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Polizeieinsatz gegen FlüchtlingeGewissen in Uniform

Bei der Räumung des Sitzstreiks der Lampedusa-Gruppe vor dem Rathaus verweigerten Polizisten den Befehl.

Kamen nicht auf einen gemeinsamen Nenner: Polizisten versuchen Lampedusa-Flüchtlinge zum Weggehen zu bewegen Bild: Bodo Marks/dpa

HAMBURG taz | Es waren brutale Szenen, die sich am Donnerstagabend bei der Räumung des stillen Sitzstreiks der Lampedusa-Flüchtlinge vor dem Rathaus abspielten: Polizisten nehmen Flüchtlinge in den Schwitzkasten, prügeln auf sie ein, drehen ihnen die Arme um und drücken sie bäuchlings auf den Boden, um ihnen Handschellen anzulegen.

Es gab aber auch Beamte, die den Einsatz offenbar für überzogen hielten: Polizisten der 4. Hundertschaft verweigerten den Befehl eines Einsatzleiters, die Männer von den Treppenstufen vor dem Rathaus zu schubsen.

Der Vorgang ereignete sich, als die Räumung des Sitzstreiks bereits im vollen Gange war. Am frühen Nachmittag hatten sich rund 70 Flüchtlinge auf dem Platz auf den Boden gesetzt, um so für ein Recht auf Arbeit und ein Bleiberecht zu protestieren. Trotz mehrfacher Aufforderungen weigerten sie sich, wieder aufzustehen. „Gebt uns eine Arbeitserlaubnis und Schlafmöglichkeiten, dann gehen wir“, sagte ein Sprecher.

Anschließend habe sich ein Polizist der Einheit, die den Flüchtlingen direkt gegenüberstand, umgedreht und gesagt: „Das mach’ ich nicht!“, berichtet die Journalistin Tina Fritsche, die Zeugin des Disputs geworden ist. Als der Befehlsgeber verdattert geguckt habe, habe der Beamte seine Weigerung untermauert. „Ich remonstriere hiermit.“

Als Ex-Pressesprecherin der Lehrergewerkschaft GEW wusste Fritsche sofort, was das bedeutet: Der Polizist nahm die im Beamtenrecht vorgesehene Möglichkeit in Anspruch, die Ausführung des Befehls aus Gewissensgründen zu verweigern, weil er ihn für rechtlich unzulässig hielt. Zwei Stunden später, als die Protestler zur Lampedusa-Mahnwache am Steindamm gezogen waren, wurde der Beamte von Journalisten angesprochen, worauf laut Fritsche ein Kollege neben ihm gesagt habe: „Die ganze Gruppe hat remonstriert.“

Bereits am Nachmittag war deutlich geworden, dass die zunächst eingesetzte Landesreserve der Polizei nur widerwillig der Weisung nachkommen wollte, den Rathausmarkt zu räumen. „Dann stehen wir bei diesem Thema alle blöd da“, sagte die Einsatzleiterin.

Polizeisprecher Mirko Streiber möchte das nicht als Remonstration gewertet wissen: „Das waren Diskussionen über mögliche Szenarien, das ist völlig üblich.“ Auch der von Fritsche beobachtete Vorgang sei im rechtlichen Sinne keine Remonstration gewesen. „Es hat lediglich unterschiedliche Auffassungen über das taktische Vorgehen gegeben“, so Streiber.

Die Linke bezeichnete den Polizeieinsatz als „politische Bankrotterklärung des Senats“, so die Abgeordnete Christiane Schneider. Die sieben festgenommen Flüchtlinge befinden sich wieder auf freien Fuß.

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20 Kommentare

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  • Ich verstehe nicht warum man immer noch so wie vor 40 jahren Artikel schreiben darf, es ist im Computer abrufbar, was heisst da "auf freiem Fuss" unter dieser Bedingung?

  • Wir brauchen mehr Polizisten, die derart “Cojones” haben (wie die Spanier sagen)! Und diese Polizisten brauchen jetzt Eure Unterstützung, die der Zivilgesellschaft nämlich.

     

    Das muss aufhören mit dem unrechtmässigen Prügeln, wenn Leute einen Sitzstreik machen. Das sieht übrigens auch das Bundesverfassungsgericht so, dass eine rein passive Sitzblockade schlicht unter die Versammlungsfreiheit fällt. Und Gewaltanwendung durch die Polizei muss überdies verhältnismässig sein. Grundloses Prügeln ist rechtswidrig:

     

    http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BVerfG&Datum=10.01.1995&Aktenzeichen=1%20BvR%20718/89

    • @Volker Birk:

      Diese "Nicht"-Polizisten haben gegen ihren Eid gehandelt und sollten vom Dienst subspendiert werden

      • @Michael Görgner:

        Sie verwechseln den Amtseid der Polizisten mit dem Führereid bzw. den Fahneneid von Soldaten. Der Amtseid wird auf das Grundgesetz geleistet und darauf "Gerechtigkeit gegen Jedermann zu leisten".

        Ausserdem heißt es "suspendiert" und nicht "subspendiert".

    • @Volker Birk:

      Glauben Sie wirklich, das Sitzblockaden in Parlaments-Bannmeilen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts unter die Versammlungsfreiheit fallen? Dann könnte doch jetzt jemand eine entsprechende Klage einreichen.

      • @Bernado:

        Was sollte das Bundesverfassungsgericht dagegen haben, wenn Leute still vor einem Rathaus sitzen? Bricht dieser Staat und seine Verfassung dadurch etwa zusammen? Klagen kann man i.d.R. immer - wenn Beschwer gegeben ist. Da könnten dann schon eher die Flüchtlinge gegen die Räumung klagen.

