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Gerichtsstreit um Jobcenter-MitarbeiterinHartz-IV-Rebellin will bleiben

Inge Hannemann wehrt sich vor dem Arbeitsgericht dagegen, dass die Stadt Hamburg sie aus dem Jobcenter abzieht und auf eine andere Stelle setzt.

Will das System von innen heraus verändern: Inge Hannemann Bild: dpa

HAMBURG taz | Die als „Hartz-IV-Rebellin“ bekannt gewordene Jobcenter-Arbeitsvermittlerin Inge Hannemann kämpft weiter. Heute verhandelt das Arbeitsgericht über eine einstweilige Verfügung, die die 46-Jährige gegen die Stadt Hamburg erwirkt hat – im Konkreten gegen die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. Sie möchte erreichen, dass sie ihre Arbeit im Jobcenter fortsetzen kann.

Die Sozialbehörde hatte Hannemann im Herbst 2011 als Teilzeitkraft dem Team-Arbeit im Jobcenter Altona zugewiesen – einer gemeinsamen Arbeitsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit und der Stadt Hamburg. Im Jobcenter war Hannemann zuständig für Jugendliche, die als schwer vermittelbar gelten. Dort hatte sie auf ihre Art gegen Missstände bei der Umsetzung der Hartz-IV-Regelungen protestiert.

Sie weigerte sich gegenüber Langzeit-Arbeitslosen Sanktionen zu verhängen, und versuchte das Beste für die Jugendlichen herauszuholen und zu schummeln, in dem sie eigenen Angaben zufolge Termine löschte, um Mittel-Kürzungen zu verhindern, wenn der Erwerbslose zum Termin nicht erscheinen war.

Von Team-Arbeit suspendiert wurde Hannemann im April vergangenen Jahres, als sie ihre subversive Hartz-IV-Kritik über ihren Internet-Blog „altonabloggt“ verbreitete und die Hartz-IV-Sanktionen als „menschenunwürdig“ anprangerte.

Dennoch trat Hannemann weiterhin in der Öffentlichkeit auf und sagte: „Hartz IV muss weg!“ In einem Brandbrief an die Bundesagentur für Arbeit in ihrem Blog fragte die Hartz-IV-Rebellin, „wie viele Tote, Geschädigte und geschändete Hartz-IV-Bezieher wollen Sie noch auf Ihr Konto laden?“ Hannemann unterzeichnete auch ein Sanktionsmoratorium und verteilte diese Unterschriftenliste an die Klienten des Jobcenters.

Hannemann hat ihre Äußerungen stets durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt gesehen und bestreitet, dass sie sich bei ihrer Arbeit nicht im Rahmen der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen bewegt habe, da die Regelungen der Paragrafen 31, 32 des Sozialgesetzbuchs II verfassungswidrig seien.

Die Sozialbehörde hat Hannemanns Zuweisung zum Team-Arbeit zum 30. Juni als beendet erklärt, da sie ja ohnehin suspendiert sei, und möchte sie jetzt als Sachbearbeiterin im Referat Integration einsetzen. Dort soll sie zuständig sein für die Eingliederung von schwerbehinderten Menschen ins Arbeitsleben.

„Dafür habe ich nicht die notwendige Qualifikation, müsste dauernd remonstrieren, um keinen Schaden anzurichten“, sagt Hannemann, die den neuen Job aus gesundheitlichen Gründen am 1. Juli nicht angetreten hat. Per Remonstration stellen Beamte Weisung ihrer Vorgesetzten in Frage. Die ungekündigte Hannemann möchte an ihren alten Arbeitsplatz zurück, um das Hartz-IV-System von innen heraus zu reformieren und plädiert für eine „Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe“.

Laut Arbeitsgerichts-Präsidentin Eveline von Hoffmann läuft seit einem Jahr ein Hauptsacheverfahren von Hannemann gegen das Team-Arbeit, in dem sich die Jobcenter-Mitarbeiterin gegen ihre Suspendierung wehrt. Im heutigen Eilverfahren geht es darum, ob die Stadt Hannemanns Zuweisung zum Jobcenter widerrufen kann und sie einfach im Integrationsamt einsetzen darf.

