piwik no script img

Mindestlohn in DeutschlandNur 4,4 Prozent sind betroffen

Laut einer Studie profitieren vom Mindestlohn deutlich weniger Menschen als gedacht. Bundesweit ist das neue Gesetz nur für jeden achten Betrieb relevant.

Nur in wenigen Branchen wirkt sich der Mindestlohn auf Preise, Arbeitszeiten oder Arbeitsplätze aus. Bild: dpa

BERLIN rtr | Vom gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro profitieren nach Einschätzung von Arbeitsmarktforschern weitaus weniger Beschäftigte als angenommen. In Deutschland seien etwa 4,4 Prozent der Beschäftigten betroffen, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

Der Anteil liege wesentlich niedriger als bei früheren Schätzungen. Die bisher vom Bundesarbeitsministerium genannte Zahl, dass etwa 3,7 Millionen Beschäftigte vom Mindestlohn profitierten, sei „deutlich zu hoch“ gegriffen, sagte einer der Autoren der Studie, der Arbeitsökonom Lutz Bellmann.

Die Zahlen des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit (BA) beruhen auf einer jährlichen Befragung von etwa 16.000 Betrieben. Frühere Studien auf anderen Datengrundlagen waren davon ausgegangen, dass im Westen Deutschlands 13 Prozent der Beschäftigten und im Osten 20 Prozent vom Mindestlohn betroffen seien.

Das IAB sprach von einer „hohen Diskrepanz“ zu den eigenen Befunden. Dies sei unter anderem damit zu erklären, dass die IAB-Betriebsbefragung deutlich näher an der Einführung des Mindestlohns gelegen habe. In Erwartung des Mindestlohns hätten sieben Prozent der Betriebe ihre Löhne bereits vor dem Inkrafttreten am Jahresanfang 2015 angepasst.

Zudem seien Beschäftigte, für die Ausnahmen vom Mindestlohn gelten, wie etwa Lehrlinge, Praktikanten und Erntehelfer, in der IAB-Auswertung bereits ausgeklammert. Darüber hinaus würden Betriebe, die ausschließlich Minijobber beschäftigten, von der Befragung nicht erfasst. Auch für sie gilt aber der Mindestlohn.

Gastgewerbe besonders betroffen

Dies hat auch Bedeutung für die von manchen Wissenschaftlern erwarteten Arbeitsplatzverluste. „Die Anpassungsreaktionen werden in der Masse nicht so breit ausfallen“, sagte Bellmann zu Reuters. Anders sei dies für besonders betroffene Branchen wie das Gastgewerbe, die Bereiche Verkehr und Logistik sowie bei Nahrungs- und Genussmitteln.

In den 20 bis 30 Prozent vom Mindestlohn betroffenen Betrieben dieser Branchen hätten Mitte 2014 mehr als die Hälfte der Beschäftigten weniger als 8,50 Euro in der Stunde verdient. Je höher der Anteil der Betroffenen, desto wahrscheinlicher ist es den Forschern zufolge, dass der Betrieb als Anpassung an den Mindestlohn Arbeitszeiten verändert, seine Preise anhebt oder Arbeitsplätze abbaut.

Bundesweit ist demnach jeder achte Betrieb (zwölf Prozent) vom Mindestlohn betroffen. Regional sei dies unterschiedlich: In Sachsen etwa hätten 32 Prozent der Betriebe 2014 mindestens einen Mitarbeiter für weniger als 8,50 Euro beschäftigt. In Baden-Württemberg habe der Anteil weniger als sieben Prozent betragen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Laut der vormaligen Arbeitsministerin, U. v. d. Leyen, bedarf es 35-Vollzeitarbeitsjahre und einen durchschnittlichen monatlichen Brutto-Arbeitslohn von 2.500 Euro, um eine Armutsrente in Höhe der Sozialhilfe (ca. 710 Euro) zu erhalten. Bereits damit liegt der durchschnittliche Stundenlohn bei ca. 15 Euro brutto. Frauen in Westdeutschland erreichen z. Z. eine durchschnittliche Lebensarbeitszeit für die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) von etwa 30/32 Jahre. Sie liegen im GRV-Durchschnitt deutlich unterhalb der Sozialhilfe bzw. Grundsicherung im Alter. Männer in Westdeutschland erreichen etwa 37/38 GRV-Jahre. Auf der Grundlage des Mini-Mindestlohnes müsste Mann/Frau ca. 55 Jahre in Vollzeit arbeiten, ohne Fehlzeiten, um eine eigenständige Gesetzliche Rente in Höhe der Sozialhilfe zu erhalten.

