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Trainer Bernd Schröder über das WM-Aus„Der Scheiß fällt uns jetzt auf die Füße“

Der Trainer von Turbine Potsdam stellt Bundestrainerin Neid ein „Armutszeugnis“ aus. Er fordert eine konstruktive Streitkultur, um den deutschen Frauenfußball nach der Niederlage voranzubringen.

Überhöhte Erwartungen? Fans vor dem Aus der deutschen Mannschaft Bild: dpa

taz: Herr Schröder, wie geht es Ihnen?

Bernd Schröder: Die Sonne bringt mich wieder nach vorne, aber die Enttäuschung über das Ausscheiden der deutschen Mannschaft, die sitzt schon tief. Das kann man nicht so einfach wegdrücken.

Fühlen Sie keine Genugtuung? Sie waren lange der einzige Kritiker der deutschen Elf, eigentlich müssten Sie sich doch bestätigt fühlen.

dapd
Im Interview: 

Bernd Schröder ist seit 1971 Trainer von Turbine Potsdam und seit Juni Bundesverdienstkreuzträger. Der 68-Jährige gewann sechs DDR-Meisterschaften, fünf gesamtdeutsche Titel, Uefa-Cup und Champions League.

Es gibt keine Genugtuung, das bringt uns nicht weiter. Mir gehts nicht darum anzuprangern. Mir geht es darum, konstruktive Diskussionen anzuzetteln. Es geht doch um die Sache, um den Frauenfußball. Und die Sache ist auf der Strecke geblieben.

Warum hat sich sonst niemand getraut zu meckern?

In unserer Gesellschaft gibt es keine Ehrlichkeit, sondern einen großen Anteil von Heuchlern und Scheinheiligen. Die haben vielleicht dasselbe gedacht wie ich, es sich aber nicht getraut zu sagen. Jetzt kommen Leute aus ihren Löchern und kritisieren und wissen alles besser. Das sind dieselben, die groß gejubelt hätten, wenn wir Weltmeister geworden wären. Aber wir müssen uns auseinandersetzen. Ich habe ja auch nicht immer recht, aber wir müssen den Wert konstruktiver Kritik im Interesse der Sache schätzen lernen.

Diese Streitkultur muss der Frauenfußball noch lernen. Die Verantwortlichen schienen überrascht, dass mit dem großen Medieninteresse plötzlich auch Kritik kam, die sie nicht gewohnt waren.

Ja, das stimmt schon. Wenn man mediale Aufmerksamkeit provoziert, dann muss man auch wissen, dass es passieren kann wie im Männerfußball – dass man auch mal einen Knüppel auf den Kopf kriegt. Darauf waren einige nicht vorbereitet. Wenn man sich aus dem Fenster lehnt, muss man auch wissen, was man macht, wenn es nicht so rund läuft. Der Grat zwischen „Hosianna!“ und „Kreuzigt ihn!“, der ist bei uns sehr schmal. Aber diese mediale Situation ist ja eine Blase, die jetzt geplatzt ist. Plakataktionen wie „Dritte Plätze sind was für Männer“ – so ein Scheiß fällt uns jetzt auf die Füße. Diesem Gegenwind müssen wir Traditionsklubs uns stellen im Interesse des Frauenfußballs. Wir müssen aber den Blick nach vorne richten, das ist jetzt wichtig.

Steffi Jones wird beim DFB den neu geschaffen Posten „Direktorin für Frauenfußball“ übernehmen. Was muss sie tun?

Sie muss vor allen Dingen einen Konsens suchen mit allen verantwortlichen Klubs, Bundesligatrainern und darüber hinaus. Wir müssen eine konstruktive Diskussionskultur entwickeln und den konstruktiven Wert des Widerspruchs beachten. Es kann nicht sein, dass alles, was die Bundestrainerin sagt, Gesetz ist. Man muss auch sehen, ob das Umfeld der Bundestrainerin, die Zusammensetzung des ganzen Stabes stimmt.

Welche Fehler werfen Sie der Bundestrainerin vor?

Die Art und Weise, wie wir vom ersten Spiel an aufgetreten sind, hat mich nachdenklich gemacht. Fußball ist keine Naturwissenschaft, da kann immer mal alles passieren. Aber wenn die Nationaltrainerin sagt, wir hätten noch drei Stunden spielen können, ohne ein Tor zu schießen, dann dass ist das für mich ein Armutszeugnis, dass mir als Trainerin nichts mehr einfällt. Das muss nicht an Silvia Neid liegen, das kann auch in der Mannschaft liegen, wenn man keine spielgestaltenden Kräfte hat.

