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WM und Integration in BerlinÜberzeugender kann man nicht feiern

Türken, Araber, Roma, Deutsche – gemeinsam bilden sie in Berlin-Neukölln nach dem Finalsieg eine schwarz-rot-goldene Feiermasse.

Ein Schlandmobil Sonntagnacht in Neukölln. Bild: Paul Wrusch

NEUKÖLLN taz | Böller fliegen, tiefergelegte BMWs, geschmückt mit Deutschlandfahnen, rasen, Frauen mit Kopftuch und Schwarz-Rot-Gold im Gesicht jubeln. Sonntagnacht in Berlin-Neukölln. Auf der Sonnenallee blockieren rund 150 vorwiegend junge Männer und Frauen mit so genanntem Migrationshintergrund die Fahrbahn. Jedes Auto, das vorbeifahren will, wird gestoppt, umrahmt und unter „Deutschland, Deutschland“-Rufen hin und her geschaukelt. Die Fahrer reagieren mit Hupen, sehr freundlich alle.

Deutschland ist Fußballweltmeister, und die Nacht wird in Neukölln vor allem von seinen Einwohnern zum Tag gemacht. Türken, Araber, Roma. Sie alle feiern, liegen sich in den Armen. Mit den UrberlinerInnen und mit den inzwischen hier angesiedelten Hipstern des Viertels, die dabei sind, aber nicht den Ton angeben. Sie hüllen sich in Deutschlandflaggen. Sie hängen sich aus Autofenstern. Sie bilden eine schwarz-rot-goldene Feiermasse. Hier auf der Straße wird Integration, das gute Zusammenleben mühelos gelebt.

Kleine Jungs mit riesigen Handschuhen rennen die Straße runter. Ihre Helden sind nicht nur Spieler wie Özil, Boateng und Khedira. Es sind auch und vor allem Neuer und Götze. Und natürlich Schweinsteiger, der für den Sieg gar blutete. Wer sonst über den mangelnden Integrationswillen der jungen Migranten in Deutschland schimpft, der sollte sich die Bilder dieser Nacht aus Neukölln ansehen. Denn die Bewohner des „Problembezirks“ identifizieren sich in diesem Moment mit dem Land, in dem sie leben. Ihre Freude ist echt.

Und vielleicht wird nirgendwo im Land so ehrlich und überzeugt gefeiert wie hier. In dem Bezirk, über den die Mainstreammedien meist nur im Zusammenhang mit Jugendgewalt, Parallelgesellschaften und der benachbarten Rütli-Schule berichten. So ein WM-Finale kann mehr erreichen als Integrationsgipfel, Doppelpassbeschlüsse und Sprachkurse zusammen. So ein Fest verbindet Menschen über sämtliche echte und künstliche Grenzen hinweg. Ein schönes Bild vom neuen Deutschland.

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4 Kommentare

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  • Alles bestens, aber eine Bitte aus den Tiefen des Publikums-Raums an die Medien: Hört endlich auf mit der Fragerei an Klose, wann er in Ruhestand geht.

     

    Seien wir einfach froh, dass wir ihn haben - solange wir ihn haben.

  • Integration, hmmm, beim Spiel Deutschland-Türkei?

  • Mal nicht so überschwänglich, Herr Wrusch! Die Sache hat nämlich einen Haken: die begeisterte Identifikation geht von den Migranten und Ausgegrenzten aus. Ein situatives und sehr fragiles Bündnis. Auch die Juden hatten sich mit Deutschland identifiziert, allein: es hilft wenig, wenn die Liebe nicht von den "Urdeutschen" dauerhaft erwidert wird.

  • Beim Sieg im Jubel vereint. Und im Alltag? Oder gar in der Niederlage?