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Kommentar „Fall Lisa“Neue deutsche Leitkultur

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens nutzen nationalistische Kreise in Moskau und Deutschland nun für ihre Zwecke.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow wirft Deutschland vor, „die Realität aus innenpolitischen Gründen politisch korrekt zu übermalen“. Foto: ap

R ussland hat ein Interesse daran, Europa zu spalten und seine internen Konflikte anzuheizen. Deswegen stellt sich Putin demonstrativ hinter einen Autokraten wie Victor Orbán, der eine gemeinsame Flüchtlingspolitik torpediert, und deswegen pflegt Moskau Kontakte zu Rechtsparteien wie dem belgischen Vlaams Belang, der FPÖ oder der italienischen Lega Nord. Dem Front National soll er sogar mit einem Millionenkredit geholfen haben.

Die angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens in Berlin aus einer russlanddeutschen Familie nutzen nationalistische Kreise in Moskau und Deutschland nun für ihre Zwecke. Mehrere tausend Menschen haben am Sonntag bundesweit demonstriert, weil sie der tendenziösen Berichterstattung russischer Staatsmedien mehr Glauben schenken als deutschen Behörden. Mit dem Vorwurf, die deutsche Polizei würde die Wahrheit vertuschen, gießt Russlands Außenminister weiter Öl ins Feuer.

Es greift aber zu kurz, die Proteste, bei denen sich Russlanddeutsche mit Parteigängern von Pegida und NPD treffen, als vom Kreml gesteuert zu betrachten. Sie knüpfen vielmehr an eine Stimmung an, die hierzulande bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitet ist, wie man nach der Kölner Silvesternacht sehen konnte. Vorurteile gegen Flüchtlinge und „Araber“ sind in Deutschland ja keine Randerscheinung, sondern gehören sogar in bestimmten Feuilletons zum guten Ton.

Da bilden sich neue, gefährliche Allianzen. Gerade deshalb aber sind die von Russlanddeutschen getragenen Proteste kein Ausdruck einer bedenklichen Desintegration. Sie sind ein Mittel, um sich als eingewanderte Minderheit über andere Einwanderer und Flüchtlinge zu erheben und als Teil der Mehrheitsgesellschaft zu präsentieren. Denn das Ressentiment gegen Flüchtlinge und Araber muss ja nicht erst aus Russland importiert werden. Es gehört fast schon zur neuen deutschen Leitkultur.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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15 Kommentare

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  • Richtig ist, dass ich persönlich den deutschen Medien und Behörden mehr vertraue als den russischen. Ich hoffe, dass auch Russlanddeutsche das so sehen.

     

    Die Frage ist nicht, ob die Presse Russlands oder Deutschlands lügt, sondern wer seine Arbeit als Journalist besser macht. Warum hat die Presse in Deutschland denn den Fall nicht seriös im Detail recherchiert, also mal mit den Eltern und der Polizei gesprochen? Im Moment hören wir nur, dass die russischen Behörden Vorwürfe machen und sich auf die Eltern beziehen. Das müsste man dann mal nachrecherchieren, was wirklich stimmt.

     

    Es ist merkwürdig wie der rechte Lügenpresse-Vorwurf gegen die deutschen Medien sich im antirussischen Lügenpresse-Vorwurf des deutschen Mainstreams spiegelt, ohne dass journalistisch an der Aufklärung gearbeitet wird.

     

    Mal davon abgesehen, dass der Fall Lisa hochgespielt wird, wäre es fatal, die Deutungshoheit bei den Russlanddeutschen den russischen Medien zu überlassen.

    • @Ansgar Reb:

      Es gibt und gab durchaus eine Reihe von Meldungen zu diesem Fall, auch schon vor den Demonstrationen am Samstag. Lesenwert zum Beispiel in der Zeit, gerade auch unter dem ethischen Gesichtspunkt dass Journalismus dem Mädchen nicht schaden soll/darf.

       

      Schade ist allerdings, das die Polizei erst nacheinander Informationen freigegeben hat. So hieß es zuerst nur: Es hätte keine Vergewaltigung gegeben, Später aber ergänzend, dass es durchaus zum sexuellen Kontakt gekommen ist und deshalb wegen sexuellem Missbrauch Minderjähriger (13 Jahre) ermittelt wird.http://www.berliner-zeitung.de/polizei/staatsanwaltschaft-berlin-ueber-13-jaehrige-aus-marzahn--wir-gehen-von-einvernehmlichem-sexuellem-kontakt-aus-,10809296,33610460.html

       

      Das hat es dann aber nicht mehr in alle Medien geschafft.

    • @Ansgar Reb:

      Also, was ich gehört hab in der Presse, war ungefähr so, dass die Entführung dementiert wurde mit der Erwähnung, es läge auch keine Vergewaltigung vor. Ansonsten sollte, wie verlautete, mit Rücksicht auf die Familie die Angelegenheit mit Diskretion behandelt werden. (das war, soweit ich mich erinnere, ein Statement der Polizei in den ARD-Nachrichten). Und das ist meines Erachtens in diesem Fall auch angebracht, wie ja auch Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen mit Rücksicht auf die Opfer nicht unbedingt öffentlich verhandelt werden.

      Was können die Beteiligten auch dafür, dass dieser Fall aufgrund der momentanen Hysterie so hochgespielt wird?

  • "Mehrere tausend Menschen haben am Sonntag bundesweit demonstriert, weil sie der tendenziösen Berichterstattung russischer Staatsmedien mehr Glauben schenken als deutschen Behörden."

