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Kommentar Piraten-ParteitagDesillusioniert und ausgebrannt

Astrid Geisler
Kommentar von Astrid Geisler

Die Piraten sind Gefangene ihrer kraftzehrenden, basisdemokratischen Ideale geworden. Die Partei hat ihre besten Leute verschlissen.

Für eine nachhaltige Revolution hat es nicht gereicht. Bild: dpa

F ür Patienten mit Burn-out-Syndrom hat die Medizin in den vergangenen Jahren breite Behandlungsmöglichkeiten entwickelt: Sie können sich an spezialisierte Ärzte wenden, einen Coach buchen oder in einer Fachklinik den seelischen Neuanfang angehen. Was aber, wenn der Patient eine Partei ist?

Beim Bundesparteitag in Bremen haben viele Piraten ihrer Organisation einen pathologischen Erschöpfungszustand attestiert. Desillusioniert und ausgebrannt – so fühlen sich die Polit-Idealisten nach endlosen Führungsstreitereien und dem Absturz in die Kategorie der „Sonstigen“ bei der Bundestagswahl. Wenn die neuen Vorstandsmitglieder heute politischen „Punkrock“ versprechen, klingt es nur noch fahl.

Die Piraten sind Gefangene ihrer eigenen kraftzehrenden und basisdemokratischen Ideale geworden, aufgerieben in ihrem unendlich anstrengenden Parteialltag.

Einen neuartigen Politikstil wollte die Partei prägen. Doch im eigenen Laden hat sie inzwischen eine Reihe ihrer besten Leute verschlissen. Den Exvorsitzenden Bernd Schlömer und seine Stellvertreter schickte die Basis nach seinem jahrelangen ehrenamtlichen Großeinsatz für die Partei in Bremen ohne eine Geste des Dankes nach Hause. Die meisten Provinztennisklubs sind da anständiger.

Zu einer Bezahlung des neuen Bundesvorstands rangen sich die Piraten nicht durch, trotz vehementer Appelle einflussreicher Mitglieder. Außerhalb des Internets jedoch gibt es gute Qualität leider selten gratis. So hat die Partei in Bremen jene Führungscrew bekommen, die sie gegenwärtig verdient: eine B-Liga-Riege. Überzeugende Ideen für den Ausweg aus der Krise lieferten die neuen Spitzenpiraten nicht. Burn-out-Patienten brauchen professionelle Hilfe. Für die Piraten ist diese gegenwärtig nicht in Sicht.

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Astrid Geisler
Korrespondentin Parlamentsbüro
Jahrgang 1974, ist Parlamentskorrespondentin der taz. Zuvor hat sie als Reporterin und Inlandsredakteurin für die Zeitung gearbeitet. Sie war Stipendiatin des Netzwerks Recherche und erhielt für ihre Recherchen über Rechtsextremismus unter anderem den Theodor-Wolff-Preis. Schwerpunkte ihrer Berichterstattung sind die Piratenpartei, die CDU und das Thema Innere Sicherheit. Autorin der Sachbücher „Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland“ und „Piratenbraut. Meine Erlebnisse in der wildesten Partei Deutschlands“.
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5 Kommentare

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  • D
    Diagonal

    Zwar bin ich kein "Pirat", sehe diese Vereinigung aber doch mit einiger Restsympathie. Frau Geisler bemängelt das Fehlen von "Anstand" bei der Verabschiedung Schlömers. Gut, ein oranger Blumenstrauß wäre eine Idee gewesen. Überschwänglich zu danken ist aber aus eher linker Perspektive dem Liberalen Schlömer nicht, zu parteiisch-tendenziös agierte er als Vorsitzender. Ansonsten würde ich mich als Pirat besser nicht von der taz beraten lassen dabei, was sog. Professionalisierungsideen angeht. Grüne - ick hör Euch trappsen. Wenn die Piraten eine Chance haben, dann durch kritische, rationale Offensive, nicht durch Promi-Pirouetten und sich Nähertanzen an anvisierte zukünftige Koalitionspartner.

  • FN
    Frauke Niedermann

    Die Chance war: Es gibt viele internetaffine Menschen, die in einer neuen basisdemokratischen und unideologischen Partei mitarbeiten wollen.