        Der Umstand, dass es Ihnen oder anderen nicht gefällt, wenn da Leute vor dem Rathaus sitzen, begründet doch noch lange keine Klage.

  • Mein Respekt vor den Polizisten, die sich nicht länger als Steigbügelhalter des Elb-Napoleon missbrauchen lassen. Flüchtlinge und Minderheiten brauchen den Schutz des Staates und nicht den Polizeiknüppel.

  • 8G
    889 (Profil gelöscht)

    "Das grenzt an Erpressung."

     

    Erpressung womit? Dass man sie in der Öffentlichkeit sehen muss?

    • @889 (Profil gelöscht):

      Erpressung mit der Verletzung der Bannmeile.

      Öffentlich sichtbar sind die Betroffenen doch weiterhin. Einfach mal z.B. zum Steindamm gehen.

      • 8G
        889 (Profil gelöscht)
        @Bernado:

        och je, die arme Bannmeile...

  • „Gebt uns eine Arbeitserlaubnis und Schlafmöglichkeiten, dann gehen wir“.

    Das grenzt an Erpressung. Ganz schön verfahren, die Situation.

    Selbstverständlich darf der Staat Einzelne nicht bevorzugen.

    Der, der am lautesten schreit, darf nicht seinen Willen bekommen.

    Das wäre in diesem Fall eine Herabsetzung und Beleidigung aller Flüchtlinge,

    die sich in das übliche Verfahren begeben haben.

    Das übliche Verfahren ist auch in diesem Fall die einzige Lösung,

    dabei können die Unterstützer ihnen helfen.

    Anders wird es nicht gehen - und sollte es m. E. auch nicht.

    • @Bernado:

      Was ist daran Erpressung? Menschenunwürdige Umstände erfordern ungewöhnliche Maßnahmen wie zivilen Ungehorsam Bernado. Die Flüchtlinge jammern nicht nur auf hohem Niveau wie die Mehrheit des Deutschen Michels, die seit Jahren hysterisch auf hohem Niveau klagt und jammern, aber nach oben buckelt und nach unten tritt,, nein die Fllüchtlinge tun jedenfalls was für ihr Recht!

    • @Bernado:

      Schlafmöglichkeiten = Erpressung?

       

      Eine würdige Unterkunft und Verpflegung sind das Mindestmaß an Menschenwürde.

       

      Es ist schon armselig genug, dass es Menschen in diesem Land gibt, die so etwas erstreiten müssen.

       

      Arbeitsmöglichkeiten sind da wiederum eine andere Sache. Glaube nicht, dass es sinnvoll ist, Menschen, die keine Ahnung von ihren Rechten haben, auf den Arbeitsmarkt los zu lassen. Die Häscher werden sich ziemlich schnell vor deren Türen einfinden um sie für Hungerlöhne schuften zu lassen.

       

      Vermute mal: Je nach Einschüchterungsgrad werden sich einige der dann Geschädigten noch nicht mal mehr auf´s Amt trauen. Was bleibt sind Ghettos.

      • @Schmollschwund:

        Eine Unterkunft und Verpflegung würden sie doch sofort bekommen, wenn sie ihre Personalien an die Behörde geben. Soll die Behörde denn Personen unterbringen, die sie gar nicht kennt?

        Welcher Mensch bekommt denn hier Sozialleistungen, ohne seine Namen, seine Identität anzugeben?

        Aber diese Flüchtlinge sollen so etwas bekommen - und wer dagegen ist, ist ein Rassist?

    • @Bernado:

      Deines Erachtens ist "das übliche Verfahren" alternativlos? Bei menschengemachten Gestzen iwie unmöglich, oder?

       

      Aber vielen Dank dass Du Dich gegen die Beleidigung und Herabsetzungen von Flüchtlingen stemmst, indem Du diese erpresserischen Treppensitzer enttarnst, als Kriminelle.

       

      Und Kriminelle sollte man gnaz schnell wegprügeln, sonst nehmen sich noch andere ein Beispiel und stellen sich auch der öffentlichen der Kaltherzigkeit, wie Sie auch aus Deinem Beitrag spricht.

       

      Aber wenigstens ein paar Gewaltmonopolisten hatten Gnade. Zwar aus Angst um ihr Image, aber immerhin.

      • @Henry Wilhelm vagt:

        Es fehlt nur noch, werter Henry, das Du

        mich als Rassist enttarnst, dann sind wir wieder bei der üblichen (im Fall der genannten Flüchtlinge auch deshalb erfolglosen) Rethorik.

        "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns."

        Kennen wir doch irgendwoher.

        • @Bernado:

          Das Asylsystem in Deutschland und Europa ist dysfunktional. Wer sich "in das übliche Verfahren" begibt kommt darin um.

           

          Eine solche "Erpressung" durch Sichtbarmachung von Problemen ist in einem demokratischen Staat hingegen zu begrüßen. Anders können die Verfahren nicht reformiert werden.

          • @Dhimitry:

            Sollen wir jetzt alle Armen aufnehmen? Selbst wenn ich dafür eine weit höhere Akzeptamz als die Durchschnittbevölkerung habe, würde es die deutsche Demokratie überfordern und den Rechten Stimmen zuschustern. Besser wäre eine gezielte Zuwanderung entsprechend Kanada.

            • @Gabriel Renoir:

              Die so hochgelobte gezielte Zuwanderung von Kanada ist nichts anderes, als eine gesäuberte Aussortierung.

          • @Dhimitry:

            Und Sie glauben wirklich, das wir durch diese Aktion einer "Reformierung der Verfahren im Interesse der Flüchtlinge" näher gekommen sind?