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Manipulation der ErinnerungenDas Leben ist nur ein Traum

Noch ist es Science-Fiction, die Erinnerungen zu verändern. Bei Tieren jedoch gelingt es Forschern bereits, das Gedächtnis zu manipulieren.

Mäuse verfügen über besondere Ortszellen, die ihnen bei der räumlichen Orientierung helfen. Foto: imago/Westend61

„Tut mir leid, Quaid, dein ganzes Leben ist nur ein Traum.“ Eigentlich wollte sich Douglas Quaid (Arnold Schwarzenegger) von Rekall Inc. nur einige schöne Urlaubserinnerungen vom Mars einpflanzen lassen. Die Prozedur schlug jedoch fehl, und es stellte sich schließlich heraus, dass Quaids gesamte Existenz als Bauarbeiter bereits eine vorher schon implantierte Erinnerung war – Douglas war in Wirklichkeit ein Geheimagent namens Hauser, der dem tyrannischen Mars-Gouverneur Vilos Cohaagen das Handwerk legen sollte.

Die Idee für Paul Verhoevens Science-Fiction-Klassiker „Total Recall – Die totale Erinnerung“ aus dem Jahr 1990 basiert auf einer Kurzgeschichte des amerikanischen Science-Fiction-Autors Philip K. Dick und zeigt anschaulich, wie sehr das Thema Manipulation von Erinnerungen die menschliche Fantasie beflügelt. Und das ist kein Wunder: Die Anwendungsmöglichkeiten eines solchen Eingriffs sind schier grenzenlos.

Quälende Erinnerungen an eine von Missbrauch zerstörte Kindheit oder Kriegserlebnisse könnten durch glückliche Gedanken an ein liebesvolles und sorgendes Elternhaus ersetzt werden – wie viele Verbrecherkarrieren oder Alkoholikerleben ließen sich auf diese Weise bereits im Keim ersticken?

Auch wenn solche Ideen nach Zukunftsmusik klingen, so machte die Forschung doch inzwischen einen gewaltigen Schritt nach vorn. Bislang war es nicht möglich, Erinnerungen zu implantieren, die auch im Wachzustand bewusst wahrgenommen werden konnten – bis jetzt. Französischen Wissenschaftlern gelang es nämlich erstmals, „falsche“ Erinnerungen in die Gehirne von 40 schlafenden Mäusen zu verpflanzen.

Mithilfe von Elektroden stimulierten der französische Neurowissenschaftler Karim Benchenane und seine Kollegen vom Centre nationale de la recherche scientifique in Paris die Belohnungsregion der Nagergehirne. Nach dem Aufwachen verknüpften die Tiere das Aufsuchen eines bestimmten Orts mit einer Belohnung, ohne dass diese Gedanken auf einem tatsächlichen Erlebnis beruhten.

Räumliche Orientierung

Die pelzigen Nager eignen sich für derartige Experimente besonders gut, weil sie über sogenannte Ortszellen verfügen, die ihnen bei der räumlichen Orientierung helfen. Diese Ortszellen waren bereits 1971 von dem amerikanisch-britischen Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger von 2014 John O’Keefe entdeckt worden.

Beim Aufsuchen entsprechender Plätze geben diese Ortszellen einen elektrischen Impuls ab (zum Beispiel, wenn das Tier dort Nahrung gefunden hat) und erzeugen so eine Erinnerung, damit die Maus diese Stelle schnell wiederfindet.

Bei den Versuchstieren im Centre nationale de la recherche scientifique wurden die Gehirnaktivitäten während des Schlafs beobachtet und jedes Mal, wenn die Ortszellen feuerten, stimulierten die Wissenschaftler mittels einer zweiten Elektrode die Belohnungsregion des Mäuseköpfchens.

