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Reparationszahlungen für Griechenland332 Milliarden oder nichts?

Was muss Deutschland für die Besatzung Griechenlands in der NS-Zeit noch zahlen? Im Streit darum werden drei Fragen vermengt. Eine Handreichung.

Da grinst der deutsche Soldat: Distomo, kurz nach dem SS-Massaker am 10. Juni 1944. Bild: dpa

Die Ablehnung in Deutschland gegen Entschädigungszahlungen an Griechenland sinkt. Anfangs wurden entsprechende Forderungen als bloßes griechisches Manöver im Kampf gegen europäische Sparvorgaben und zur Linderung der eigenen Geldprobleme abgetan. Inzwischen erkennt man aber auch hierzulande, dass das Anliegen der Griechen ernst genommen werden muss.

„Weder moralisch noch juristisch ist dieses Kapitel eindeutig abgeschlossen“, mahnte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter in der vergangenen Woche. Auch SPD-Vize Ralf Stegner glaubt, „dass wir die Entschädigungsdiskussion führen müssen“. Die zweifache SPD-Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl, Gesine Schwan, hat eine „Stiftung zur Aufarbeitung und Versöhnung“ vorgeschlagen – nach dem Vorbild der Stiftung zur Entschädigung osteuropäischer Zwangsarbeiter.

Allerdings werden bei der Diskussion oft drei Fragen vermengt. Es geht erstens um Reparationen für den griechischen Staat, zweitens um die Rückzahlung einer Zwangsanleihe und drittens um individuelle Forderungen griechischer Opferangehöriger.

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Die Reparationen: Verträge und Interpretation

Während der Besatzung von 1941 bis 1944 haben deutsche Soldaten und SS-Einheiten zahlreiche Massaker an Unschuldigen begangen, die griechische Wirtschaft ausgeplündert und das Land zerstört zurückgelassen. Deutschland hält die Reparationsfrage „für rechtlich und politisch abgeschlossen“.

Viel erhalten hat Griechenland bisher nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Alliierten in Deutschland zwar Industrieanlagen demontiert, außerdem wurde deutsches Auslandsvermögen beschlagnahmt. Griechenland erhielt dabei nach Angaben von Historikern Güter und Anlagen im Wert von etwa 25 Millionen Dollar. Außerdem zahlte Deutschland aufgrund eines Abkommens von 1960 weitere 115 Millionen Mark an Opfer spezifischer NS-Verfolgung, insbesondere griechische Juden.

Sonstige Reparationsansprüche gegen Deutschland wurden im Londoner Schuldenabkommen 1953 „bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage“ vertagt, womit ein Friedensvertrag mit einem wiedervereinigten Deutschland gemeint war.

Einen solchen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht. 1990 schlossen die Bundesrepublik, die DDR und die alliierten Siegermächte (USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich) den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Darin wurde die Wiedervereinigung abgesegnet und die deutsche Souveränität wiederhergestellt. Der Vertrag wurde absichtlich nicht als „Friedensvertrag“ bezeichnet, um nicht die Forderung nach Reparationen zu wecken. Nach deutscher Lesart wurde damals die Reparationsfrage durch Nichterwähnung endgültig geklärt.

Griechenland hat den Zwei-plus-Vier-Vertrag zwar nicht unterzeichnet, aber mit anderen Staaten im November 1990 die „Charta von Paris“ abgeschlossen, die unter anderem „mit großer Genugtuung Kenntnis“ vom Zwei-plus-Vier-Vertrag nimmt. Damit hätten auch Staaten wie Griechenland auf weitere Reparationen verzichtet, so die deutsche Lesart. Ein ausdrücklicher Verzicht ist im Vertrag jedoch nicht zu finden. Ein griechischer Parlamentsausschuss bereitet derzeit Verhandlungen mit Deutschland vor, indem er die Schäden zusammenstellt. Nach einem jüngst bekannt gewordenen Gutachten könnten bis zu 332 Milliarden Euro geltend gemacht werden – etwas mehr als der aktuelle griechische Schuldenstand.

Der Abschluss eines Vertrags über Reparationen kann juristisch allerdings nicht erzwungen werden. Siebzig Jahre nach Kriegsende ist die Verhandlungsposition Griechenlands deshalb nicht allzu gut. Andererseits erklärt Deutschland die Diskussion wohl auch deshalb so vehement für beendet, weil man nicht genügend Argumente hat, um das jahrzehntelang geschickte Vermeiden von Reparationen moralisch zu begründen.