     

    Diese asozialen staatlichen Schweinereien in der realen Reichtumsgesellschaft wurden im Kapital-, Wirtschafts-, Profit-, Dividenden-, Vorstands- und Monopolinteresse von der SPD-DGB-Führung umgesetzt, dafür bedurfte es nicht der Quandtschen CDU/FDP/CSU. Aufgrund der allgemeinen Reduzierung des Rentenniveaus kann man bereits heute davon ausgehen, dass eine große Mehrheit der werktätigen Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten sich in der Sozialhilfe im Alter befindet.

     

    Merke: Der Arbeitslosenverband Deutschland e. V. hatte bereits im Jahr 2005, also vor zehn Jahren, einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro gefordert. Heute wäre demnach der gesetzliche allgemeinverbindliche Mindestlohn bereits bei 13 Euro-Std. brutto. Berücksichtigen wir diese Tatsache, so befinden sich alle Erwerbstätigen mit Arbeitslöhnen unterhalb von 13-Euro-Std. im Armutslohn. Zugleich würde sich damit die Anzahl der Armutslöhner/innen um mehrere Millionen erhöhen!

     

    Wer künftig nicht in der Sozialhilfe landen möchte, der muss schon heute für einen Arbeitslohn deutlich über 15 Euro-Std. kämpfen!

  • Leiharbeiter haben tariflich eine 35 Stundenwoche. Bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro macht das im März bei 21 Arbeitstagen ein Brutto von 1249,50 Euro. Bei Lohnsteuerklasse 1/0 sind das 948,23 Euro netto, also rund 100 Euro unter der Pfändungsfreigrenze, welche ein "bescheidenes Leben" ermöglichen soll.

     

    Danke, du "soziale" SPD, dass du dich auf diesen "Erfolg" ausruhst!

    • @John Doe:

      Die SPD frisst Leute wie Sie zum Frühstück. Danach herrscht Totenstille - Bis auf ein lautes Bäuerchen der geliebten Genossen...

      • @amigo:

        Ich weiß, die SPD hat sich doch längst als rote CDU und Merkels Apendix gemütlich gemacht.

  • Na wenn die Betriebe vorsorglich in Erwartung des neuen Gesetzes den Lohn angehoben haben, sollte man sie auch mit dazu zählen. Sie hätten den Lohn ja nicht angehoben, wenn sie nicht (perspektivisch) dazu genötigt worden wären.

  • Der €8,50 Mindestlohn war von Anfang nicht zu Ende gedacht und mit krassen Ausnahmeregelungen überzogen. Die SPD brauchte diese €8,50 als Aushängeschild für ihre soziale Orientierung, in Wirklichkeit bewirken diese €8,50 viel zu wenig und betreffen offenkundig auch zu wenig Menschen, d.h. dieser Mindeslohnt hat eine Miniwirkung. Die allerdings schon mal heftig attakiert und kritisiert wurde. Wer wirklich für dieses Entgelt 8 Stunden und 40 Wochenstunden arbeiten gehen muss, bleibt eindeutig armutgefährdet, kann nicht für die Rente vorsorgen und steht mit einem Bein in großen Problemen, weil bei solchen Löhnen kaum Ersparnisse möglich sind.

  • Das ist doch poisitv, oder ist müssen 100% vom Mindestlohn profitieren damit er ein erfolg ist?

  • Na, das nenn ich doch mal ne Logik. Weil viele Betriebe schon zum Januar 2015 "selbstständig" oder besser noch "freiwillig" den Lohn erhöht haben, bringt der Mindestlohn ja gar nix! Ich hätte da eine ebenso niveauvolle Milchmädchenrechnung - wenn 7% der Betriebe erhöht haben und wir von einer Gleichverteilung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausgehen, profitierten davon 3,15 Millionen Menschen -fehlen nur noch 0,55 Millionen zu den avisierten 3,7 Millionen.

  • wieso kriegen zeitungausträger keinen mindestlohn-upps-da frag ich wohl die falschen

  • Genau so war es gedacht. Nicht "weniger als gedacht".