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Dschihadisten in Syrien„Das Ausland versteht sie falsch“

Die Mitglieder der Nusra-Front sind die schlagkräftigsten Gegner des syrischen Regimes. In Deir al-Sor wollen sie einen islamischen Staat errichten. Ein Besuch.

Islamisten beim Gebet in der Nähe von Deir Al-Sor. Bild: Benjamin Hiller

DEIR AL-SOR taz | „Die Front wird siegen über die Tiere, die Front wird siegen über die Ungläubigen!“ Es ist ein beliebtes Lied irakischer Dschihadisten, auf dessen Melodie ein Unterstützer der syrischen Aufständischen von Dschabhat al-Nusra (Unterstützungsfront) diese Verse gedichtet hat.

Muthanar hört sie jeden Tag, während er mit dem Auto durch die zerstörten Straßen von Deir al-Sor fährt. Er ist Medienaktivist, verkauft Videos an den arabischen Satellitensender Aljazeera, dokumentiert die Kämpfe in seiner Heimatstadt aber auch im Auftrag islamistischer Brigaden.

Die Nusra-Front, die Medienvertretern nicht erlauben, ihre Operationen zu filmen, und deren Mitglieder ihre Gesichter unter schwarzen Sturmhauben verbergen, bewundert er. „Das Ausland versteht sie falsch, brandmarkt sie als Terroristen. Dabei wehren sie sich lediglich gegen die Unterdrückung der Sunniten durch das Assad-Regime“, betont er.

War die Nusra-Front seit Anfang Januar 2012 zunächst nur Experten ein Begriff, prägt die Furcht vor ihnen inzwischen die Außenpolitik des Westens - was zuletzt in der massiven Aufrüstung gemäßigter Rebellen nahe der Stadt Deraa im Süden mündete.

Islamisten kontrollieren strategisch wichtigen Gebiete

Landesweit stellen die Nusra-Front und die ähnlich agierenden Ahrar Al-Sham nun bis zu 25 Prozent aller Kämpfer, wie es in einem Bericht des Schwedish Institute for Forgein Affairs heißt. Ihre militärische Schlagkraft übersteigt die anderer Gruppen deutlich. Insbesondere im Osten Syriens kontrollieren die Dschihadisten inzwischen nahezu alle strategisch wichtigen Gebiete wie Ölquellen, Verkehrsknotenpunkte und zahlreiche öffentliche Gebäude.

Ein schwerer, goldener Vorhang verwehrt den Blick in die Basis. Eine einzelne schwarze Märtyrer-Flagge prangt darauf. Das Hauptquartier der Nusra-Front in Deir al-Sor liegt versteckt, ein aufgeschütteter Trümmerwall versperrt die Straße in eine Richtung. Die Flure führen zu provisorischen Matratzenlagern, leere Konserven und Kleidung liegen herum. An den Wänden hängen Flaggen des Dawlat al-Iraq al-Islamia, eines Dachverbandes irakischen al-Qaida-Verbündeter. Die Nusrat-Front hat zahlreiche islamistische Kämpfer aus Libyen, dem Irak und dem Kosovo aufgenommen. Die Errichtung eines islamischen Staates in Syrien ist ihr erklärtes Ziel.

„Wir sind nicht Teil dieser Revolution, sondern verteidigen unseren Glauben“, erklärt Abu Ishaq, Sprecher einer Nusra-Kampfeinheit im Stadtteil Scheich Jassin. „Unser Dschihad besteht nicht nur aus dem Kampf, sondern auch darin, die Bevölkerung mit Nahrung und Medizin zu versorgen.“ Insbesondere in Großstädten wie Aleppo und Deir al-Sor hat die Nusra-Front gemeinsam mit islamistischen Stiftungen aus den Golf-Staaten in den Wintermonaten ein Netz an Sozialstationen errichtet - Koranschule meist inklusive. War die Front bis vor einem halben Jahr darum bemüht, ihre Kampfkraft zu stärken, mischt sie sich nun verstärkt in den Wiederaufbau ein. Das sorgt für Konfliktpotenzial.