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6 Kommentare

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  • Sehr geehrte Frau Hannemann,

     

    Ihre Rechte können Sie nur durch eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht, eine Klage beim Europäischen Gerichtshof oder eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchsetzen.

     

    Das haben UNO und TAZ zurecht kritisiert.

     

    UNO hat die sSinsibilisierung der Gerichte gefordert und einen leichteren Zugang zum Bundesverfassungsgericht für einzelne Menschen.

     

    TAZ hat, auch zurecht, die Beanspruchung und Durchsetzung der eigenen Rechte in Deutschland mit der Höhe des eigenen Geldes verbunden.

     

    Sie könnten auch Glück haben, wenn ein Gericht Ihre Angelegenheit an Bundesverfassungsgericht oder EU-Gerichtshof, zur Prüfung, weiterreicht.

  • Hartz IV hilft den Betroffenen eben nicht auf die Beine und das war auch von CDU/CSU/SPD/Grüne immer so gewollt.

    Hartz IV ist gesetzlich geregelte, anonymisierte Existenzvernichtung auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

    Hartz IV ist die Aufforderung zum Selbstmord durch den Staat an alle, die ihr Leben nicht bedingungslos der "Wirtschaft" unterordnen können oder wollen.

    Hartz IV ist die Kapitulation der humanistischen Gesellschaft vor den Interessen des Geldes.

    Hartz IV ist Barbarei und Willkür.

    Harzt IV ist die Auflösung des individuellen Rechts zugunsten von BlaBla.

    Hartz IV ist Herrschaft von Menschen über andere Menschen.

    Hartz IV ist der perverse Wegbereiter der neuen Sklaverei unter dem Deckmantel der Hilfe.

    • @Rainer B.:

      Absolute Zustimmung!

  • Sanktionen gegen Jugendliche sind wissenschaftlich nachgewiesen Unsinn, kontraproduktiv und ohne Ergebnis. Warum der Staat das nicht einsehen kann? Weil der Staat mit den Hartz-IV-Empfängern sich ein Prekariat, eine Randgruppe selber geschaffen hat. Da kann es keine Ausnahmen geben und deswegen müssen sie Hannemann einfach irgendwohin abschieben. Sie können die Wahrheit eben selber nicht ertragen. Die ganze Behörde weiß, dass die Vermittler bei dieser Klientel lieber Sanktionen unterlassen sollten, aber wo SPD und Hartz-IV drauf stehen, ist es eben drinnen.

  • Alle mit Hirn die nicht vom Staat bezahlt wurden sind schwere schwere und poese poese Verbrecher, es begann mit Robin Hood und es wird wohl ewig so weiter gehen. Zuerst kommen die Missbrauchsopfer, da gibt es viele und versch Sorten und dann geht es die Verbrechensleiter hinauf. Es scheint durch eine gewisse Enge in den ueblichen Diktaturen so zu entstehen. Das ist aber nur ein Gefuehl, weil der Staat auch die korrekten Uebersetzungen vorgibt.

    Ja das ist eine Pruefung auch. Es liegt “natuerlich” nicht daran, dass die Staaten eben deshalb ihre Aufgaben nicht erledigen... HA HA HA

  • Zuerst ist man/frau Hartz 4 Empfänger. Dann ist man/frau Leiharbeiter, und da fängt schon wieder Mobbing an. Vielleicht wird man danach übernommen und es kommt zu Lohndumping, Mobbing läuft nebenbei weiter. Schließlich kommt der Burn-Out. Und man landet bei der Abteilung "Integration" beim Jobcenter. Diese schicken dich zu irgendeiner Veranstaltung von irgendwelchen Institutionen, wo weder der Lehrplan, noch die Mittel zu etwas sinnvollem Taugen. Anschließend kann man/frau wieder mit Zeile 1 beginnen, es sei denn, man geht inzwischen in Rente und sitzt den ganzen Tag rum.