     

    Tja, dann sollten sich die deutschen Behörden ja vielleicht ein anderes Volk suchen - und die deutschen Medien eine andere Kundschaft, wenn sie mit dem bzw. der, das bzw. die sie haben, nicht zurecht kommen. Volk und Kundschaft in die richtige Richtung zu lenken, ist ja offenbar zu viel verlangt von den diversen Leithammeln unserer Leitkultur.

     

    Und jetzt noch mal im Ernst: Die schlechte Angewohnheit, "sich als [...] Minderheit über andere [...] zu erheben" und anschließend "als Teil der Mehrheitsgesellschaft zu präsentieren", ist keine wirklich neue. Sie gehört schon immer dazu zur abendländisch-deutschen Leid- … - äh: Leitkultur. Schon Gott soll seinen Sohn geopfert haben für seinen Masterplan. Das Ressentiment als solches muss also von nirgendwo her nach Deutschland "importiert werden". Es wächst hier wild. Unter Staatsdienern und Medienmachern genau so wie unter Montagsachsen. Bisher hat keiner ein Problem gehabt damit. Erst jetzt, wo plötzlich jeder sich die Frechheit leistet, ist es angeblich gefährlich.

     

    Aber Demokratie heißt nun mal Volksherrschaft. Probleme hat es also immer schon gemacht, wenn in der Demokratie die "Leitkultur" von Überheblichkeit geprägt war. Putin hat nur eine Chance genutzt, die wir ihm gegeben haben. Und so viel Wettbewerb, nicht wahr, wird dann ja mal noch sein dürfen im Höher-Schneller-Weiter-Westen.

     

    Nein, Vorurteile sind in Deutschland keine Randerscheinung. Sie gehören auch nicht nur in bestimmten Feuilletons zum guten Ton. Sie ist sehr tief verwurzelt hier. Nun bilden sich neue, gefährliche Allianzen. Und sollten lupenreine Demokraten von Putin demnächst siegen lernen wollen, dann würden sie nur bei sich selbst abschreiben.

  • mag sein, dass diese proteste der deutschrussen an gefuehle anknuepfen, die sich in der breiten gesellschaft in diffuser angst bahn brechen. auch wenn diese angst eben nur als eigenes konstrukt in den koepfen der aengstlichen entsteht.

    aber wie ´spontan´ die demo der 700 ´besorgten´ vor dem kanzleramt wirklich war, konnte man an den 40 pappschildern sehen, die schoen gleichmaessig verteilt alle im gleichen format in weiss oder gelb hochgehalten wurden, zudem alle noch mit der genau gleichen handschrift.

    dass es eine riesige russische staatspropagandamaschine gibt, dass wurde schon in vielen faellen nachgewiesen, und dass die bei diesem thema natuerlich nicht einfach nur daeumchen dreht, ist auch klar. also bitte keine abwiegelungen mit ´uebersetzungsfehler´ und aehnlichem.

  • Das ganze Thema , bzw. dessen mediale Aufarbeitung, lässt mich immer an A. Einstein denken...:"Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher." Wenn hier irgendetwas den Begriff "Lügenpresse" mit Leben erfüllt, dann ist es die staatliche russische Presse, sowie deren Ableger hier in Dschland. Sowas abgrundtief verlogenes (RU-Staatspresse) wird dann dazu benutzt die Stimmung hier zum Siedepunkt zu bringen. Natürlich profitiert die AFD/NPD usw. davon, und ich vermisse die entschiedene Widerrede der deutschen Leitmedien. Vor allem aber, niemand weiß doch bis jetzt genaues, außer das es weder eine Entführung, noch eine Vergewaltigung gab. Wie groß muss die Dummheit nun sein, das selbst so offensichtliche Propaganda der RU-Medien für soviel Aufsehen sorgen?`Wie verzweifelt sind eigentlich die deutschen ÖR-Medien, das sie das schon in den Hauptnachrichten wie HEUTE oder TAGESSCHAU bringen? So treibt uns die RU-Lügenpresse vor sich her...

  • Auch Deutschrussen sollten begriffen haben, dass in Deutschland deutsches Recht gilt und nicht russisches.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Unterstellen Sie, daß Deutschrussen langsamer oder weniger begreifen als andere ?

      Dann wären Sie ein Rassist.

      • @jhwh:

        Nein, das unterstelle ich nicht. Sie etwa?

  • Geil, dass es auch mal in die andere Richtung geht. Nicht, dass die Kölner Polizei (und viele andere in anderen Städten) das ja tatsächlich nicht verschleppt aus Political Correctness. Jetzt ist aber die Baxsche Welt wieder heil und alles schön nivelliert. Putin ist »auch« ein Arsch. Jetzt muss noch etwas mehr kommen von der anderen Seite der Propaganda, damit wieder alles im Lot ist. Nur, dass im Westen, als auch im Osten gelogen und Interessen verfolgt werden, diese übergreifende Sicht gibt es nicht. Nicht bei Bax und nicht in „bestimmten Feuilletons (der FAZ)“.

  • Lasst doch Vernunft einkehren und denkt mal nach: Nach Pressemeldungen liegt ein einvernehmlicher Kontakt mit einer 13jährigen vor. Der wird bei uns als Mißbrauch definiert. Aber in anderen Staaten zählt das als Vergewaltigung . Wenn nun der Sachverhalt zweimal übersetzt wird und eben keine adequaten und rechtlich passenden Definitonen vorhanden sind, dass kommt es eben zu solch unterschiedlichen Auslegungen.

    • @robby:

      Nur dass unter normalen Umständen ein solcher Fall eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird. Was wäre wohl, wenn die Täter Russen bzw. Russlanddeutsche, das Mädchen türkisch wäre?

  • LÜGENPRESSE!

    • @Spitzbube:

      Gesundheit.

    • @Spitzbube:

      Welche jetzt?