Falsche Erinnerungen eingepflanzt

Nach dem Aufwachen reagierten die Nager auf diese Behandlung, indem sie vier- bis fünfmal mehr Zeit an einem bestimmten Ort verbrachten als Mäuse, deren Ortszellen nicht entsprechend elektrisch gereizt worden waren. Der Grund: Die „stimulierten“ Mäuse assoziierten mit dem Ort eine Belohnung.

Die Resultate des Experiments, die in der Märzausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature Neuroscience veröffentlicht wurden, verdeutlichen, dass „falsche“ Erinnerungen in die Gehirne von Tieren eingepflanzt werden können. „Die Maus entwickelt ein zielgerichtetes Verhalten, um an diesen Ort zu gelangen“, meinte Benchenane. „Es handelt sich also nicht um automatisches Verhalten. Wir erzeugen eine Assoziation zwischen einem bestimmten Ort und einer Belohnung, auf die die Maus bewusst zugreifen kann.“

Bereits in den der 1970er Jahren wurde in wissenschaftlichen Studien die Unzuverlässigkeit des menschlichen Erinnerungsvermögens hinreichend dokumentiert.

Falsche Zeugenaussagen

Nach der Veröffentlichung dieser Forschungsergebnisse wurden Augenzeugenberichte vor US-Gerichten vermehrt angezweifelt. Mithilfe von DNA-Tests konnte schließlich nachgewiesen werden, dass viele Angeklagte aufgrund von falschen Zeugenaussagen zu Unrecht ins Gefängnis geschickt oder sogar hingerichtet worden waren.

„Für jede einzelne Erinnerung müssen unterschiedliche Zellgruppen aktiviert werden“, erklärte Xu Liu vom japanischen Riken-Mit Center for Neural Circuit Genetics. „Diese diversen Verknüpfungen von Zellen könnten der Grund dafür sein, dass Erinnerungen nicht statisch sind, wie zum Beispiel ein Foto“, meinte Liu.

„Erinnerungen entwickeln sich ständig weiter. Jedes Mal, wenn wir glauben, wir erinnern uns an etwas, kann es sein, dass wir diese Erinnerung verändern. Manchmal sind wir uns dessen bewusst, manchmal nicht.“ Mit anderen Worten: Erinnerungen lassen sich frisieren.

Die französischen Neurowissenschafter vom Centre nationale de la recherche scientifique waren beileibe nicht die Ersten, die sich an der Manipulation von Erinnerungen versucht haben. Tatsächlich gehören solche – mehr oder minder erfolgreichen – Experimente in naturwissenschaftlichen Laboren schon fast zum Tagesgeschäft.

Gehirnzellen ein- und ausschalten

Neurowissenschaftler beschäftigen sich derzeit mit einer Optogenetik genannten Technik durch die mit angstauslösenden Erinnerungen belegte Gehirnzellen ausfindig gemacht werden können, um diese dann „ein- und auszuschalten“.

In ähnlicher Weise wurden auch bereits neuronale Schaltkreise, die mit guten oder schlechten Erinnerungen behaftet sind, verändert, um negative Erlebnisse in positive zu verwandeln oder sogar komplett auszulöschen.

„Eines Tages“, resümierte Neil Burgess, Direktor des Institute of Cognitive Neuroscience am University College London, „könnten Wissenschaftler aufgrund dieser Erkenntnisse in der Lage sein, ängstliche Assoziationen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen wie posttraumatischen Belastungsstörungen zu entfernen oder zumindest zu reduzieren.“

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9 Kommentare

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  • Warum berichtet die taz-Wissenschaftsseite über solche End-of-pipe-"Lösungen" nicht kritischer? Warum wird die "Wir tun nur Gutes"-PR nicht auseinandergenommen? Glaubt ihr, eine Zeitung wird langweilig, wenn die richtigen Fragen nicht mehr gestellt werden? Das Gegenteil ist der Fall!

  • Was tatsächlich passiert ist, hat eine Wirkung, gleichgültig ob es gefällt oder nützt oder nicht..

    Die Wirkung solcher Manipulationen ist in ihren Wirkungen ähnlich unvorhersehbar wie Gentechnologie, Nanopartikel oder Handystrahlen.

