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Flügelschlagen im Abgeordnetenhaus

Was machen Landespolitiker, wenn sie sich beim Thema Vogelgrippe-Prävention im Kern einig sind? Sie beschuldigen einander und die Medien, Angst zu schüren. Sie schnattern aufgeregt: „Keine Panik!“ Und sie orakeln über das größtmögliche Unglück

VON MATTHIAS LOHRE

Es geht die Legende, dass ein Flügelschlag eines Vogels andernorts einen Orkan auslösen kann. Das klingt wahlweise poetisch oder bedrohlich. Die RednerInnen in der gestrigen aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses zur Vogelgrippe entschieden sich für die bedrohliche Variante.

Am treffendsten fasste der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Rainer-Michael Lehmann, die flatterhafte Debatte zusammen: „Die beste Möglichkeit, für Panik zu sorgen, ist, die ganze Zeit ‚Keine Panik!‘ zu rufen.“ Das taten seine Abgeordneten-KollegInnen dann auch. Und das ging so.

Zunächst betonten alle Debattierenden die allseits bekannten Fakten: Das Vogelgrippevirus ist nicht für Menschen gefährlich. Erst eine Mutation aus Vogel- und Menschen-Grippevirus kann eine Epidemie oder gar Pandemie auslösen. Die nur rund 7.000 in Berlin lebenden Hühner, Puten, Enten, Wachteln, Gänse und Fasane sind eingesperrt. Die Einfuhrkontrollen an den drei Berliner Flughäfen werden verstärkt. Nachbarländer Deutschlands sind bis heute nicht betroffen. Wer diese Litanei abgesungen hat, darf nach Herzenslust „Keine Panik!“ rufen – und dem jeweils anderen Angstmache unterstellen.

Die Flügelschlagzahl der ganzen Debatte gab die Gesundheitsexpertin der Linkspartei, Ingeborg Simon, vor: „Panik und Hysterie herrschen allerorten.“ Solches Geschnatter konnte ihr CDU-Kollege Ulrich Brinsa locker übertönen. Er machte „die Medien“ als Grippeherd der „Panikmache“ ausfindig. Und malte wenige Atemzüge später das größte anzunehmende Unglück einer Pandemie an die Wände des Plenarsaals. Auch solle niemand vergessen, sagte Brinsa, dass bereits durch die üblichen Grippewellen jährlich eine „normale Kleinstadt“ „dahingerafft“ werde. Zeitlos schön war Brinsas abschließende Frage: „Wer hat eigentlich die Federführung für eine solche Katastrophe?“

Ruhe in die aufgeregte Schar wollte der SPD-Gesundheitsexperte Andreas Pape bringen. Die Sicherheitsmaßnahmen und der Alarmplan des Senats berücksichtigten alle heute denkbaren Risiken. Dass Teile der Presse behaupteten, bald müssten alle BerlinerInnen einen Gesichtsschutz tragen, sei nicht die Schuld der Landesregierung. Und überhaupt: „Wer macht hier eigentlich Panik?“, fragte Pape. „Sie!“, rief ihm ein CDU-Abgeordneter entgegen.

Trotz aller Verlautbarungen des Senats, sagte FDP-Mann Rainer-Michael Lehmann, blieben die Durchschnitts-BerlinerInnen „irritiert zurück“. Ihnen habe der Senat eine wichtige Information vorenthalten. Er oder sie „weiß nicht, was zu tun ist, wenn sich die Taube in den Hausflur verirrt hat“. Geschweige denn, wenn sich ein mutiertes Vogelgrippe-Virus während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ausbreitete!

Gesundheits- und Sozial-Senatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) fiel daraufhin nur ein, die „undifferenzierte Senats-Kritik“ seitens der FDP zu schelten sowie die „Stellungnahmen tatsächlicher und selbst ernannter Experten“. Und natürlich die „Panikmache“ der Medien.

Als die Gesundheitsexpertin der Grünen, Elfi Jantzen, ans Rednerpult trat, schwante ihr, dass das Parlament wohl besser über die Jugendpolitik des Senats debattiert hätte: „Ich habe das Gefühl, dass es keine gute Idee war, zu diesem Thema eine aktuelle Stunde zu machen.“

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