piwik no script img

Kommentar Mahnwache in BerlinGelungene Symbolpolitik

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Das Bild, das sich am Brandenburger Tor bot, hat einen neuen Patriotismus gezeigt, der mit Blutsideologischem nichts am Hut hat. Richtig so.

Alle da: Gauck, Mazyek, Merkel, Gabriel, Yilmaz, Soykan und weitere. Bild: dpa

E s könnte die wichtigste Demonstration des Jahres gewesen sein. Die Mahnwache auf dem Pariser Platz am Dienstag war mehr als eine Pflichtübung der politischen Elite des Landes, zu der Vertreter der muslimischen und anderer religiöser Verbände gebeten hatten. Wie sie zum gemeinsamen Bild vor dem Symbol der wiedervereinigten Republik, dem Brandenburger Tor, zusammenkamen und was sie dort sagten, gilt für die Zukunft als politische Maßeinheit dessen, was dieses Land friedlich hält.

Politische Symbole werden gewöhnlich abgetan – sie gelten wenig im Angesicht des irgendwie jenseits von ihnen liegenden Substanziellen. Wer argumentiert: „Was nützt das ganze Integrationsgerede, wenn es keine vernünftige Sozial- und Bildungspolitik gibt?“, verkennt den unpädagogischen Charakter einer freiheitlichen Gesellschaft: Nicht für alles kann der Staat Verantwortung übernehmen, schon gar nicht für schlechte Entscheidungen seiner BürgerInnen. Auch nicht für die Wege etwa jungerwachsener Menschen, sich dem Terror zu verschreiben – dem hätte keine Sozialpolitik beikommen können.

Bundespräsident Gaucks Satz: „Wir schenken euch nicht unsere Angst. Euer Hass ist unser Ansporn“, war einerseits eine souveräne sprachliche Geste gegenüber allen ParanoikerInnen und zugleich eine Geste, bei der das „unser“ zweifellos alle BürgerInnen meinte, also auch, kurz gesagt, EinwanderInnen muslimischer Prägung.

Das Bild des Abends war sprechend integrativ. Republikanisch aus Prinzip, indem die ethnischen und kulturellen Eigenschaften hinter dem Leitbild des gemeinsam Deutschen im Sinne bürgerlichen Miteinanders zum Verschwinden gebracht werden. Die politische Elite mit allen Religionsvertretern – könnte das Bild noch einladender sein? Das heißt nicht, Konflikte zu verschweigen, zum Beispiel den offenen oder verdeckten Hass auf das Jüdische, das Antisemitische vieler BürgerInnen. Aber eine Mahnwache ist kein WG-Plenum, bei dem alles auf den Tisch kommt. Nur darum ging es: sich auszuhalten. Gemeinsam.

Das Gemecker darüber, dass nicht viele muslimische Deutsche zugegen waren, ist erbsenzählerisch. Die Mahnwache hat im Hinblick auf die BürgerInnen, denen Allah alles bedeutet, einen neuen Patriotismus präsentiert, der mit Blutsideologischem nichts gemein hat. Gut so.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Herr Feddersen hat in seinem Artikel schöne Worte gebraucht: "Republikanisch aus Prinzip". Leider hört man so etwas nur sehr selten. Was für eine Republik jedoch ist damit gemeint? Sollte es diejenige sein, in der ein jeder Bürger sein kann, unabhängig seiner Herkunft und Bekenntnis? Eine Republik, deren Fundament und Architektur durch Vernunft bestimmtes Recht sind (was zugegebenernmaßen alles andere als leicht ist). Beim betrachten des Bildes kommen mir da erhebliche zweifel. Als Vertreter der Muslime ist z.B. Herr Mazyek zu erkennen. Er vertritt den ZDM, ein alles andere als säkular daherkommender Verband. Weder er, noch der ZDM geschweige die anderen muslimischen Verbände positionieren sich eindeutig und unmißverständlich. Die Muslimas machen auch nicht gerade den Eindruck, als ob ihnen solche Gesellschaft- und Rechtsnormen am Herzen lägen. Merkel, Gabriel Gauck & Co. scheinsts nicht zu stören. Özdemir scheint sehr zufrieden. Weiter heißt es: "Die pol. Elite mit allen Religionsvertretern, könnte das Bild einladender sein?" Wie bitte, haben wir eine Staatsreligion? Ich sehe übrigens nur Muslime und einen Rabbi.. Alle Religionen des Landes? Ich sehen kein Buddhist. Einen offizieller Christ kann ich auch nicht erkennen. Wo sind Vertreter der Atheisten und Agnostiker? War diese Veranstaltung eigentlich auch so vom Volke entrückt wie diejenige in Paris? Alles in allem kann ich hier keinerlei republikanischen Patriotismus erkennen. Dafür jede Menge Fragen. http://www.katholisches.info/2015/01/14/usa-wollen-weitere-5-000-kouachis-bewaffnen-und-ausbilden-wie-viele-christen-werden-durch-sie-sterben/

  • Schöne Party... ...indeed...

