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Wahlen in IsraelHoffnungsvoll und nebulös

Premier Netanjahus Bündnis aus Likud und Israel Beitenu bleibt stärkste Fraktion. Es ist aber auf neue Koalitionspartner angewiesen.

Freut sich auch über den knappen Sieg: Israels Premier Netanjahu Bild: dapd

JERUSALEM taz | Zwei neue Gesichter ziehen in Israels Parlament ein – und beide haben gute Chancen auf einen Ministerposten. Der weltliche Jair Lapid und der nationalreligiöse Naftali Bennett lockten die Wähler, während Regierungschef Benjamin Netanjahu mit kargen 31 von 120 Mandaten aus den Wahlen am Dienstag hervorging. Damit bleibt sein Bündnis aus Likud („Zusammenschluss“) und Israel Beitenu („Unser Haus Israel“) zwar mit Abstand stärkste Fraktion, aber Netanjahu ist trotzdem auf mindestens zwei Koalitionspartner angewiesen. Lapid und Bennett bieten sich an.

Fast ein Drittel der Wähler setzten ihre Hoffnung auf die beiden jüngeren Männer, die ihre in weiten Teilen nebulösen Programme per Facebook und Talkshows verbreiten. Lapid spricht von „Herausforderungen“, die Israel bevorstehen und die er „zusammen“ mit Netanjahu angehen will.

Bennett strebt nach mehr „Jüdischkeit“ und Groß-Israel. Beide sind nicht kompatibel mit den orthodoxen Parteien, die bislang in Netanjahus Regierung sitzen: der orientalisch-orthodoxen Schas („Sephardische Thora-Wächter“) und dem Vereinten Thora-Judentum, die nach wie vor für ein Zusammengehen mit dem Premier bereitstehen.

Nichtssagende Programme

Für ein „beunruhigendes Phänomen“ hält Dr. Guy Ben-Porat, Politologe an der Ben-Gurion-Universität, dass ein so großer Bevölkerungsanteil für „Parteien mit nichtssagenden Programmen“ stimmte, die „das Versprechen schneller Lösungen hübsch verpacken“. Ben-Porat gibt der Partei Lapid keine großen Überlebenschancen: „Die Leute haben für einen Kunstgriff gestimmt, was zeigt, dass sie nicht bereit sind, sich auf klare politische Alternativen einzulassen“.

Lapid konnte fast alle Wähler für sich gewinnen, die bis zum Ende unentschlossenen waren. Schon im Vorfeld der Wahlen hatte er erklärt, in die Regierung Netanjahus einziehen zu wollen – aber nicht „als Feigenblatt in einer Rechtsregierung“. Möglich ist, dass der Premier den früheren Verkehrsminister Schaul Mofas wieder zu sich ruft, um Lapid den Einzug in die Regierung zu ermöglichen. Mofas, Chef der Mitte-links-Partei Kadima („Vorwärts“), die bei den Wahlen vor vier Jahren stärkste Fraktion war, schaffte es knapp, die Zweiprozenthürde für den Einzug in die Knesset zu nehmen.

Naftali Bennet von der nationalreligiösen Habajit Hajehudi gilt als natürlicher Partner für Netanjahu. Sein Parteiprogramm überschneidet sich in weiten Teilen mit dem des Likud – und noch stärker mit dem der rechtsnationalen Israel Beteinu des bisherigen Außenministers Avigdor Lieberman. Beide sehen keine Lösung für den Nahostkonflikt und lehnen territoriale Kompromisse mit den Palästinensern ab. Bennett ist vor allem in den Siedlungen beliebt, Lieberman lebt selbst in einer.

