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20 Jahre nach der ReformIst die Bahn besser als früher?

Schnell, bequem und pünktlich? Oder teuer, vernachlässigt und verspätet? Eine Bilanz zu 20 Jahren Bahnreform.

So vielversprechend und dynamisch wie dieser ICE ist die Bahn leider nicht immer. Bild: dpa

NEIN:

Mehr als 7.000 Kilometer abgebaute Gleise, rund 1.500 geschlossene Bahnhöfe: Wer sehen will, wie grandios die Bahnreform gescheitert ist, muss nur das unverzichtbare, aber vernachlässigte Schienennetz anschauen. Allein in diesem Jahrzehnt hat das offiziell privatisierte, aber zu 100 Prozent in Staatsbesitz befindliche Unternehmen DB 110 Bahnhöfe vom Fernverkehr abgeklemmt.

In Städten wie Potsdam, Krefeld oder Cottbus hält längst kein Fernverkehrszug mehr. Jede zweite Weiche hat die DB Netz in den vergangenen 20 Jahren eingespart – das Überholen langsamer Züge wird unmöglich, Verspätungen sind programmiert.

Bahnreform

1. Januar 1994: Als der Bundestag die Bahnreform beschloss, lieferte die Politik Reisenden ein riesiges Versprechen: Schneller und pünktlicher, sauberer und moderner sollte der Schienenverkehr werden.

Die Umwandlung der Behördenbahn in eine bundeseigene Aktiengesellschaft, bei gleichzeitiger Integration der ostdeutschen Reichsbahn, werde für mehr Wettbewerb und damit für ein attraktiveres Angebot sorgen, hieß es.

Damit könne mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden. Und billiger sollte die Bahn auch werden: Die Reform werde die öffentlichen Haushalte entlasten, versprach die Politik.

Dieser Kahlschlag rächt sich. Im Kerngeschäft, dem nichtsubventionierten Fernverkehr, sind die Fahrgastzahlen selbst nach offiziellen Zahlen der DB rückläufig. Wurden 1994 noch 139 Millionen Fahrten gezählt, waren es 2012 nur noch 131 Millionen. Verwunderlich ist das nicht – schließlich ist die DB Deutschlands ungekrönte Königin der Preiserhöhung. Seit Anfang 2003 betrug die Inflation 17,3 Prozent. Fernverkehrstickets wurden dagegen um satte 35 Prozent teurer.

Doch auch der hochsubventionierte Nahverkehr steht nur auf den ersten Blick gut da. Zwar zählten die Bahn-Tochter DB Regio und ihre privaten Konkurrenten im vergangenen Jahr 2.439 Millionen Pendlerfahrten. 1994 waren es nur 1.369 Millionen. Der Bahnreform ist die Steigerung um 78 Prozent aber nicht zu verdanken: 7 Milliarden Euro jährlich pumpen die Länder in den Nahverkehr. Trotzdem kommt die Schiene nur auf einen Marktanteil von unter 10 Prozent.

Erstes Ziel verfehlt

Ähnlich sieht es beim Güterverkehr aus. Zwar stieg die Transportleistung der Schiene seit 1994 um rund 50 Prozent. Allerdings werden in Zeiten der Globalisierung auch insgesamt immer mehr Güter transportiert. Der Marktanteil der Bahn und ihrer 55 privaten Konkurrenten stagniert deshalb. 1994 lag er bei 16,8 Prozent – 2012 waren es 17,2 Prozent.

Damit hat die Politik das erste Ziel der Bahnreform – die Verlagerung von mehr Verkehr auf die Schiene – grandios verfehlt. Die Schiene sollte, der neoliberalen Ideologie der 90er folgend, durch Privatisierung, Konkurrenz & Co außerdem effizienter werden und die Staatskasse weniger belasten.

Doch das Primat der Wirtschaftlichkeit führt zu Wahnsinn mit Methode: Im Fernverkehr werden Verbindungen, die sich nicht rechnen, stillgelegt. In Berlin sorgten mangelnde Investitionen jahrelang für Chaos bei der S-Bahn. Und erst im Sommer fuhren Fernzüge den Mainzer Hauptbahnhof wochenlang nicht an, weil Personal in einem Stellwerk fehlte – arbeiteten 1994 noch 320.000 Menschen im reinen Schienenbereich der DB, waren es Ende 2012 nur noch 190.000. Stattdessen gibt der Staatsbetrieb Deutsche Bahn den Global Player.