Im Januar 2013 verkündete eine im Vorort Meyadin stationierte Nusra-Einheit die Einführung ihrer Interpretation der Scharia. Eine Religionskommission und -polizei überwacht seitdem deren Einhaltung, faktisch ist es jedoch eine Willkürherrschaft. In einem umfangreichen Bericht hat Amnesty International Mitte März zusammengetragen, welcher Verbrechen sich bewaffnete Gruppen in Deir al-Sor schuldig gemacht haben: verhaftete Soldaten wurden vor laufenden Kameras geköpft, mehrere Rebellen brüsteten sich damit, die Leichen getöteter Soldaten verbrannt zu haben - ein Bruch mit islamischen Bestattungstraditionen, die auf die Schmähung der Toten zielt.

Auseinandersetzungen mit gemäßigten Gruppen

Immer häufiger kommt es auch zu Streitigkeiten und Schießereien zwischen gemäßigten und radikalen Rebellengruppen. In Meyadin protestierten Mitte März erstmals mehrere Dutzend Menschen gegen die Nusra-Front. Mehrere Oppositionsgruppen versuchen, den Einfluss der Organisation zurückzudrängen - bislang ohne Erfolg. In Deir al-Sor entstammen diese Gruppen jedoch nicht der liberalen Opposition, sondern wurzeln in den tribalen-konservativen Strukturen Ostsyriens.

Lokale Dorfautoritäten versuchen, Verantwortung für die Neugestaltung zu übernehmen. Ahmed al-Hadsch war Angestellter der Handelskammer von Deir al-Sor, nur wenige Jahre vor der Rente, er bezieht aber bis heute sein staatliches Gehalt. Die Zerstörung seiner Heimatstadt hat ihn politisiert. „In Wahrheit haben wir längst einen Krieg der Religionen in Syrien. Das Regime lehrte uns Jahrzehnte lang, zu stehlen und zu betrügen und dann ließ der Westen uns im Stich.“

Sein politisches Vorbild sieht er im autokratisch herrschenden ägyptischen Muslimbruder Muhammad Mursi. Er schätzt jedoch auch den Oppositionellen Michel Kilo, der aus einer christlichen Familie stammt. „Das Land liegt im Chaos, doch wir beobachten sehr genau, wer in den letzten zwei Jahren wie gehandelt hat“, sagt er mit Blick auf Vorwürfe der Unterschlagung gegen führende Oppositionsvertreter. „Wir möchten eine Regierung, die vom Islam und unseren traditionellen Werten geprägt ist.“ Radikalität hat im Weltbild des Familienvaters jedoch keinen Platz, es ist geprägt von Stolz und Würde - nicht von blindem Eifer.

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10 Kommentare

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  • A
    Ant-iPod

    @Harald:

     

    Bitte entschuldigen Sie, wenn ich in 2000 Zeichen nicht alle meine Ansichten einbringen kann.

    Wenn ich mit Arabern und vor allem mit Muslimen rede, dann frage ich diese, warum sie die Lebensweise des "Westens" kritisieren und nun Hilfe erwarten? Ich frage, warum Europa und die USA helfen sollen, wenn Indonesien oder Ägypten nicht helfen, obwohl sie und die Golfmonarchien militärisch in der Lage wären.

     

    Allerdings sind es die USA und Europa, die stets die Wahrung der Menschenrechte propagieren und wenn es konkret wird, Gründe finden, warum man diese nicht schützen müsse - die momentane Ausrede lautet: Angst vor Flächenbrand.

    Diesen Anspruch haben andere ja nicht in gleicher Form - ganz zu schweigen davon, dass wir die Mittel besitzen.

    Es müssen auch nicht gleich 50 Divisionen sein - denn eine Flugverbotszone, eine Zerstörung der militärischen Führungsfähigkeit der Assad-Armee, sowie einen Ausgleich in der Ausrüstung der FSA - bei der es konkrete Ansprechpartner und Verantwortliche gibt, deren Rolle wir stärken sollten - davon rede ich.

    Neben einer Chance auf bessere Wahrung der Menschenrechte, drängen wir damit den Einfluss der Radikalen zurück, was unser ureigenes Interesse ist.

    Meiner Kenntnis nach ist dies auch das Interesse der syrischen Mehrheit, das diese die Assad-Diktatur nicht durch eine Islamistische ersetzt sehen wollen.