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Die Zwangsanleihe: 476 Millionen Reichsmark

1942 wurde Griechenland gezwungen, dem Deutschen Reich eine Zwangsanleihe zu gewähren. Bei Kriegsende waren davon noch 476 Millionen Reichsmark offen. Diese Summe wurde nie zurückgezahlt. Deutschland rechnet die Zwangsanleihe zum Besatzungsunrecht und sieht die griechischen Ansprüche als genauso erledigt an wie die anderen Reparationsforderungen.

Griechenland betont dagegen den vertraglichen Charakter der Anleihe, die auf jeden Fall zurückgezahlt werden müsse. Mit Zinsen und Zinseszinsen schätzt eine griechische Expertenkommission den Wert der Anleihe heute auf 11 Milliarden Euro.

Wenn Griechenland die Anleihe als normalen Geschäftsvorgang behandeln will, müsste allerdings berücksichtigt werden, dass im damaligen Vertrag Zinsen ausdrücklich ausgeschlossen wurden.

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Individuelle Klagen: Distomo und Kalavrita

Individuelle Klagen gegen Deutschland seien unzulässig, sagt die Bundesregierung. Opferangehörige der deutschen Massaker von Distomo und Kalavrita haben Deutschland trotzdem verklagt und verlangen individuell Schadensersatz. Deutschland erkennt das Unrecht zwar an, will aber nicht zahlen. Nach einem Krieg müssten Reparationen vereinbart werden, dafür sei es jetzt aber zu spät.

taz am Wochenende

Die Männer vom Islamischen Staat sind Bestien, oder? Unsere Autorin berichtet seit vier Jahren aus Syrien und sieht das anders. Warum, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. März 2015. Außerdem: Manche Impfgegner bezweifeln, dass es Masern überhaupt gibt. Wir haben einige der schärfsten Kritiker besucht. Und: Martin Walser wird 88 Jahre alt. Ein großer Romancier, bei uns mal ganz knapp und präzise im Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Die Klagen in Deutschland blieben erfolglos. Privatpersonen können keine völkerrechtlichen Reparationsansprüche einklagen, so der Bundesgerichtshof 2003 und das Bundesverfassungsgericht 2006. Theoretisch wären Amtshaftungsansprüche gegen Deutschland möglich, griechische Kläger könnten sich hierauf aber nicht berufen, so die deutschen Gerichte.

In Griechenland waren Prozesse der gleichen Kläger zunächst erfolgreich. Im Jahr 2000 entschied der Aeropag, das oberste griechische Zivil- und Strafgericht, dass Deutschland den Angehörigen von Distomo umgerechnet 28 Millionen Euro Schadensersatz zahlen muss. Das Urteil wurde letztlich nicht vollstreckt, weil der damalige griechische Justizminister die notwendige Zustimmung versagte.

Der aktuelle Justizminister Nikos Paraskevopoulos hat nun seine Zustimmung zur Beschlagnahme deutscher Güter wie dem Goethe-Institut in Athen in Aussicht gestellt. Diese würde sich auf das konkrete Urteil aus dem Jahr 2000 beziehen. Die um einige Dimensionen größeren Reparationsforderungen könnten auf diesem Weg nicht realisiert werden.

Juristisch ist die Vollstreckung des Urteils inzwischen generell verbaut. Schon 2002 hat das oberste griechische Sondergericht entschieden, dass solche Klagen generell unzulässig sind, weil sie gegen das Prinzip der Staatenimmunität verstoßen würden. Danach darf kein Staat über einen anderen Staat zu Gericht sitzen. Zehn Jahre später, 2012, hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Rechtstreit zwischen Deutschland und Italien die Staatenimmunität als völkerrechtliche Regel bestätigt.

Falls Griechenland trotzdem mit der Beschlagnahme deutscher Einrichtungen beginnt, würde es sich also über das Urteil eines UN-Gerichts hinwegsetzen. Juristisch ist die defensive deutsche Position damit sehr stark, seine moralische Position aber sehr schwach. Denn die Angehörigen der Opfer von Distomo und anderer Massaker wurden nie entschädigt. Insbesondere hier könnte eine Stiftung hilfreich sein.