    Das wird vielleicht noch anstrengend.

  • Die horrenden Gelder für Forschung wären wirklich besser in der allgemeinen Bildung der Bevölkerung investiert, anstatt den Größenwahn einiger Gott spielender Wissenschaftler damit zu finanzieren. Aber klar, die wollen doch nur Kranken helfen ;)

  • "(zum Beispiel, wenn das Tier dort Nahrung gefunden hat) und erzeugen so eine Erinnerung, damit die Maus diese Stelle schnell wiederfindet..."

     

    Das geht auch anders. Beim Schnatgang der Heger Laischaft (Osnabrück) werden Knaben geohrfeigt, damit sie sich die Stelle merken, an der ein Grenzstein steht.

     

    Führt manchmal zum Trauma.

  • Sorry - erwartbar - nur eine Frage der Zeit - sensationell - ist daran - nichts.

     

    "…Nach der Veröffentlichung dieser Forschungsergebnisse wurden Augenzeugenberichte vor US-Gerichten vermehrt angezweifelt. Mithilfe von DNA-Tests konnte schließlich nachgewiesen werden, dass viele Angeklagte aufgrund von falschen Zeugenaussagen zu Unrecht ins Gefängnis geschickt oder sogar hingerichtet worden waren.…"

     

    Nunja - dessen bedurfte es eigentlich nicht erst.

    Denn der Zeuge ist bekanntlich das schlechteste Beweismittel!

    Weil jegliche Erinnerung -

    Neu/Nach-Konstruktion ist.

    (vgl. Heinz von Foerster - dessen (falsche) theoretische Erfassung dieses Phänomens direktemang ins MIT katapulierte;))

     

    Als Refi - führte das unvergessen der 68erAG-Leiter anhand einer Pistolero-Schießszene in Gießen vor -

    Nicht eine!! der 60 - 70 "Zeugen"aussagen ließ sich mit den Ergebnissen der Schußgutachten in Einklang bringen.

    Noch Fragen?

     

    Wie naheliegend also - daß unsere

    Neuro-Pharma-Kochquacksalber -

    Was geht - wird auch gemacht -

    Diesen chemisch-greifbaren Hirn/Nervenvorgang manipulieren wollen bzw können wollen.

     

    Mit O'l Chargaff - Na Mahlzeit!

     

    (Ps - Schlimmer geht immer -

    Erwies doch eine Verfahrensanalyse von Zivelakten über 10 Jahre - im Geiste des OLG Präsi Richard Schmitt - daß ca 60%plus der Richter nach dem Motto verfahren waren -

    "Wer mehr Zeugen hat - gewinnt!"

    Sich also schlicht (quasi zudem) eine Beweiswürdigung der Aussagen gespart hatten! So geht das.)

    • @Lowandorder:

      Ihre so schonungslosen wie hochpräzisen Gesellschaftsanalysen schätze ich sehr.

  • Schöne neue Welt???? ....... Soldaten können unbegrenzt immer und immer wieder in den Krieg geschickt werden. Konzerne pflanzen uns ihre Werbung ein, Regierungen lassen uns unser Kreuz bei der Wahl immer an die richtige Stelle setzen und wir sparen uns den Mindestlohn, denn dann sind wir trübem Wasser und Papppampe als Lohn zufrieden... ..... Die Borg aus "Raumschiff Enterprise lassen grüßen.

  • Vielleicht "funktionieren" solche Gedächtnismanipulationen bei Mäusen. Dass sich die Ergebnisse der Forscher aber auf den Menschen übertragen lassen, bezweifle ich.