Die deutsche Mannschaft war zu eindimensional?

Ja, in diesem Spiel gegen Japan. Das System, in dem die deutsche Mannschaft gespielt hat, das 4-2-3-1, das war erfolgsorientiert und hat ja auch lange funktioniert. Aber wir hätten aus dieser Starrheit rauskommen müssen. Moderner Fußball heißt, dass man auch verschiedene Systeme spielen kann. Ich spreche nicht gern im Konjunktiv: Aber man hätte mit zwei Stürmern kommen können gegen Japan, man hätte auch mit drei Stürmern kommen können. Ich sage Ihnen, die Schwedinnen werden anders spielen: Die werden ein Angriffspressing aufziehen, dass die Japanerinnen hinten gar nicht groß spielen können.

Die Deutschen sind also verdientermaßen draußen?

Wir wussten, dass wir keine Mannschaft hat, die filigranen Fußball spielt. Aber wir haben immer gesagt: Unsere Mannschaft hat eine gute Zusammensetzung, wir sind in der Lage, Weltmeister zu werden. Dazu stehe ich auch heute noch. Und wenn man die Zeit zurückdrehen könnte, dann würden wir das Spiel sicher anders spielen. Aber das ist ja nun vorbei.

Mit der Niederlage gegen Japan wurde auch die Olympia-Qualifikation für 2012 verpasst. Ist das ein Problem?

Das ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Das ist tragisch. Das wirft uns zurück. Wir haben alle dafür gekämpft, dass Frauenfußball olympisch wird. Olympische Spiele sind für die Nationalspielerinnen großartige Erlebnisse, wenn sie mit Topsportlern anderer Disziplinen zusammenkommen. Einige haben noch nicht erkannt, was das bedeutet, nicht bei den Olympischen Spielen dabei zu sein. Gerade hier bei uns am Olympiastützpunkt sind schon vor zwei Jahren die olympischen Kader berufen worden für all die Sportarten, die hier betrieben werden. Wir haben Weltklassekanuten, -schwimmer und -leichtathleten hier, die trainieren jetzt schon für London – und unsere Fußballspielerinnen sehen das jeden Tag, sind aber selbst nicht dabei. Wenn dann von der Nationaltrainerin gesagt wird, das ist doch nicht so schlimm, wir haben doch in anderthalb Jahren die Europameisterschaft, dann ist das nicht durchdacht. Für die Mädels ist Olympia immer noch das Größte.

Ist denn Ihr Potsdamer Modell, die Zusammenarbeit mit einer Eliteschule des Sports, zukunftsträchtig? Oder sollten die Männer-Bundesligisten vom DFB verpflichtet werden – analog zu den Männernachwuchsakademien -, auch Frauenakademien aufzubauen?

Das wird sich ja zeigen, ob die Leute, die vor der WM gekräht haben, auch nach dieser WM noch Engagement zeigen, ob Männer-Bundesligisten überhaupt noch Interesse an der Entwicklung haben. Das sieht man doch am Hamburger SV: Die hatten plötzlich eine Kürzung im Männerbereich und das geht dann 1:1 in den Frauenbereich. Dann sind Spielerinnen wie Kim Kulig nicht mehr zu halten. Noch ein Beispiel: Ein 1.FC Köln spielt zwar Frauenfußball, aber auch nur halbherzig.

Was tun?

Es muss wahrscheinlich jeder seinen eigenen Weg gehen. Aber Zwangsverpflichtungen funktionieren nicht, wenn die Klubs nicht bereit sind, das mit Herz und Leidenschaft zu machen. Im Frauenbereich müssen sie ganz andere Strukturen entwickeln. Bei den Jungs wissen sie genau, das werden Profis. Bei den Mädchen wird das noch ewig dauern, wenn es überhaupt je zum Vollprofitum kommt. Also muss man da Lehrstellen besorgen, muss man sich mit Laufbahnberatung beschäftigen wie an den Olympiastützpunkten. Da kann man nicht einfach was aufpropfen, man braucht eine viel größere Sensibilität. Ich bin lange genug im Geschäft, ich kann ihnen verraten: Das ist ein ungeheurer Aufwand, den wir hier betreiben, um das ganze Umfeld abzudecken. Frauenfußball ist viel komplizierter als Männerfußball, wo die Strukturen ganz andere sind.

Braucht der Frauenfußball nicht bald das Vollprofitum?