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18 Kommentare

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  • Schland muß blechen.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Die Römer haben 60 v. Chr. nichts verwüstet in Germanien, Winter. Sie haben in Germanien allerdings überhaupt erst Städte gegründet, wofür wir bis heute dankbar sein sollten: Xanten, Köln, Speyer, Worms, Kempten, Regensburg, Bonn, Neuss, Koblenz, Mainz und Trier, zB. Wäre der beknackte Cherusker nicht gewesen, wer weiss wie gut es auch dem rechtsrheinischen Germanien bekommen wäre, schon früher ein wenig zivilisiert worden zu sein...

    • @60440 (Profil gelöscht):

      Kölle - ok -

      aber Bonn an der Schranke¿

      noch dazu im Winter!

  • Ich finde auch dass die Griechen entschädigt werden sollten. Das Geld können wir uns ja von Italien wiederholen, schließlich haben die 60 v. Chr. halb Germaninen verwüstet ohne jemals Reperation zu leisten. Mit zins und Zinseszins geht das in die Fantastilliarden.

    • @winter:

      Immerhin haben die Römer, das Bad, die Toilette und sanitäre Anlagen eingeführt.... wenn auch nur südlich des Limes....

    • @winter:

      Was haben die Germanen mit der BRD zu tun?

       

      Die BRD ist allerdings Rechtsnachfolger vom dritten Reich.

      • @Age Krüger:

        Nein, das ist die Bundesrepublik Deutschland nicht.

        (Quelle für Laien: http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtslage_Deutschlands_nach_1945)

        Über Aspekte der Rechtstheorie und des internationalen Rechts sollten sich Laien besser nicht äußern.

        • @Saccharomyces cerevisiae:

          Ja ja - Zucker und Bier -

           

          da brauchts gar nicht eins von den dreizig;

          was immer da bei wiki stehen mag -

          aber wenn mich meine von Anfang an dabei Erinnerungen nicht ganz schwer täuschen - war die Reichskontinuität _

          gewiß immer da wos nicht inkommodierte - durchgängiger Tenor und nicht nur jeder Sonntagsrede.

           

          Aus ganz naheliegenden Gründen -

        • @Saccharomyces cerevisiae:

          Jawoll, Deutschland hat (ab Mai 1949) eigentlich gar nix gemacht.

  • Gute Übersicht. Danke.

    Bei den genannten Beträgen ($25mio Reparationsleistungen und DM115mio Entschädigung) muss man berücksichtigen, dass die 1945 und 1959/60 gezahlt wurden. Die Beträge wirken mikrig. Man muss die aber auf die Kaufkraft von damals beziehen. Die Entschädigung von entspricht heute etwa €1.5mrd bezogen auf das Durchschnittseinkommen. Da war auch explizit die Entschädigung von individuellen Opfern abgeglichen - mit Zustimmung der damaligen griechischen Regierung. Ich finde, das man nicht zweimal zahlen muss. Hier müssen die griechischen Opfer ihre eigene Regierung fragen, wass den mit dem Geld damals geschehen ist.

     

    Die Frage der Reparationsforderungen ist aus meiner Sicht auch abgeschlossen. Es war Konsenz zwischen den Siegermächten nach dem Krieg, dass man nicht die Fehler von Versailles wiederholen wollte. Das war das Fundament für die Friedensordnung in Westeuropa und Kernbestandteil der europäischen Idee. Ich finde es unredlich, diese Rechnung nach 70 Jahren neu aufzurollen. Weitere Reparationen - nein.

     

    Zwangskredit - da kann muss man sicherlich noch einmal reinschauen. Interessant der Hinweis in dem Artikel, dass der Vertrag Zinsen ausgeschlossen sind. Dann zahlen wir die Schulden ohne Zinsen zurück. Damit ist der Vertrag erfüllt. Außerdem: Das Problem der griechischen Finanzen wäre doch selbst dann nicht gelöst, wenn wir den Kredit mit Zinseszinsen (~€10mrd) zurückzahlen würden.

     

    Wir uns in Europa (Griechen, Deutsche und alle anderen europäischen Partner) der eigentlichen Frage widmen: Wie bekommt man die griechische Wirtschaft wieder auf Kurs?

  • Schäubles harte Haltung und sein bestimmtes Auftreten erweisen sich als Bumerang.