    Das Problem dabei ist: Diese Menschen teilen nicht dieselben politischen Standpunkte in den Sachfragen. Da ist der Konflikt vorprogrammiert und am Ende siegen die Mitglieder, die gleicher sind und Arbeitsgruppen leiten oder im Vorstand sind und andere Mitglieder werden als angebliche CDU-Uboote gemobbt und deren Meinung bereits im Vorfeld diskrediert in einer Weise, wie Linke nunmal mit Andersdenkenden umgehen. So bilden sich eben genau die Strukturen heraus, die man den etablierten Parteien vorgeworfen hat.

  • D
    Daniel

    Ich dachte auch mal die Piraten seien eine Alternative...mittlerweile weiß ich, dass es sich da lediglich um einen unprofessionellen Haufen naiver Menschen handelt die glauben es reicht anders zu sein. Anders ist nicht automatisch besser.

  • Die Piraten Partei Plattform ist anders als alle anderen Parteien. Inhalte statt individuelle Personen stehen im Vordergrund, Personenkult ist unbekannt. Es wird wohl noch etwas Dauer bis auch die Presse dies verstanden hat. Es hat sich eingeschliffen eine Person haben zu wollen, die auf alles eine Antwort geben soll. Denk mal nach wie soll das gehen. Frag doch bitte die Leute, die das jeweilige Thema ausgearbeitet haben, ob zu Bildung, Drogen, BGE, die werden dann auch detaillierte und kompetente Antworten geben. Wer als Vorsitzender gewählt wird ist für direkte Demokratie nur ein Zugeständnis und schlechter Kompromiss zu überholten und aussterbenden gesellschaftlichen Strukturen.

     

    Da kommt eine ganz neue, Quantensprung gesellschaftliche andere Struktur auf uns zu. Dies verstehen zu wollen bedeutet sich die Mühe zu machen auch mal wirklich zu googlen und zu studieren was sich die Begründer der Piraten-Partei-Plattform erarbeitet haben um zu verhindern, dass sich der Filz der Parteienlandschaft und menschliche Schwächen einnisten können. Es ist genial! Auch viele in der Piratenpartei bzw. direkten Demokratie Bewegung sind noch auch dem Weg sich dort hin zu entwickeln, den sehr vieles ist so ganz anders als wir erzogen und in der schule gebildet wurden und wie unsere jetzige Gesellschaft funktioniert. Da kommen viele an ihre Grenzen, ich auch -täglich-, doch es ist spannend und es verändert einem durchzublicken durch die Matrix! Liebe Redaktion der taz, gebt Euch ein Chance oder nehmt ein kleine Menge Geld in die Hand und sucht Euch jemanden der Euch direkte Demokratie und was die Piraten Partei dazu beiträgt mal fachlich kompetent darlegen zu lassen, dann könnt ihr eine der ersten Presseinstanzen sein, die aus dieser neuen gesellschaftlichen Struktur auch wirklich kompetent informieren könnt. Im Moment schlagt ihr nur in die alten Kerben der Ignoranz und Schlagwort- schlag mich tot Journalismus. IHR KÖNNT VIELE BESSER!!

    • @nicolay nicolay:

      wenn ich's recht verstehe, Herr Nicolay, ist also alles im Reinen auf dem Piratenschiff? Ich sage, die Blütenträume, denen offensichtlich auch Sie noch anhängen, waren bei vielen (ich nehme mich selbst nicht aus) Auslöser des Rucks, der den raketenartigen Aufstieg der Partei bedingte. Wer allerdings volle vier, fünf Jahre später immer noch auf genau derselben Stelle tritt, muss damit leben, zu einem spiritistischen Zirkel zu verkommen - Politik kann man damit nun mal nicht machen! Außerdem: wie hoch schätzen Sie das Potential jener Anschauung, die als "ein Quantensprung gesellschaftlich anderer Struktur auf uns zukommt"? 1 Prozent oder darunter? Erinnern wir uns bitte, dass das (eigentlich revolutionär hoffnungsstiftende) Modell der liquid democrazy alsbald in Teilnehmerquoten im Promillebereich absackte. Das Pferd ist tot, Herr Nicolay, steigen Sie ab!