     

    Es stimmt zwar, dass der Konflikt innerhalb der Muslime an Intensität zunimmt und das hierfür ebenfalls die wesentliche Verantwortung bei den Muslimen selbst liegt - man muss sich ja nicht provozieren lassen - aber dieser Konflikt wird einerseits geschürt (wer bsw. rüstet die sunnitischen Monarchien gerade auf?) und andererseits nutzen moderate, säkulare Staaten ihre Möglichkeiten zur Deeskalation nicht - im Gegenteil:

    Dem Iran wird technologischer Fortschritt verwehrt, weil man ihm das Streben nach Nuklearwaffen unterstellt, aber: er wird militärisch eingekreist und Nordkorea zeigt: Nur A-Waffen machen unangreifbar.

  • AI
    Anti Islam

    Die taz will die Terroristen wieder als die guten darstellen, ihr berichtet über diese Region und erwähnt mit keinem Wort die kurdische YPG welche die stärkste militärische kraft in Syrien ist.

     

    Die taz unterstützt damit fsa terroisten, die "ungläubigen" vor laufender Kamera den Kopf abschneiden

  • H
    Hellseher

    Zitat: "Insbesondere im Osten Syriens kontrollieren die Dschihadisten inzwischen nahezu alle strategisch wichtigen Gebiete wie Ölquellen, Verkehrsknotenpunkte und zahlreiche öffentliche Gebäude."

     

    Das wird ihnen leider gar nichts nützen.

    In Mali eroberten sie auch den nördlichen Teil, und dann kam Frankreich um ihnen alles wieder abzujagen.

     

    In Syrien wird das selbe passieren. Nur dass es dann nicht Frankreich ist, sondern die USA.

  • H
    Harald

    Hallo Ant-iPod

     

    kannst du dir das Geschrei vorstellen, wenn selbst ein kleines westliches Expeditionsheer mit 50 Divisionen in Syrien einmarschiert wäre? Den Mond hätt's aus der Umlaufbahn gehauen.

     

    Was ich an deinem Standpunkt nicht verstehe ist, daß du, obwohl gut informiert, den Westen in die Hauptverantwortung für den syrischen Krieg nimmst. Das ist mir zu einfach.

     

    In der muslimischen Welt in Middle East tobt der Krieg um die Vorherrschaft zwischen Schiiten und Sunniten. Ein Krieg, geführt auf der Basis hoher, dreistelliger Dollarmilliarden.

     

    Egal was der Westen macht oder nicht, ändert nicht das Geringste am Blutdurst der Beteiligten. Wohin ein Engagement letztendlich führt, kann derzeit in Afpak besichtigt werden. Oder in Ägypten, wo die Muslimbrüder, von den USA an die Macht gebracht, zeigen, worauf es ihnen ankommt. Von der übrigen muslimischen Welt ganz zu schweigen.

     

    Es änderte nicht das Geringste daran, daß Europa der von den Medien verschwiegene Verfügungsraum islamistischer Terroristen ist. Die sich gerade aus diesem Europa zu tausenden zur praxisnahen Ausbildung in Syrien befinden.

     

    Jetzt könnte man diese Leute natürlich an der Rückkehr nach Europa hindern, was aber illusorisch ist, da Europa nicht mal mehr die Kraft aufbringt, Hezbollah als Terrororganisation einzustufen.

     

    Bis 2048 ist noch lange hin.

  • A
    Akrat

    Liebe TAZ,

    in der Print-Ausgabe dieses Artikels steht in der Überschrift, dass "blanke Anarchie hersche".

    Dies ist zweifach grundlegend falsch.

    1.Ich hatte mit eigentlich immer gedacht, dass die TAZ als linke Presse weiß was Anarchie bedeutet.

    Nämlich nichts anderes als Herschaftslosigkeit.

    Dann stellt sich aber die Frage wie kann Herschaftslosigkeit herschen?- Kann sie nicht!

    2.Die Anwendung des Begriffes Anarchie in diesem Kontext ist falsch, da Anarchie ungleich Chaos ist, was wohl gemeint ist, da wir hier im Westen nicht durchblicken, was genau wie und wo in Syrien geschieht.

    Dort herscht keine Herschaftslosigkeit sondern Krieg zwischen Regierung und Oppositionellen Milizen (die sich auch untereindander nicht unbedingt lieb haben).

    Das ist eine geballte Ansammlung an Herschaft, größtenteils durch Waffengewalt und so definitiv keine Anarchie.

     

    Ich bitte die Taz daher sich den Begriff der Anarchie genauer anzuschauen (der Wikipedia-Artikel hilft, dort wird auch der passendere Begriff der Anomie erklärt) und sich nicht in den difamierenden unreflektierten Gebrauch dieses Wortes in den rechten und Mainstreammedien einzureihen.

