Syrien mitgebracht?
Dima B. Kalaji: Ich habe es hier im Deutschunterricht gelernt. Jemand hat mir gesagt, dass viele Leute das hier negativ interpretieren. Aber ich finde es gut.
Gab es Reaktionen auf die ersten Sendungen?
Bassam Dawood: Es gab schon positive Reaktionen, bevor wir zu senden anfingen. Wir bekommen viele Nachrichten über Facebook. Die Leute schreiben uns, worüber wir berichten sollen, welche Information sie benötigen.
Viele SyrerInnen wollen unbedingt nach Berlin – warum eigentlich?
Bassam Dawood: Syrien hat ein Zentrum, das ist Damaskus. Alles spielt sich dort ab. Wer etwas Besonderes studieren möchte, Wichtiges zu erledigen hat, muss in die Hauptstadt. Viele der geflüchteten SyrerInnen glauben deshalb, dass sie ihr Leben hier leichter starten können. Sie denken, dass sie hier mehr Chancen haben.
Entsteht hier bereits eine syrische Community, Netzwerke, Selbstorganisationen?
Abdul Rahman Mousa: Ja, es entstehen Strukturen, aber nicht alle SyrerInnen sind Teil davon.
Wer nimmt teil, wer nicht?
Abdul Rahman Mousa: Es kommen politisch sehr aktive Menschen aus Syrien – deren Zahl war besonders hoch unter denen, die am Anfang geflüchtet sind, und es kommen solche, die einfach nach Sicherheit suchen – wobei das natürlich für beide Gruppen gilt. Viele der Aktiven engagieren sich auch hier.
Roshak Ahmad: Nicht alle Syrer hatten eine Haltung dem Regime gegenüber, viele haben eben einfach versucht, ihr Leben zu leben. Das wollen sie hier auch.
Bassam Dawood: Es gibt auch solche, die in Syrien nie politisch aktiv waren, es hier aber sind, weil sie hier keine Angst haben müssen.
Spielen unter den syrischen Flüchtlingen Grenzen wie religiöse Zugehörigkeit eine Rolle? Gibt es hier Konflikte etwa zwischen Aleviten und Sunniten?
Bassam Dawood: Nein, nicht innerhalb der aktiven Community. Es gibt aber eine Trennlinie. Die heißt: Wie stehst du zum Assad-Regime?
Ist Berlin in Ihrer Wahrnehmung schon ein bisschen syrisch geworden?
Abdul Rahman Mousa: Ich fühle mich hier manchmal sehr an Damaskus erinnert. Es ist ähnlich chaotisch hier. Und es gibt eine Brücke an der Warschauer Straße zwischen U-Bahn- und S-Bahn, die sehr einer Brücke in Damaskus ähnelt, wo ich oft war. Von beiden Brücken kann man im Westen direkt in den Sonnenuntergang sehen.
Wo sehen Sie sich in drei, vier Jahren?
Die Sendung: Die 30-minütige Sendung „Syrmania“ läuft alle zwei Wochen donnerstags um 20 Uhr im PI-Radio (www.piradio.de) und ist auch über die Internetseite Souriali (www.souriali.com) zu hören. „Syrmania“ auf Facebook: www.facebook.com/groups/Syrmania/
Die Macher: Bassam Dawood, 38, seit zwei Jahren in Berlin, Schauspieler, Journalist, Moderator der Radiosendung.
Dima B. Kalaji, 33, seit zwei Jahren in Berlin, Journalistin, Redakteurin der Radiosendung.
Roshak Ahmad, 29, zwei Jahre in Berlin, Videojournalistin und Moderatorin der Radiosendung.
Abdul Rahman Mousa, 31, ein Jahr in Berlin, Fotograf und Moderator der Radiosendung. Alle vier sind bereits als Flüchtlinge anerkannt. (akw)
Abdul Rahman Mousa: Ich möchte nach Syrien zurückgehen, sobald das möglich ist. Jetzt möchte ich erst hier studieren und mit dem Radio weitermachen.
Bassam Dawood: Ich werde wohl noch hier sein, denn ich glaube nicht, dass sich die Situation in Syrien innerhalb von drei, vier Jahren stabilisiert.
Dima B. Kalaji: Ich möchte hier einen Master machen an der Uni und einen guten Job finden.
Roshak Ahmad: Ich will auch nach Syrien zurück, aber nicht gleich. Ich will mit neuen Erfahrungen zurück. Die Medien hier sind weltbekannt für ihre Qualität, ich möchte etwas lernen.
Hier denken viele, wer von Rückkehr träumt, kann sich nicht integrieren. Sie engagieren sich hier und wollen trotzdem zurück.
Dima B. Kalaji: Hier zu sein ist eine Chance für uns. Wir können etwas Neues lernen und mit dieser Erfahrung zurückkehren. Syrien wird das brauchen, denn es wird total zerstört sein. Und besser, als nichts zu tun, solange wir hier sind, ist doch, etwas zu tun und etwas zu lernen. Auch Deutschland hat sich nach dem 2. Weltkrieg neu aufgebaut. Wir können aus dieser Geschichte lernen. Interview Alke Wierth
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