Dem Friedensprozess verpflichtet

Noch in der Wahlnacht stellte Netanjahu seinen 5-Punkte-Plan vor. Er will einen Atomstaat Iran verhindern, die Wirtschaft vorantreiben und die Lebenshaltungskosten senken. Israel sei dem Friedensprozess verpflichtet, betonte er. Außerdem will er schrittweise eine Wehrpflicht auch für Orthodoxe einführen – was bisher nicht gelang und auch in Zukunft schwierig sein dürfte, selbst wenn sich seine Koalition in dem Punkt einig wäre. Eine Rekrutierung von Talmud-Studenten birgt das Potenzial, die israelische Gesellschaft zu spalten.

Schelly Jachimowitsch, Chefin der Arbeitspartei, lehnt ein Zusammengehen mit Netanjahu kategorisch ab. Möglich wäre, dass dieser versucht, Exaußenministerin Zipi Livni (Hatuna) für sich zu gewinnen, und sei es nur, damit Israel international gesellschaftsfähig bleibt. Livni, deren neue Partei es nur auf enttäuschende sechs Mandate schaffte, ist die einzige potenzielle Koalitionspartnerin, die mit dem Thema Friedensprozess in den Wahlkampf ging. Bei den aktuellen Machtverhältnissen stünde die Ex-Kadima-Chefin so oder so auf verlorenem Posten: Sowohl Netanjahu als auch Bennett und Lieberman wollen den Siedlungsbau forcieren.

Ob es Verhandlungen gibt oder nicht, muss also in Washington entschieden werden. Sollte US-Präsident Barack Obama „Druck auf Israel machen, dann wird eine rechtsnationale Koalition nicht lange durchhalten“, glaubt Politologe Ben-Porat. Wenn nicht, könne Netanjahu weiter „von Frieden reden, ohne etwas für ihn zu unternehmen“. Auf diese Art hat er schon die letzten vier Jahre in seinem Amt gut überstanden.

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8 Kommentare

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  • I
    I.Q

    Zu „Rainer David W. Früh“ oder was hat das mit Netanjahu zu tun.

     

    Die dumme Gleichsetzung: Hymne, Flagge, Israel = einfach die Juden und weiteres, brauch nicht weiter behandelt sein.

     

    Wo Menschen wie der zwischen 33 und 45 gestanden hätten, denen es nicht schwer fällt, mit herbei gezerrten, unterstellend zuweisenden und haltlosen Anschuldigen aufzutreten, falls ihnen nicht eine unerwünschte Zugehörigkeit im Wege gestanden hätte, kann das eine Frage sein?

     

    Man möcht schon fast Frau Knobloch zitieren, um auf die Unmöglichkeit zu sprechen zu kommen, Schuld auf junge Menschen zu übertragen.

     

    Schuld erwirbt man und sie lässt sich nicht übertragen, schon gar nicht vergangene.

    Man darf es begrüßen,wenn Menschen heute nicht schuld werden wollen, sich nicht mitschuldig machen wollen.

    Andere mögen ja finanziert und gedeckt haben wollen, um selbst unbehelligt und schon gar nicht reumütig werden zu müssen - kein Grund es diesen gleichzutun und dabei mitzumachen.

     

    Dem wirkt Solidarität mit jenen entgegen, die zu Fremden im eigenen Land gemacht werden. Und dies ist allemal besser, als plumb rumzugoebbeln.

  • MH
    Marco Hoffmann

    "

    Das Opilein von der Waffen- SS wäre s t ol z a uf se i n en kl e i ne n Scheisser. . . . . . . . .

    "

    (26. 01. 2013 15: 23 UHR von Rainer David W. Früh)

     

    Und was ist ihr politisches Argument?

     

    Mein opa väterlicherseits hat nach dem ersten weltkrieg, in dem er soldat war, eine jüdin aus estland geheiratet. Ob er dann im zweiten weltkrieg in der waffen-ss war, weiß ich nicht, aber der vater meines ex-stiefvaters war als vierteljude in der ss (waffen?), woher haben sie diese information?

     

    Weiter ergänzen Sie meine statements im Stile werner krohns, der mir auch perfide unterstellt, ich würde israelis mit juden gleichsetzen, obwohl das m.W. nur desinformierte und ignoranten tun.

