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Zoff um Krebsgefahr FleischverzehrRWI warnt vor Wursthysterie

Das wirtschaftsnahe Institut erklärt Daten der Weltgesundheitsorganisation zur „Unstatistik des Monats Oktober“. Das Risiko sei geringer als gedacht.

Wie ungesund ist Wurst wirklich? Expert_innen streiten. Foto: dpa

Berlin taz | Wirtschaftsnahe Wissenschaftler kritisieren die „Wursthysterie“ nach der Warnung der Weltgesundheitsorganisation WHO vor Krebs durch verarbeitetes Fleisch. Das Risiko sei geringer als viele glaubten, teilte das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) mit. Die 18 Prozent, um die das Darmkrebsrisiko laut WHO pro 50 Gramm täglichen Verzehrs etwa von Wurst steige, sei die „Unstatistik des Monats Oktober“.

Keinesfalls bedeuteten die 18 Prozent, dass von je 100 Menschen, die 50 Gramm Wurst täglich essen, 18 mehr an Darmkrebs erkrankten. In Wirklichkeit erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit lediglich etwa einen Prozentpunkt – von rund 5 auf 6 Prozent. Es erkranke also „nur“ ein Mensch mehr von hundert. „Das hört sich schon etwas weniger dramatisch an“, urteilen die Forscher.

Noch geringer sei der Anstieg der zusätzlichen Todesfälle: Hier steige die Wahrscheinlichkeit von 3 auf ungefähr 3,5 Prozent. Trotzdem hätten nur wenige Medien auf den Unterschied zwischen dem „relativen“ und dem „absoluten“ Risiko hingewiesen. „Relative Risiken sind ein bewährtes Mittel, die Gefahr zu übertreiben und Menschen Angst zu machen“, schreibt das RWI.

Allerdings wurde in vielen Artikeln die WHO-Krebsforschungsagentur mit den einordnenden Worten zitiert: „Für die einzelne Person bleibt das Risiko gering, wegen des Konsums von verarbeitetem Fleisch Darmkrebs zu entwickeln.“ In der taz standen auch Vergleichszahlen: Durch 50 Gramm verarbeitetes Fleisch steigt das Risiko um 18 Prozent, Zigarettenrauchen aber erhöhe die Wahrscheinlichkeit von Lungenkrebs um mehr als 1.000 Prozent.

Die Zahlen seien nicht falsch, sondern falsch eingeordnet

Außerdem lassen sich die Zahlen zum Krebsrisiko, die die RWI-Forscher anführen, auch ganz anders darstellen: Rechnet man die Krebsraten auf die in der Epidemiologie übliche Größe von 100.000 Personen hoch, entwickeln wegen der täglichen Wurstportion 1.000 Menschen Tumoren. 540 Betroffene sterben.

Das RWI hat Studien für die neoliberale Lobbyorganisation INSM erstellt

Sind den WHO-Kritikern diese zusätzlichen 1.000 Erkrankten und 540 Toten egal? Verharmlosen sie die Gefahr? „Nein“, antwortet RWI-Ökonom Thomas Bauer, „es geht uns um eine aufgeklärte Information der Bevölkerung. Und die funktioniert nicht, indem man hier unhaltbar hohe Zahlen in die Welt setzt.“ Doch in seiner Pressemitteilung zur „Unstatistik des Monats“ ist der Vorwurf nicht enthalten, dass WHO oder Medien zu hohe – also falsche – Zahlen veröffentlicht hätten. Sondern nur, dass die Daten unzureichend eingeordnet worden seien.

Auf jeden Fall passt die negative Bewertung der WHO-Warnung zur politischen Ausrichtung des RWI: Es hat mehrmals Studien für die neoliberale Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erstellt. Im Verwaltungsrat des Instituts sitzen überwiegend Vertreter von Unternehmen und Verbänden. Bauer hat gemeinsam mit zwei Co-Autoren, dem Psychologen Gerd Gigerenzer und dem Statistiker Walter Krämer, ein Buch mit dem Titel „Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet“ veröffentlicht.

Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der WHO hatte am 26. Oktober erklärt, verarbeitetes Fleisch wie Würstchen, Schinken oder Speck sei „krebserregend“. Unverarbeitetes rotes Fleisch – etwa vom Rind, Schwein oder Schaf – beurteilt die Agentur lediglich als „wahrscheinlich krebserregend“, weil die Datenlage nicht ganz so deutlich ist. Die IARC ist eine der ersten Adressen weltweit, wenn es darum geht, Substanzen auf ihr Krebspotenzial zu untersuchen. Ihre Fachleute gelten als besonders unabhängig.

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10 Kommentare

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  • Solche Studien sind zumeist Beobachtungsstudien, die erst mal nur irgendeinen statistischen Zusammenhang herstellen, aber keine Kausalität begründen.

    Hier mal einige Beispiele für irrwitzige Statistiken. http://www.tylervigen.com/spurious-correlations

  • Was mir bei der Debatte so ein wenig zu kurz kommt ist der Respekt vor dem Individuum:

    Irgendeinen Tod muss Jeder sterben.Das lässt sich nicht verhindern, indem man jedem noch so kleinen Riskio hinterherhechelt und sein Leben danach ausrichtet, diesen speziellen Tod zu verhindern. Es ist also eine zutiefst persönliche Frage wieviel Leben ein Mensch investieren will, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.

     

    Letztlich nimmt die ganze Debatte nur sehr widerwillig Rücksicht auf die besondere Subjektivität dieses Problems. Jede Seite impliziert, die einzig richtige Gewichtung des Risikos (von "Was für ein Risiko??!" bis "Risiko?? Fleisch MUSS teurer/abgeschafft werden!!!") für sich gepachtet zu haben und trompetet diese hinaus, statt sich mal mit Wertungen zurückzuhalten und einfach nur tendenzfrei zu informieren. Das gilt für die Panikmacher wie für die Abwiegler.

  • Guten Tag Herr Maurin,

     

    ist die statistische Berechnung durch das "wirtschaftsnahe Institut" aus mathematischer oder fachlicher Sicht falsch?

    • Jost Maurin , Autor des Artikels, Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
      @Manfred Stein:

      Hallo Herr Stein, natürlich nicht. Deshalb rechnen wir in dem Text ja auch vor, dass um wieviele Erkrankungen und Tote es geht. Dann kann der Leser entscheiden, ob die ihm wichtig sind oder nicht.

      • @Jost Maurin:

        Hallo Herr Maurin,

        unabhängig von Ihrer Kritik an der Unstatistik des Monats, wüsste ich gerne Ihre Meinung bezüglich der Tatsache, dass ein Großteil der Medien im Tonus "Ein auf 800 Studien basierender Bericht...", die WHO Meldung zum Krebsrisiko durch verarbeitetes Fleisch verteilt hat. Doch alleine aus der Pressemitteilung - ein Blick in die Referenzen reicht - lässt sich schon erkennen, dass die "18% pro 50g" auf einer weiteren Subanalyse von lediglich 10 Studien basiert. Das mag wissenschaftlich zwar schon valide sein, hat aber eine weitaus andere Wirkung als 800 Studien. Hierzu noch die Anmerkung, dass in dieser Subanalyse von 10 studien ausschließlich relative Risiken angegeben werden. Keine Spur von absoluten Zahlen. Auf meine Nachfrage bei den Forschern kam die Rückmeldung "Die Originalstudien beinhalten keine absoluten Zahlen." Ein kurzer Scan von 3 dieser 10 Studien hat mir schon gezeigt, dass 2 dieser 3 Studien absolute Zahlen aufweisen. Die Frage "Wo ist die Transparenz?" liegt daher auf der Hand.

        • Jost Maurin , Autor des Artikels, Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
          @Bronko Pö:

          Ich kann nur davon abraten, Studien zu zählen. Eine gute Studie kann 100 schlechte Studien entkräften.

          Und was die detaillierte Analyse der IARC-Einschätzung angeht, würde ich warten bis die Monographie mit vollständigen Quellenangaben vorliegt.