     

    Dies ist nicht böse gemeint sondern soll bitte als konstruktiver Vorschlag in Kentniss genommen werden.

    Danke :)

     

     

    (für Rückfragen könnt ihr mir ja eine Mail schicken)

  • U
    Ute

    Es erinnert alles daran, dass die westlichen Geheimdienste, auch der hiesige, zumindest halbwegs einen Überblick darüber haben müssten, was da in Syrien vor sich geht. Wenn solche Fähigkeiten dort schon seit Jahr und Tag vorliegen, warum hat man es dann zu diesem Konflikt mit solchen Ausmaßen kommen lassen müssen?

     

    Somit ist es auch falsch zu behaupten, Russland und China müssten hier als die Verantwortlichen gebrandmarkt werden. Intrige und Ranküne und nicht Menschenrechte sind Handeln von westlicher Provenienz – man hat doch offenbar kommen sehen, was sich da entwickeln könnte und da soll es mit und über Russland keine anderen Möglichkeiten gegeben haben?

     

    @ Harald

     

    Was glauben Sie, ist der hier genannte Ahmed al-Hadsch nun für oder gegen den Einfluss der Nusra-Einheiten?

     

    Oder anders gefragt: Haben Sie vor Verbreitung bzw. Einsatz

    Ihrer Textbausteine den Bericht wirklich gelesen?

  • A
    Ant-iPod

    In den gestrigen Tagesthemen hat der SWR Reporter, der mit Georg Armbruster in Syrien war darüber berichtet, dass lediglich die eher islamistischen Gruppen der Masse der Zivilbevölkerung deswegen helfen können, weil sie mit viel Geld aus den Ölmonarchien neben Waffen eben auch die anderen Dinge des täglichen Bedarfs erwerben und verteilen - Brot, Medikamente etc.

     

    In ihrer blanken Not würden die Menschen jede Hilfe annehmen und er sähe voraus, dass bsw. die Europäer den Syrern genau dies zum Nachteil auslegen würden, dass sie sich an die Islamisten "gewendet" hätten.

     

    Wenn wir diesen Menschen nicht helfen - warum beschweren wir uns dann, dass sie in der Not nach dem Strohhalm greifen, der ihnen gereicht wird?

    Wenn Sunniten sich die Freiheit wünschen, nicht wegen ihres Glaubens benachteiligt zu werden (wie unter Baschar) und dies offen aussprechen, warum sehen wir darin gleich eine drohende Unterdrückung von Christen, Alawiten etc.?

     

    Wenn wir dabei zusehen, wie der Iran und Russland das Regime dabei unterstützen, die eigene Bevölkerung zu morden, dann ist dies eine indirekte Unterstützung solchen Handelns.

    Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn diese Menschen uns hassen und uns an dem von uns mitverursachtem Schmerz teilhaben lassen - was wir oft Terror nennen.

     

    Wir erschaffen uns unsere Feinde selbst - völlig ohne Not!

  • EG
    Ehrloses Gesindel

    Wer den Kopf im Sand hat, den bestraft die Realitaet.

  • KM
    Karl M.

    Wenn es in Europa anfängt dann werden die Gutmenschen aufwachen oder sie werden Enden wie im Iran-an den Baukränen aufgehangen von den Leuten die sie vorher unterstützt haben.

  • H
    Harald

    Im Gegensatz zu westlichen Politikern, die aufgrund des herrschen Correctness Terrors und der Lobbyverschleierung nur noch in austauschbaren, belanglosen Phrasen sprechen, sagen Diktatoren/Despoten/Folterknechte immer die Wahrheit.

     

    Man muss ihnen nur zuhören. Zuhören wollen.

    Aber warum nur wird ihnen so selten bis gar nicht geglaubt? Selbst im eigenen Bericht nicht?:

     

    "Wir sind nicht Teil dieser Revolution, sondern verteidigen unseren Glauben",

     

    „Wir möchten eine Regierung, die vom Islam und unseren traditionellen Werten geprägt ist.“

     

    "Radikalität hat im Weltbild des Familienvaters jedoch keinen Platz, es ist geprägt von Stolz und Würde - nicht von blindem Eifer."

     

    Gelten "Stolz und Würde" auch für Christen, Juden, Bahai, Ale- und Alawiten, Sunniten und Atheisten in Syrien?