    Was wir da aber gefeiert? Wieder mal? Ernsthafte, kompetente Arbeit an den grudlegenden Problemen und ihrer Lösungen etwa? ...you must be kidding...

     

    Unzufrieden damit, mit den Parties, mit ihren Partypromis und, auch, den Partygängern? ...change it!

    Das es nicht geht? ...oh, doch! ...just do it!

  • Politische Symbole können etwas bewirken, Symbolpoltitik beschränkt sich dagegen auf Symbole und bewirkt sonst nichts. Meint Herr Feddersen das, was er sagt oder will uns weismachen, Symbolpolitik wäre der Probleme Lösung? Die gute Laune unserer Repräsentanten würde sich aus der Selbsttäuschung erklären und sollte uns sauer aufstoßen...

  • Die Damen und Herren scheinen sich, wie das Bild zeigt, zu sehr amüsiert sein? Worüber eigentlich? Die blutigen Geschäfte werden sicherlich weitergehen, wie seit ca. 150 Jahren. Vielleicht feiern sie das hundertjährige Jubiläum der Waffenbruderschaft, des ersten Völkermords oder der ersten gemeinsamen Jihad-Kündigung.

  • jetzt fehlen nur noch die Narrenkappen und dass alle Helau schreien, langsam wird das zur Farce!

  • …däh -

     

    "…Das Bild des Abends war sprechend integrativ. Republikanisch aus Prinzip, indem die ethnischen und kulturellen Eigenschaften hinter dem Leitbild des gemeinsam Deutschen im Sinne bürgerlichen Miteinanders zum Verschwinden gebracht werden.…"

     

    Sorry -

    Jetzt mal sprechend integrativ im Bild -

    Liest das niemand - vor Druck?

     

    Ps: Danke für Ihren Kommentar. Er wartet auf Freischaltung. Bitte haben Sie Geduld und senden Sie ihn nicht mehrfach ab. - ok -

     

    mit F.K.Waechter - NÖ WIESO!

  • Ein schönes Bild der Eintracht und des demokratischen interkulturellen Konsens. Es wäre zu wünschen, wenn dies nicht nur eine Showveranstaltung zur Beweisführung eines/r demokratischen und toleranten Staates/Gesellschaft darstellt, die die zunehmende Spaltung der Gesellschaft übertünchen will, sondern daß auch Taten folgen werden.

     

    Leider lehrt uns die Erfahrung, daß solche Promotionveranstaltungen in der Regel nur zum Ausbau des Egos der Protagonisten mißbraucht werden und sie in den Dienst von zweckgebunderer Lobbypolitik gestellt werden. Wetten, daß diese humanistische Ethik vortäuschende Propagandaveranstaltung in spätestens einigen Wochen wieder in den Niederungen der (partei-)politischen und wirtschaftlichen Normalitäten des Systems verschwindet!

     

    Wenn es in der Praxis darauf ankommt, menschenfeindliche, unsoziale, ungerechte und unsolidarische Gesetze zurückzunehmen und derartige Entwicklungen zu bekämpfen, dann verlieren sich die auf dem obigen Foto vereinigten Selbstdarsteller wieder in Schweigen, Nichtstun, leeren und hohlen Worten und unverbindlichen Absichtserklärungen.

     

    Wir hätten noch Glück, wenn alles so bleibt, wie es ist. Aber ich befürchte, daß wir noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angekommen sind. Dazu bedarf es einer konzertierten Aktion der Mehrheit der Bürger, die sich aktiv wehren und Widerstand leisten. Ich befürchte allerdings, daß das allgemeine Bewußtsein die Voraussetzungen dafür noch bei weitem nicht liefern kann.

    • @Peter A. Weber:

      Ja leider

  • Der RechtsAussen ist der Völler Rudi ?

    • @RPH:

      ...und der zweitRechtsAussen oben, der Vermummte? ...der Wladimir?