2009 wurde die polnische Güterbahn PCC gekauft, in diesem Jahr die Osteuropa-Tochter des Konkurrenten Veolia. Selbst bei der Planung der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Mekka und Medina mischt die Bahn mit.

Doch der Traum vom weltgrößten Mobilitätskonzern ist teuer: Rund 7,5 Milliarden Euro hat die Bahn bisher kreditfinanziert in Bereiche wie den Logistikriesen Schenker – der gern per Lkw ausliefert – und ihre Engagements im Ausland gesteckt. Und die scheinen die Zinsen längst nicht einzuspielen: Glaubt man den Zahlen des Bündnisses „Bahn für Alle“, hat die DB AG in den 18 Jahren zwischen 1994 und 2011 insgesamt 16,6 Milliarden Euro Schulden angehäuft. Die als Beamtenhaufen beschimpfte Bundesbahn hat dafür 41 Jahre gebraucht – von 1949 bis 1990. (von Andreas Wyputta)

***

JA:

Vor 25 Jahren war die Fahrt von Berlin nach Thüringen mit der DDR-Reichsbahn eine Tagesreise, heute braucht ein Intercity-Express der Deutschen Bahn von Berlin nach Erfurt gut zweieinhalb Stunden. Auch im Westen Deutschlands war eine Bahnfahrt in den 1980er Jahren eine langwierige Angelegenheit.

Nicht nur zeitlich, auch in puncto Reisekomfort braucht die DB den historischen Vergleich nicht scheuen: Die ICEs sind zumeist – wenn nicht gerade die Klimaanlage ausfällt – gut temperiert, bequem, geräumig, und die Schaffner bemühen sich um Höflichkeit.

Das Gegenteil war zu DDR-Zeiten Standard: Die D-Züge waren zumeist überfüllt, oft kalt und trotz des zahlreichen Personals vermüllt. Auf den Toiletten gab es nie Klopapier, sie waren verdreckt und stanken; die Schaffner waren unfreundlich. Dafür war die Bockwurst im Speisewagen billig, sofern man nach langem Warten noch eine erstehen konnte. Diese Zeiten sind vorbei. Und kaum jemand trauert ihnen nach.

Nach der Wiedervereinigung mussten zwei unterschiedliche Bahnsysteme zusammengeführt werden, wobei wenigstens die Spurbreite die gleiche war. Nach westlichen Maßstäben war die Reichsbahn gnadenlos überbesetzt; hier arbeiteten mehr Menschen als bei der Bundesbahn, obwohl das Bahnnetz nur halb so groß war. Auch die Bundesbahn, eine Behörde, hatte ihre Probleme, obwohl sie in den 1980er Jahren ihre Einnahmen steigern konnte. Sie erwirtschaftete dennoch riesige Defizite, Schulden drückten, und Autos und Flugzeug machten ihr zunehmend Konkurrenz.

Schritt in die richtige Richtung

Mit der Bahnreform zum 1. Januar 1994 wollte die Politik mehrere Ziele erreichen: Integration der Reichsbahn, höhere Effizienz der Bahn, mehr Verkehr auf die Schiene, mehr Wettbewerb. Auch wenn nicht alle Ziele erreicht wurden, war die Bahnreform ein Schritt in die richtige Richtung. Denn dass eine Behördenbahn die Herausforderungen – beispielsweise die Konkurrenz durch Billigfluggesellschaften – besser gemeistert hätte, darf getrost bezweifelt werden.

Nach anfänglichen Verlusten hat die Bahn im Fernverkehr beispielsweise ihre Verkehrsleistung von 31,6 Millionen Personenkilometern im Jahr 2003 auf 37,6 Millionen im vergangenen Jahr gesteigert, auch ein Ergebnis der vielfach kritisierten Rennstreckenstrategie, nach der die Metropolen und Ballungsräume mit schnellen ICE-Zügen verbunden werden.

