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„Der Industrie helfen“

„Wer zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik einen Gegensatz konstruiert, ist nicht auf Ballhöhe“

INTERVIEW HANNES KOCH UND NICK REIMER

taz: Von einem Thema noch einmal so „angefasst“ zu werden, wie jetzt von der Umweltpolitik – damit hätten Sie nicht gerechnet, sagten Sie kürzlich. Fanden Sie Ihre Tätigkeit vorher langweilig?

Sigmar Gabriel: Ganz und gar nicht. Aber am Beginn eines politischen Weges stehen oft die existenziellen Fragen. Später dann, in der Verwaltung, müssen Sie sich um die Tempo-30-Zonen kümmern. Ich will das nicht klein reden, aber abends beim Rotwein treffen Sie sich doch mit Ihren alten Freunden und erzählen von der Änderung der Verhältnisse im Großen. Nun habe ich die Chance, mich noch einmal mit den wirklich wichtigen Dingen zu beschäftigen.

War Ihnen Ihre eigene politische Botschaft abhanden gekommen?

Hartmut von Hentig, ein großer deutscher Pädagoge, hat einmal gesagt, die Aufgabe der Pädagogen in der Schule sei „Menschen stärken, Sachen klären“. Erst Menschen stärken und dann Sachen klären. Das ist auch ein gutes Motto für die Politik, aber sie entwickelt manchmal den Hang, nur noch Sachen zu klären. Und verliert dabei aus den Augen, dass es im Kern darum geht, Menschen zu unterstützen.

Was können Sie als Umweltminister tun, um Menschen zu stärken?

Wir sollten dafür sorgen, dass unsere Enkelkinder noch an der Nordseeküste leben können oder dass sie in den Alpen noch Gletscher vorfinden. Beides wird nicht der Fall sein, wenn wir beim Klimaschutz versagen. Wenn wir die erneuerbaren Energien fördern und die Technik nach Afrika exportieren, helfen wir Menschen, in ihren Heimatregionen zu bleiben. Und nicht ständig in die Megastädte zu flüchten, weil es nur dort eine Chance auf etwas Wohlstand gibt.

Im Gegensatz zu Ihrem grünen Vorgänger reden Sie dauernd über die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Das könnte so auch in den Redetexten der Industrieverbände stehen.

Ich bitte Sie! Wer heute noch einen Gegensatz zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik konstruieren will, ist nicht mehr auf Ballhöhe. Wir werden auf Dauer keine erfolgreiche Wirtschaftspolitik ohne erfolgreichen Klimaschutz betreiben können. Und umgekehrt. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Sie können aus der Atomkraft aussteigen, aber nicht aus der Wettbewerbswirtschaft.

Wir möchten ein Dreiliterauto zu einem vernünftigen Preis kaufen, aber die deutschen Unternehmen bieten keines an. Gibt es nicht ökologisch sinnvolle Projekte, denen sich die Wirtschaft aus einer kurzfristigen Gewinnlogik heraus verweigert?

Dann muss der Umweltminister Mechanismen entwickeln, die Anreize für ökologische Innovationen bieten und gleichzeitig den Unternehmen langfristig Gewinne bescheren. Wenn wir dafür sorgen, dass pro produzierter Einheit die eingesetzte Energie endlich deutlich abnimmt, dann werden wir ein Standort sein, an dem man gerne investiert. Ich glaube, das ist eine kluge Strategie, die dem Klimaschutz hilft, die den Menschen hilft und den Unternehmen nützt.

Die chinesische Regierung hat Obergrenzen für den Benzinverbrauch von Autos festgelegt. Japan plant ähnliches, auch Kanada und Kalifornien. Was halten Sie von solchen Grenzwerten für Motoren?

Wir müssen hier in der Tat darüber reden, wie wir die Klimaschutzziele erreichen. Es ist mir zwar lieber, wenn die Autohersteller aus eigener Motivation und Verpflichtung den Verbrauch senken. Aber wenn man den Eindruck gewinnt, das schaffen die nicht, dann muss ihnen der Staat mit solchen Obergrenzen helfen.

Für den Treibstoffverbrauch von Kraftfahrzeugen oder auch für den Ausstoß von Schadstoffen?

Für beides. Ich habe aber die Hoffnung, dass das ohne gesetzgeberische Maßnahmen gelingt. Die Industrie öffnet sich. Die Autokonzerne werden die Motoren so modernisieren, dass sie einen höheren Anteil an Biokraftstoffen vertragen. Denn sonst werden die Hersteller die europäischen Schadstoffgrenzwerte, die bereits festgelegt sind, nicht erreichen. VW hat gerade ein Joint-Venture zur Herstellung von Ethanol beschlossen – ein Schritt auf diesem Weg. Da ist Dynamik drin.