     

    Als Nichtforscher, der keine Drittmittel einwerben muss, kann ich es mir leisten, nach Risiken zu fragen. Und die erkenne ich in einem klitzekleinen Unterschied zwischen Maus und Mensch. Menschen besitzen ein sogenanntes (Selbst-)Bewusstsein, das sich weitgehend aus (nicht statischen) Erinnerungen speist und es dem Menschen erlaubt, in einer ebenfalls nicht statischen Welt ein einigermaßen stabiles Ich zu entwickeln. Was mit diesem Ich passiert, wenn Menschen wissen oder erwarten, dass ihre Erinnerungen manipuliert worden sind bzw. manipuliert werden (könnten), lässt sich im Mäuse-Experiment schon deshalb nicht untersuchen, weil bei Mäusen meines Wissens nach bislang kein (Selbst-)Bewusstsein nachgewiesen werden konnte.

     

    Ich persönlich bin mir ziemlich sicher, dass ich freiwillig auf keine einzige meiner Erinnerungen verzichten würde. Auch auf die negativen nicht. Sie alle haben mich zu dem gemacht, der ich jetzt bin. Wenn einzelne Erinnerungen gelöscht werden aus dem Zusammenhang, hängt mein Ich an Einzelstellen quasi in der Luft. Ich wüsste dann nicht mehr, warum ich bin wie bzw. wer ich bin. Von Alzheimer-Patienten weiß man, dass das Panik auslösen kann. Erinnerungs-Manipulationen also sind eine Erfahrung, auf die ich mindestens so gut und gern verzichten kann, wie auf, sagen wir, die Erinnerung an einen selbst erlebten Krieg, Flugzeugabsturz oder nächtlichen Überfall im Park.

     

    Merke: Ignaz Bubis war bzw. ist nicht der einzige Mensch auf dieser Welt, der überzeugt (gewesen) ist, dass Opfererfahrungen Menschen nicht unbedingt besser machen.

    • @mowgli:

      Was die Einschätzung der Risiken und Gefahren eingeht, stimme ich mit ihnen überein. Dennoch glaube ich, dass sie dem "Bewusstsein" einen viel zu hohen Stellenwert einräumen. Nicht umsonst gibt es vielfache, sich in hohem Maße unterscheidende Definitionen dieses Begriffs. Es handelt sich letztendlich nur um ein Konglomerat aus Empfindungen, Wahrnehmungen, Gefühlen und Reflexen, die kaum rational steuerbar sind. Wenn sie auf keine einzige ihrer Erinnerungen verzichten wollen, weil diese die Gesamtheit ihre Persönlichkeit ausmacht ist das ein gutes Zeichen, vor allem ein Beleg, dass sie keine traumatisierenden Erfahrungen gemacht haben. Denn dann übt eine singuläre Erfahrung bisweilen totale Dominanz aus, die ein "normales Weiterleben" bis zur Unmöglichkeit einschränkt. Eine Bankangestellte, die in forgeschrittenem Alter vor den Trümmern ihrer wirtschaftlichen Existenz steht, da sie nach einem Überfall vor jedem Kunden in Angst erstarrt, wird nicht berufsunfähig, sondern einfach nur arbeitslos. Ein Vergewaltigungsopfer, das sich gezwungen sieht, sich in ihrer Wohnung zu verbarrikadieren, da es überzeugt ist, bei Menschenkontakt erneut Opfer zu werden. Diese Menschen wären froh, wenn ihnen geholfen würde, auf welche Weise auch immer. Ein Armamputierter wird sich auf einen Fremdkörper Protese einlassen, ein Traumatisierter sicherlich auch auf "falsche" Erinnerungen.

      Dennoch darf man die Gefahren einer solchen Technik nicht unterschätzen. Gut wäre es, wenn ein traumatisierter Soldat behandelt werden könnte. Wer aber verhindert, dass zuvor durch diese Technik ein "Universal Soldier" geschaffen wird, der den Kampf sucht und sich nur im Gemetzel glücklich fühlt? Die totale künstlich hervorgerufene Identifikation mit einem Unternehmen als Bedingung für Beförderung und Aufstieg, wie in einem Bienenschwarm? Was möglich ist, wird gemacht. Also vielleicht besser gar nicht!