Flotte Verbindungen von Innenstadt zu Innenstadt machen auf vielen Destinationen das Flugzeug überflüssig, und die Menschen nehmen das Angebot an. Wenn künftig Verbindungen so getaktet werden, dass Anschlüsse sicher klappen, würde das die Attraktivität weiter steigern.

Einen Großteil ihres Geschäftes macht die Bahn aber im Regionalverkehr. Seit der Bahnreform bekommen die Bundesländer Geld vom Bund dafür, Zugverkehre zu bestellen. Zwar sitzt die DB AG bei Ausschreibungen oft am längeren Hebel; dennoch können die Bundesländer klare Vorgaben machen, zum Beispiel bei der Ausstattung der Züge oder der Pünktlichkeit.

Beispiel Globalisierung. Immer wieder schlagen Kritiker vor, das Unternehmen solle sich auf sein Kerngeschäft im Inland beschränken. So wichtig es ist, im Inland einen zuverlässigen Verkehr zu gewährleisten, würde sich die Bahn damit ihrer Chancen berauben.

Auch andere europäische Staatsbahnen drängen mit ihren Tochterunternehmen auf den deutschen Markt – warum sollte die DB nicht das Gleiche tun und im Ausland die Marktanteile gewinnen, die sie hier verliert? Auch im Güterverkehr ist Internationalisierung nicht verkehrt. Der Warenverkehr wächst – für Deutschland ist es gut, wenn ein bundeseigener Konzern sich dabei ein ordentliches Stück vom Kuchen abschneidet. (von Richard Rother)

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9 Kommentare

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  • Für eine Ja/Nein-Debatte eignet sich die Frage "Istdie Bahn besser als früher?" nun wirklich nicht. Das merkt man schon daran, dass sich Herr Rother dafür hergeben muss, einen Ja-Beitrag zu schreiben, dem man anmerkt, dass er kaum etwas Positives finden kann. Wenn da in aller Breite die ehemaligen Reichsbahn-Zustände der DDR als noch "schlechter" ausgebreitet werden müssen, kann man natürlich gewisse Fortschritte erkennen.

     

    Nimmt man hingegen den technologischen Maßstab der letzten 20 Jahre in anderen Branchen als Vergleich, so ist das Ergebnis noch viel katastrophaler als im Nein-Statement beschrieben.

     

    Die Umwandlung in eine sogenannte Aktiengesellschaft ohne echte Aktionäre, die mit Steuergeld "eigenwirtschaftlich"draufloswirtschaften darf, ist eine der krassesten und offensichtlichsten Fehlkonstruktionen der neoliberalen Strategie, mit der Sachwerte und Gelder aus dem Staatsbesitz in die Hände und Verfügungsgewalt sachfremder privater Manager verlagert wurden.

    Die Frage nach dem "besser" hätte höchstens ergänzt werden müssen : "Für wen?" Da gibt es viele Bekannte und Unbekannte, sicher aber nicht die genervten und jährlich immer mehr abgezockten Bahnkunden.

  • Bei diesem Thema in ein billiges Pro/Contra zu flüchten blamiert die taz! Wenn der Redakteur für "Wirtschaft und Umwelt" die Bewertung von 20 Jahren Bahnreform offensichtlich nicht selber schreiben kann, muss das ein anderer tun.

     

    Leider fällt auch bei anderen Artikeln dieses Redakteurs über die Bahn auf, dass es an Recherche, Kompetenz und grundlegenden Kenntnissen mangelt. Vielleicht liegt das daran, dass er - wie er in der Printausgabe schreibt - lieber mit dem Auto fährt, und zwar "wegen seiner Kinder" ...

     

    Wegen ihrer Kernkompetenz in "Wirtschaft und Umwelt" habe ich die taz abonniert. Es muss doch in der taz-Redaktion Redakteure geben, die - ebenso wie viele ihrer Leser - gern mit der Bahn fahren.