Man tut ja immer so, als wäre ich gegen das Profitum. Das ist doch Quatsch. Was wir brauchen, sind Mischmodelle. Wir haben mit Spielerinnen wie Yuki Nagasato, die aus dem Ausland kommen, ja auch Vollprofis. Aber Profi heißt nicht unbedingt, den ganzen Tag Fußball zu spielen. Da muss ich mich bei Kollegen wie Siegfried Dietrich vom 1. FFC Frankfurt schon fragen, in welcher Welt der lebt. Wir haben die amerikanische Profiliga als abschreckendes Beispiel doch immer vor Augen: Das funktioniert immer nur ein paar Jahre, aber es fehlt der Unterbau. Fragen sie doch mal in Frankfurt, was die für den Nachwuchs tun.

Das ist in Potsdam anders?

Aber ja. Professionell bedeutet gerade, dass wir Modelle brauchen, die beide Seiten absichern, den Sport und die Ausbildung. Auch wir trainieren dreimal am Tag professionell, aber zwischen den Trainingseinheiten gehen die Spielerinnen in die Schule oder zu ihrer Lehre, oder sie arbeiten ein paar Stunden in ihrem Beruf. Das bedeutet ja nicht, dass der Fußball auf der Strecke bleibt, man muss es nur gut organisieren. Denn wenn die über 30 sind, dann beginnt der Katzenjammer: Dann müssen sie raus ins Leben, denn sie werden im Normalfall nicht genug verdient haben, dann müssen sie was gelernt haben. Eine Birgit Prinz, die jetzt in aller Munde ist, die hat das schon vor Jahren erkannt: Die hat eine Lehre gemacht, die hat ihr Studium gemacht, die kann jetzt ins Leben gehen.

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16 Kommentare

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  • H
    Horsti

    Frauenfußball-WM? Ich dachte das wäre eine Art Spartakiade, so wie früher im Osten. So kam mir jedenfalls diese Frauen-sind-besser-Veranstaltung vor.

  • G
    gerdos

    Bei den Nationalspielerinnen handelt es sich bei einem nicht unbeträchtlichen Tel um Semi-Profis bzw. nach altem DDR-Vorbild um Staatsprofis, denn sie sind durch den Staat begünstigt.

    Simone Laudehr, Ursula Holl, Babette Peter, Bianca Schmidt und sogar Lira Bajramaj gehören der Sportfördergruppe Warendorf (NRW) an. Derzeit sind die Mädels alle Hauptgefreite oder Stabsgefreite.

     

    Im BMVg werden für den Frauenfußball zzt. 10 Plätze in Sportfördergruppen freigehalten. Acht sind vergeben.

  • WD
    Walther Döring

    Diese alte Sack ist ein postmortaler Klugscheißer. Neid hat einen haufen Titel mit der Nationalmannschaft gewonnen, und zwar mit der identischen Vorbereitung. Das soll der erst mal nachmachen. Wer aber seine Glatze mit Haaren von der Seite her überkemmt, dem ist nicht zu helfen.

     

    Tipp: Runter mit der Wolle und das Denken einschalten.

  • F
    Fhainer

    @Peter Voelcker: nur mal so nebenbei: Bernd Schroeder ist als Trainer von Turbine Potsdam mehrfach Deutsche Meisterin geworden. Ebenso Pokalsieger. Vergangenes Jahr Champions League Sieger. Dieses Jahr wieder Finale.

    Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Klappe halten, auch mit 71.

    Der Mann weiß, wovon er redet. Im Gegensatz zum Wessi Beckenbauer 1990, der auch nur die Früchte anderer erntete. Und vor allem wird er sich nicht von

    Möchtegernen den Mund verbieten lassen. Das kennt er noch von früher.

  • M
    MatzeM

    Herr Völcker, Sie sollten sich mal informieren, wer dieser Bernd Schröder überhaupt ist und welchen Verein er trainiert. Kleiner Hinweis: die letzten drei Jahre deutscher Meister...

  • PV
    Peter Völcker

    Die Kritik an der Bundestrainerin finde ich eine Katastrophe. Was bildet dieser Herr Schröder sich eigentlich ein. Die vielen Erfolge der Frauennationalelf sind doch enmorm. Herr Schröder sollte sich schämen. Wenn er wirklich noch so toll ist würde ich doch erwarten, dass eine Mannschaft in der höchsten Klasse Trainiert. Ich bin 71 Jahre und denke das Herr Schröder mit seinen 68 Jahren abtreten sollt, bevor er sich der lächerlichkeit Preisgiebt.

  • M
    Mixel

    Kooft Euch mal 'ne Tüte Deutsch - ist ja eine grauenhafte Rechtschreibung hier...

