Mahnwache in Berlin: Je suis Demokratie

Muslime, Juden, der Bundespräsident, die Bundeskanzlerin: Bei einer Mahnwache in Berlin vergewisserte sich das politische Deutschland seiner selbst.

Ruhig und entschlossen: gemeinsam für Demokratie am Brandenburger Tor Bild: dpa

BERLIN taz | Vor dem Brandenburger Tor in Berlin ist es voll. Jedoch nicht quirlig wie sonst, wenn sich hier viele Menschen versammeln. 10.000 Bürger sind am Dienstagabend gekommen, um eine Mahnwache für die Opfer des Pariser Terrors abzuhalten. Schon das Wort Mahnwache markiert den Duktus der Veranstaltung.

Das Setting ist anspruchsvoll. Die politische und religiöse Führung der Bundesregierung hat sich in der Mitte Berlins eingefunden. Auch der französische Botschafter steht mit auf der Bühne. Hier und heute geht es um ein Zeichen, um Bilder und, ja, auch um Trost für alle, die in diesen Tagen die Angst heimsucht.

Das kann auch schiefgehen. Was vor Wochenfrist in Paris geschehen ist, war eine Heimsuchung. Was an diesem Abend gebraucht wird, ist Ermutigung. Ermutigung, die den richtigen Ton findet. Nicht zu pathetisch, aber auch nicht zu forsch kämpferisch. Kann das gelingen?

Kurz vor 18 Uhr tritt auf der dicht mit Menschen gefüllten Bühne ein Mann ans Mikrofon. Es ist Abdelhak El Kouani. Der islamische Prediger trägt auf arabisch zwei Koranverse vor. Der singende Ton, die brechenden Worte, hallen über den Platz. Die Menschen werden still. Die Sure 5 heißt übersetzt: „Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne dass es einen Mord begangen oder auf der Erde Unheil gestiftet hat, so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Und wer es am Leben erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhält.“

„Der Islam gehört zu Deutschland“

Direkt hinter dem Prediger und nur wenige Plätze von Angela Merkel entfernt steht einer, den man hier eher nicht erwartet hätte. Christian Wulff, gescheiterter Bundespräsident, hatte in seiner Antrittsrede 2010 erklärt: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Erst tags zuvor hatte sich die Bundeskanzlerin Wulffs Satz zu eigen gemacht und ihn wiederholt. Nun stehen sie beide auf der Bühne in der ersten Reihe, nur durch wenige Plätze getrennt. Alles ist Chiffre an diesem Abend.

Nach der Koranlesung sprechen Vertreter der Politik und der Religionsgemeinschaften. Dann wird eine Schweigeminute für die Opfer des Terrors eingelegt. Schließlich tritt der Bundespräsident nach vorn. Joachim Gaucks Rede ist kurz, der ehemalige Pfarrer findet die richtigen Worte.

Er ruft alle Menschen in Deutschland unabhängig von Religion und Herkunft zum Einsatz für Demokratie und Weltoffenheit auf. Die Attentate von Paris hätten gezeigt, wie verwundbar die offene Gesellschaft ist, sagt Gauck. „Aber sie haben auch bewirkt, dass wir uns neu besinnen. Die Terroristen wollten uns spalten. Erreicht haben sie das Gegenteil.“ Der Gegenentwurf zum Fundamentalismus heiße Demokratie.

Gewissheiten, die Risse bekommen

Immer wieder während Gaucks Rede brandet Applaus auf. Nicht laut, eher bedächtig und selbstvergewissernd. Gauck spricht die Vielfalt der deutschen Einwanderungsgesellschaft an, sie beziehe „ihre Stärke gerade auch aus den Unterschieden“. Nicht zu übersehen und auch nicht beschönigen dürfe man die zunehmende Fremdenfeindlichkeit, „die wir seit langem kennen“.

Hinzugetreten seien nun fundamentalistische Strömungen. Junge Männer aus Deutschland seien im Namen des Islam in den Krieg gezogen. „Was für ein Missbrauch! Was für eine Pervertierung von Religion!“, sagt das Staatsoberhaupt. „Was ich zu Beginn meiner Präsidentschaft den Rechtsextremen zugerufen habe, rufe ich auch diesen Fanatikern und Terroristen zu: Wir schenken euch nicht unsere Angst. Euer Hass ist unser Ansporn.“

Es sind starke, schwere Sätze, die Gauck da in diesen Berliner Abend spricht. Es ist das, was seine Zuhörerschaft braucht in Zeiten von Pegida und AfD, in denen die Gewissheit einer demokratisch verfassten Gesellschaft Risse bekommt.

Warme Gesten

Ganz vorn auf der Bühne sitzt jene Frau, auf die in diesen Tagen alle schauen. Angela Merkel hat die Hände ineinander gelegt und hört aufmerksam zu. Ihre Jahre des politischen „Weiter so!“, des Aussitzens und Abwartens, sind gezählt. Sie weiß das. In Ostdeutschland wird Pegida von Extremisten unterwandert; die europafeindliche AfD ist in die Landtage eingezogen.

Deren Vorsitzender Bernd Lucke hat zur Genugtuung seiner Wähler gerade erklärt: „Der Islam ist Deutschland fremd.“ In der Bundespolitik werden nach den Anschlägen von Paris wieder Rufe nach einer Verschärfung der Sicherheitsgesetze laut. Gänzlich ungewohnt für sie hat Merkel in den letzten beiden Wochen klar Haltung gezeigt. Aber wird das reichen?

An diesem Abend vor dem Brandenburger Tor geht es um die Selbstvergewisserung der Demokraten. Um eine innere Verbindung, die hier hergestellt wird. „Wir alle sind Deutschland“, ruft Gauck seinen Zuhörern zu. Er will jetzt, dass diese Verbindung sichtbar wird. Alle auf der Bühne sollen sich unterhaken und auf diese Weise ihr Zusammenstehen für Demokratie zeigen. Es gibt ein bisschen Geschiebe und Gedränge da vorn – die Deutschen, sie haben es nicht so mit den warmen Gesten.

Doch es gelingt, das Bild unter dem grell erleuchteten Brandenburger Tor. Es steht für etwas, für ein Versprechen. Ob dieses Versprechen gehalten werden kann, wird sich noch erweisen müssen.

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