  • Danke den anderen Bloggern!!---Der Ja-Teil verwechselt schlechte Bahn mit öffentlicher Bahn. Dazu muss man nur in die Schweiz gucken - so geht Bahn gut, öffentlich und bezahlbar. FÜR die Bevölkerung und nicht für die Absahner da oben. Wer von Berlin aus nette ICEs sieht, sollte nicht vergessen, dass der Beförderungsauftrag in der Fläche völlig ignoriert wird. Auch durch die maßlosen Großbauten in der "Hauptstadt" und demnächst jahrzehntelang Stuttgart21 wird das vorhandene Geld für systemisch sinnlose Prestigebauten verheizt, statt für möglichst viele Menschen Bahnen fahren zu lassen (und, Herr Grube, vor dem Milliardengrab S21 erstmal die gottverdammten Brücken reparieren - das nennt man Prioritäten setzen). Ich fordere "normale" Züge mit Wagen für alle - große Türen, Gepäck, Fahrräder, Familien, Rollis usw. Die können auch mindestens 200 - wie die ICs früher, ggf auch 230. Mehr ist bei uns sinnlos. Derzeit macht die Bahn nur auf Yuppi mit Tablet. Damit werden effektiv ganze Schichten ausgeschlossen. Tolle Leistung, Bahn!!! Statt 5 AGs mit haufenweíse Versorgungsfällen gab es früher einen Bahnchef - der war normaler Beamter. Und an der "Front" beim Kunden waren einfach mehr Fachleute und nicht nur die Zahlenfresser und Bahn-Abwickler. Wut.

  • L
    LINT-Wurm

    Immerhin geht die Fahrt mittlerweile eher in Richtung Bürgerbahn denn zur Börsenbahn. Der befürchtete große Kahlschlag blieb aus, mit der Regionalisierung wurde das Angebot oft besser. Dazu kommen Bahncard, Länder- und Semestertickets.

     

    Streckenreaktivierungen sind erfolgt und geplant, Bahnhöfe gingen wieder oder neu in Betrieb. Gerade im Nah- und Regionalverkehr wird überproportional mehr Bahn gefahren. Zumindest ist eine Trendwende erreicht worden. Ob wegen oder trotz Bahnreform kann man pauschal schwer sagen.

     

    Die Zukunft dürfte aber einen weiteren Anstieg des Verkehrsaufkommens und -anteils auf der Schiene bringen. Die Konkurrenz von Nischenprodukten wie Mitfahrzentralen und Fernbussen kann das Angebot verbessern. Gleichzeitig haben für junge Leute Führerschein und Auto an Stellenwert eingebüßt.

  • Dieser Artikel geht auch einfacher... ;)

     

    Die Kennzahlen der Bahn von 1991 bis 2011:

    Bahnbeschäftigte - 67%

    öffentliche Mittel + 60,7%,

    Bezüge Bahnchef + 2067%

     

    ...und ich sehe es immer im Kontext zu: "Wie versucht wird die Privatisierung schmackhaft zu machen".

  • Jetzt wird alles besser - jetzt bekommt Pofalla ein Vorstandspöstchen bei der Bahn - hä hä hä!

     

    Würg!

  • Privatisierung is halt bei der Bahn genau die verkehrte Richtung.

    Die Bahn ist Teil der Infrastruktur eines Landes und oft der einzige Weg für Leute vernünftig auf die Arbeit zu kommen.

    Dass die Bahn überhaupt was kostet is ne Frechheit.

    Alle 'ich-muss-doch'-Sachen müssen vom Steueraufwand getragen werden.

    Das's ja der ganze Sinn davon, Gerechtigkeit unso

  • MF
    mr. fantasy

    mir auch!

    vielleicht liegts daran, dass im nein-teil mehr mit zahlen argumentiert wird (die natürlich auch zu hinterfragen sind) und im ja-teil eher mit (neoliberalen) glaubenssätzen. hat es wirklich sinn, dass die DB in Frankreich güterverkehrsleistungen erbringt und die SNCF in Deutschland? hat es wirklich sinn, dass im laufe eines vormittags 4 bis 5 verschiedene paketlieferdienste auf den hof fahren? usw.

  • Irgendwie erscheint mit der JA-Text weniger stichhaltig. Weiterhin frage ich mich, ob die besagten Probleme der DDR-Reichsbahn und der westdeutschen Bundesbahn nicht auch ohne Privatisierung hätten gelöst werden können.