     

    Der israeli-citizen, dem die idf auf der mavi marmara in den kopf geschossen hat und der überlebt hat (den hat man wohl nicht wie andere angeschossen auf einem bein zum hubschrauber hüpfen lassen) und der bei seiner vorlesungsreise in manchester/ london etc. illegal im hotelzimmer verhaftet wurde und der erfolgreich auf freilassung geklagt hat soll ihrer auffassung nach als nationalhymne singen, dass endlich die jüdische seele das land im osten mit jerusalem wieder hat? Finden Sie das zumutbar? Ich finde das diskriminierend, demütigend, menschenverachtend und undemokratisch.

  • RD
    Rainer David W. Früh

    RICHTIG, Volksgenosse Hofmann!!!

    Hymne, Flagge, Israel, einfach die Juden: geht nicht! Weg mit dem Geschmeiss, nicht wahr, Volksgenosse Hofmann?

    Das Opilein von der Waffen-SS wäre stolz auf seinen kleinen Scheisser.........

  • J
    Jupp

    Da hat Bibi geglaubt, er müsse die Umfragen ausnutzen und sich Neuwahlen bestellt, und muss nun feststellen, dass es vielen keinen Spaß mehr macht, die Lasten zu tragen.

     

    Ob ihn das zu einer Besinnung bringt?

  • H
    Himynameis

    Frau Knaul, wo ist denn jetzt dieser ominöse Rechtsruck in Israel, den Sie in den letzten Wochen beschrieben haben? Das haben zwar alle "Israelkritiker" vor der Wahl gerne geschrieben und gelesen, mit der Realität hat es aber natürlich wenig zu tun - wie so manches, was über die Region in der Taz abgeschrieben von Haaretz erscheint.

  • MH
    Marco Hoffmann

    Balad hat drei Sitze (einer mehr als kadima), falls es jemanden interessiert. Haneen zoabi ist weiterhin in der knesset und muss singen, dass die jüdische Seele endlich ihr land im osten mit jerusalem wieder hat (hatikva, musik basiert auf ma vlast, bedrich smetana).

     

    http://en.wikipedia.org/wiki/Israeli_legislative_election,_2013

     

    "leaked exit results" - nächstesmal sollten wahlbeobachter entsandt werden, kadima vor vier jahren 22,47 % und gestern 2,09%, also unter zehn prozent vom letzen ergebnis?

     

    Boliviens Neugründung mittels neuer Verfassung behielt den staatsnamen bei. Hier geht das nicht, die Flagge geht auch nicht und das staatswappen auch nicht, die hymne auch nicht.

  • I
    I.Q

    Hoffnung gebend und keinesweg nebulös:

     

    Abbas kommt den Friedenswilligen bei der Regierungsbildung hilfreich entgegen:

     

    „The Palestinians welcome peace talks with any Israeli government that recognizes a Palestinian state,“

    http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/abbas-we-re-ready-to-talk-to-any-israeli-government-that-recognizes-palestine-1.495881

     

    Wenn das keine Unterstützung ist und da sage noch einer, die Palästinenser hätten es nicht drauf!

  • I
    I.Q

    Auf die Idee, es könnte ein wirklicher Frieden, nicht nur die Spannungen mit dem Iran überflüssig machen, zumal die Menschenrechte dort wohl das Letzte sind, was Netanjahu interessiert,

    es einfacher machen, auf eine Wehrpflicht für die „Religiösen“ zu verzichten

    und die Steuern auf Lebensmittel zu senken und so auch die Binnenwirtschaft anzukurbeln,

    wird der wohl nicht kommen.

     

    Aber durchhalten könnte auch eine Koalition, bei der Benett den Außenminister macht, wenn dem in Washington, London und Berlin die Pistole auf die Brust gesetzt würde,

    man wird pragmatisch sein, wenn es denn wirklich nicht mehr anders geht.

     

    Oder?