Der Trick mit dem Biosprit verhindert aber gerade die dringend notwendige Entwicklung von Benzinmotoren mit wenig Verbrauch und Abgasen. Haben Sie sich persönlich für dieses Interesse der Automobilkonzerne eingesetzt, als Sie im Jahr 2003 im Auftrag von VW bei der EU in Brüssel aktiv waren?

Meine frühere private Tätigkeit, bevor ich das Amt des Umweltministers angetreten habe, geht Sie – mit Verlaub – nichts an. Außer vielleicht mit dem Hinweis, dass es der Umweltpolitik nicht schadet, wenn man auch die andere Seite kennt.

Geht es die Öffentlichkeit auch dann nichts an, wenn sich die Grünen im Bundestag schon fragen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen Ihrer Arbeit für VW und dem Ziel der großen Koalition, dass mehr Biosprit in Benzinmotoren verwendet wird?

Da gibt es keinen Zusammenhang.

Wer ist denn auf die Idee gekommen, die stärkere Beimischung von Biokraftstoffen zum normalen Benzin in die Koalitionsvereinbarung aufzunehmen?

Da waren sich Union und SPD völlig einig. Entscheidend ist, wie wir den Ausstoß von Schadstoffen reduzieren. Hauptsache, es passiert.

Am besten sollten die Autokonzerne doch beides tun – sowohl sparsame und schadstoffarme Benzinmotoren entwickeln, als auch mehr Biokraftstoff einsetzen?

Völlig richtig. Die Autokonzerne müssen sich überlegen, wer ihre Autos später noch kaufen kann, wenn sie soviel teuren Sprit verbrauchen. Soll Autofahren nur noch ein Luxus für Wohlhabende sein? Das würde den Kreis der Käufer erheblich einschränken. Außerdem lassen sich Fahrzeuge mit hohem Verbrauch irgendwann auf dem Weltmarkt nicht mehr absetzen. Die deutsche Automobilindustrie sollte von der kurzen auf die lange Perspektive umschalten.

Eigentlich müssten in dieser Legislaturperiode bis 2009 vier Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Wir prognostizieren, dass drei weiterlaufen und nur Biblis A in Hessen stillgelegt wird. Kann man das noch als Atomausstieg bezeichnen?

Im Gegensatz zu Ihnen besitze ich keine Glaskugel. Sondern ich schaue ins Gesetz und stelle fest, dass bei durchschnittlicher Stromproduktion in dieser Periode vier Kernkraftwerke auslaufen. Ich weiß aber auch, dass die Betreiber die Laufzeit strecken können, indem sie die Produktion drosseln.

„Die Hersteller müssen sich überlegen, wer ihre Autos kaufen kann, wenn sie so viel Sprit verbrauchen“

Der Stromkonzern EnBW will den Antrag stellen, dass sein AKW Nestarwestheim 1 weiterlaufen darf. Werden Sie das genehmigen?

Offiziell hat mir bisher niemand etwas mitgeteilt. Der Presse entnehme ich, dass es ein Interesse geben soll, bestimmte Kraftwerke länger am Netz zu halten, indem genehmigte Strommengen von einer auf eine andere Anlage übertragen werden. Wir müssen uns dabei einfach an das Atomgesetz halten. Da steht drin, dass die Übertragung von Laufzeiten in der Regel von älteren auf neuere Kraftwerke erfolgt, und zwar aus Sicherheitsgründen. Nur im Ausnahmefall kann es umgekehrt gehen.

Also darf es Ausnahmen geben?

So steht es doch im Gesetz. Auch unter Rot-Grün hat es bereits eine Ausnahme gegeben – im Falle des Kraftwerks Obrigheim. Als Chef einer Behörde müsste ich einen solchen Antrag prüfen und kann nicht einfach sagen, das geht nicht. Da könnte man mir zu Recht einen Verfahrensfehler vorwerfen. Was ich aber politisch sage, ist, dass ich keinen Grund kenne, warum man ein älteres Kraftwerk mit einer weniger optimierten Sicherheitstechnik länger laufen lassen sollte als eine jüngere Anlage mit einer besseren Sicherheitstechnik.

Werden Sie der erste deutsche Umweltminister ohne Macht sein?

Wie kommen Sie denn darauf?

Union und SPD wollen die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu regeln. Die Bundesländer sollen dabei die Möglichkeit bekommen, zentrale Umweltgesetze des Bundes nach ihren Bedürfnissen zu ändern.

Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wenn es nicht Korrekturen an der geplanten Reform des Föderalismus gibt, wird die Bundesregierung ein wichtiges Ziel, nämlich den Abbau unnötiger Bürokratie, nicht erreichen. Es könnte dann passieren, dass etwa eine Industrieanlage, die ein Unternehmen in Hamburg beantragt, in Hessen noch einmal geprüft würde. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Wir brauchen ein integriertes Verfahren: ein Projekt, einen Antrag, eine Behörde!

Mitarbeit: Mirjam Meinhardt

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