  • L
    Lukas

    @ EuroTanic:

    Weil es etwa allgemein bekannt ist, dass Fußballzuschauer ihren Tag nur auf dem Sofa verbringen und Sport maximal im Bett betreiben? Ich bitte Sie, Verallgemeinerungen sind keine Argumente, nur Armutszeugnisse.

  • C
    Cyclist

    Auch, wenn sich die ehem. DDR ihre Wertschätzung über den Sport holen wollte, so waren die Sportschulen eine gute Idee. Das Land Brandenburg hat diese Idee wieder aufleben lassen und fährt gut damit(z.B, die Sportschule in Lindow wurde wieder aktiviert).

    http://www.sb-lindow.com/

     

    "In unserer Gesellschaft gibt es keine Ehrlichkeit, sondern einen großen Anteil von Heuchlern und Scheinheiligen. Die haben vielleicht dasselbe gedacht wie ich, es sich aber nicht getraut zu sagen. Jetzt kommen Leute aus ihren Löchern und kritisieren und wissen alles besser. Das sind dieselben, die groß gejubelt hätten, wenn wir Weltmeister geworden wären. Aber wir müssen uns auseinandersetzen. Ich habe ja auch nicht immer recht, aber wir müssen den Wert konstruktiver Kritik im Interesse der Sache schätzen lernen"

     

    WIE WAHR! ! !

     

    P.S.: An die Redaktion -

    so viele Schreibfehler in diesem Artikel. Wird denn hier gar nicht mehr Korrektur gelesen - (notfalls mit MS-WORD-2010) - Überprüfung zu teuer?

     

    gehts -> geht's

     

    aufpropfen -> aufpfropfen

    http://www.duden.de/rechtschreibung/aufpfropfen

     

    Wir wussten, dass wir keine Mannschaft hat?(haben), die filigranen Fußball spielt.

  • L
    lontischmand

    Es ist alles nur ein Spiel, "Mensch ärgere Dich nicht". Wenn man immer nur gewinnen muß, um etwas Glück und Sinn im Leben zu spüren, dann hat man sich für den falschen Beruf entschieden.

  • G
    Gockel

    Laßt Frau Neid in Ruhe. Im Gegensatz zum Bundesjogi hat sie sogar schon Titel gewonnen. Der Bundesjogi hat da nichts vorzuweisen, keiner aber fordert deswegen seinen Rücktritt.

  • E
    EuroTanic

    Fussball ist sinnlos, M#änner wie Frauenfussball. Jeder kennt die Gründe. Es wäre besser, wenn die Menschen die Fussball schauen selber Sport treiben würden.

  • HM
    Hans Michel

    Ich weiß nicht, wer wirklich die letzten Vorbereitungsspiele der Frauenmannschaft komplett gesehen hat. Ich habe das Spiel gegen Nigeria in Leverkusen live gesehen und weitere vier Spiele im Fernsehen verfolgt: So viel anderes als in den Vorbereitungsspielen haben die Frauen nicht gespielt. Nur die Gegner, darunter auch Nigeria, waren jetzt besser und haben ernst gemacht.

    Und ich habe auch das Spiel von Turbine gegen Lyon gesehen in Köln: Und ich komme zum gleichen Ergebnis: Der deutsche Frauenfussball stagniert. Die Anderen sind besser geworden, z.T. viel besser. Sollte die Frauen-Bundesliga nicht schnell deutlich taktisch wie technisch (Flachpassspiel!!!!) stärker werden, dann werden die Mädels auch bei der nächsten Europameisterschaft abserviert werden.

  • P
    Petra

    Der DDR Fußball war ja auch soooo erfolgreich ... LoL!!!! Neidfaktor uff Ossisch.

  • L
    Le-Guan

    Ein sehr schöner Artikel. Ich habe den Eindruck, dass Bernd Schröder weiß, wovon er spricht. Er kennt die Zusammenhänge, die Sorgen.

    Wie viel wird Frauenfußball nach dieser WM in Deutschland noch an Aufmerksamkeit genießen? Wohl NuLL. Bestenfalls NuLL,1 wie bisher.

     

    (Viva, USV Jena! Viva Frauenfußi)

  • US
    uli spreitzer

    in der wiener zeitung war am 1.7.2010, also weit vor dem ausscheiden, dies zu lesen:

    http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/sport/fussball/248170_Das-ist-hier-noch-ein-bisschen-DDR.html

    mich erinnert das geschehen um frau neid an die situation um jürgen klinsmann als bundestrainer. auch dort zuwenig fachkompetenz und viel zu viel nationale geschlossenheit und medienunterstützung.