  • Ein Wissenschafteler ProWurst ist also schonmal grundsätzlich verdächtig?? Die WHO und DGE haben schon öfter richtigen Mist verzapft und sich nie die Mühe eine Richtigstellung gemacht.

  • Vielen Dank, liebe taz, dass Sie helfen, die Bewertung dieses Instituts, von dem sicherlich die wenigsten zuvor schon einmal gehört haben, richtig einzuordnen. Solche Hintergrundinformationen sollten eigentlich selbstverständlich sein, damit es dem Leser möglich wird, sich ein objektive(re)s Bild zu machen. Denn für die meisten Bürger vermitteln Begriffe wie "Institut" oder "Amt" immer noch den Anschein von Seriosität, auch wenn dies häufig nur trügerischer Schein ist. Nur bei genauerem Hinsehen werden Verflechtungen mit der Wirtschaft sichtbar. Hinsichtlich des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ist spätestens seit der Glyphosat-Problematik dessen große Nähe zur Industrie bekannt (siehe z. B. hier: http://www.bund.net/themen_und_projekte/gentechnik/risiken/gesundheit/glyphosat/glyphosat_studie/#c101708). Unabhängige Empfehlungen sind aber z. B. auch von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) meines Erachtens nicht zu erwarten, wie ein Blick auf deren Beiräte zeigt: Zu den Mitgliedern der einzelnen DGE-Sektionen gehören beispielsweise Interessenverbände der Fleisch- und Milchindustrie, die CDU-Fraktion oder auch die Bundesanstalt für Milchforschung (heute Teil des Max-Rubner-Insituts), zu deren Aufgabe unter anderem die Vermarktung von Milch gehört. Aufgabe der Sektionen ist es u. a., die Ernährungsaufklärung auf Länderebene voranzutreiben. Ernannt werden die Mitglieder der Sektionen gemäß DGE-Satzung vom Präsidenten der DGE.

    • @Christina de Havilland :

      Ja, das gute alte Herumhacken auf der Quelle einer unliebsamen Information.

       

      Von der Wertung "Unstatistik des Monats" mal abgesehen fällt mir nichts an der Verlautbarung auf, das den Statisiken der WHO widerspräche. Nur hat eben die eine Institution einseitig auf die Risiken hingewiesen und die andere mit einem Hinweis auf deren Geringfügigkeit in absoluten Zahlen gekontert. Man nennt das Diskurs. Am Ende kann sich ein (halbwegs) objektives Bild machen, wer in der Lage ist, BEIDE Seiten der Medaille zu sehen. Dabei hilft es freilig wenig, eine Quelle immer sofort inhaltlich abzuwerten, wenn man ihre vermutete Interessenlage nicht mag.

       

      Welche Interessen eine Quelle mit ihrer jeweiligen Tendenz verfolgt, ist letztlich sekundär, zumal es so etwas wie eine neutrale Quelle in wirtschaftlich relevanten Bereichen ohnehin nicht gibt. Selbst eine völlig neutral finanzierte und "bebeiratete" Institution muss zumindest ihre Existenz und ihr Budget irgendwie rechtfertigen. Wichtig ist der Unterschied zwischen Fakten und Wertung. Wer den einordnen kann, braucht sich nicht auf die Hexenjagd nach dem "cui bono?" zu begeben.

  • Es ist doch seltsam. Wo es "nur" um Wurst geht, ist der Relativierung keine Grenze gesetzt, und jede Lobby gibt ihren eigenen Senf dazu.

     

    Was wäre, wenn es nicht um Wurst sondern um Terroranschläge ginge? Wir hatten das schon mal, und die Anzahl der Opfer war minimal im Verhältnis zur Bevölkerungszahl der BRD. Dennoch wurde jedwedes Mittel eingesetzt, um dem Spuk ein Ende zu machen.

     

    Bei dem Prudukt "Wurst" wäre die Sache deutlich einfacher. Da braucht man keine Sonderermittler, Verfassungsschützer und Großfahndungen. Ein einfaches Gesetz, das chemische Zusätze verbietet, würde ausreichen.