    Da hat Deutschland seine Nase zu weit in einen Konflikt zwischen EU und Griechenland hineingesteckt...

     

    Die anderen EU-Staaten lachen sich in Fäustchen.... zu Recht....

    • @robby:

      nicht DEutschland sondern der unfähige Haufen der sich deutsche Regierung nent!

  • Wir sollen unsere Schulden bezahlen? Ja aber ... !!!

  • Höhe und Umfang der Reparationszahlungen an Griechenland wurden bereits 1946 im Pariser Reparationsabkommen abschließend festgelegt. Nur weil keine Zeitung in Deutschland von diesem Abkommen berichtet, heißt ja nicht, dass es dieses Abkommen nicht gegeben hätte, sondern zeigt nur, dass viele Journalisten unter Recherche oft Abschreiben von anderen Journalisten verstehen.

    Die Formulierung aus dem Londoner Schuldenabkommen von 1953 wird oft falsch zitiert, dort wird lediglich von einer "endgültigen Regelung der Reparationsfrage" gesprochen, aber nicht von einem zu schließenden Friedensvertrag. Der Hintergrund dieser Regelung war, dass die Regelungen des Pariser Reparationsabkommens von den alliierten Stellen, aber auch den griechenischen Stellen nur unzureichend umgesetzt wurden, so dass 1953 noch nicht alle Ansprüche befriedigt waren.

    Rein rechtlich betrachtet, hat Griechenland Ansprüche nur gegen die Interalliierte Reparationsagentur. Das Deutsche Reich hat 1945 bedingslos kapituliert und die Staatsgewalt an die Allliierten übergeben. Die BRD ist eine staatliche Neugründung, die sich 1953 in London bereiterklärt hat, den in dem Abkommen festgelegten Teil der Schulden des Deutschen Reiches zu übernehmen, nicht mehr und nicht weniger. Da sich die BRD nie im Krieg mit Griechenland befunden hat, gibt es keinerlei Basis für Reparationsforderungen gegen die BRD. Die berechtigten Forderungen gegen das Deutsche Reich wurden bereits geregelt (Pariser Abkommen, s.o.).

    Etwas völlig anderes sind die möglichen moralischen Verpflichtungen, das ist dann aber eine politische Frage, die auch politisch diskutiert und entschieden werden muss.

    • @hallersharry:

      Sorry - das riecht doch sehr nach

      Hurry-Harry -

       

      aber so abenteurlich wird ja nicht einmal in Welt&FAZ geklittert;

      pacta sund servanda -

      mit dieser - der - Grundlage des

      Völkerrechts spielten/spielen

      BRD/'schland seit jeher ganz kackfrech offen - Fußball;

      auch Angie verbreitet dieserhalb blühenden interessengeleiteten Unsinn;

      und unser FDJ-Winkelement weiß das ganz genau -

      warum denn anders hat sie PfannenSilvio dazu unlängst bekniet -

      die Gesetze zu ändern, um eine Vollstreckung in deutsches Vermögen in Italien zu verhindern;

      Mit dem ehem. Verfassungsrichter

      &Präsi Mararella - wird ein da capo

      schwerlich gelingen.

      • @Lowandorder:

        Ich empfehle ein Antivomitivum, muss ja nicht von Bayer sein ;)

        • @hallersharry:

          Im Lederstrumpf hieß das irgendwie anders -

           

          egal - Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie bitte Ihren Arzt oder Apotheker.

  • Sorry - Herr Rath -

     

    bzgl

    Individuelle Klagen: Distomo und Kalavrita

     

    sind Sie nicht auf Höhe des Balles -

    der für die Verfahren bzgl Distomo

    und der parallelen Verfahren in Italien

    beauftragte und via IGH tätige

    RA Dr. Joachim Lau hat das im Einzelnen in einem

    Offenen Brief an Herrn Gauck dargelegt.

    Dem ist nichts hinzuzufügen.

    siehe dort:

     

    http://tazelwurm.de/offener-brief-an-den-herren-bundespraesident-gauck-rechtsanwalt-avvocato-dr-joachim-lau-50122-firenze-via-delle-farine-2/

     

    zzgl. weiterer Ausführungen zu Vollstreckung etc.

    sowie Reperationen, Londoner Schuldenabkommen usw.