: Die Musealisierung des Sakralen
DIE NEUE ALTSTADT Wer sich auf historische Architektur beruft, hat oft ganz gegenwärtige Interessen – so auch im Fall der sanierten Nikolaikirche
Die Nikolaikirche wurde am 23. März als Teil der Stiftung Stadtmuseum wiedereröffnet. Nach zweijähriger Sanierung des ältesten Kirchenbaus Berlins zeigt die neue Ausstellung sieben „Themeninseln“: von der frühen Berliner Stadtgeschichte über liturgisches Gerät, den nur fragmentarisch erhaltenen, barocken Altar, die Kirchenlieder des Predigers Paul Gerhardt bis zur Begräbniskultur, da sich in der Kirche auch zahlreiche Gräber Berliner Bürger befinden.
VON RONALD BERG
In einer Zeit, da abgerissene Schlösser wieder aufgebaut werden, und an einem Ort, der wie Berlin über keine historische Stadtmitte mehr verfügt, ist die Eröffnung einer originalen mittelalterlichen Kirche natürlich ein von vielen freudig begrüßtes Ereignis. Kritik in den Feuilletons anlässlich der Wiedereröffnung der frisch renovierten Nikolaikirche war nicht zu hören, schon gar nicht bei Funk und Fernsehen. Freude also allenthalben am Eröffnungstag auch bei den tausenden von Besuchern über ein Stück Alt-Berlin und die Erwartung, dass der als Museum genutzte Kirchenbau noch mehr Touristen anlocken möge als früher. Anders als bis zur Schließung vor zwei Jahren wird man nun aber fünf Euro Eintritt zahlen müssen.
Bau- und Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer erklärte zur 3,2 Millionen teuren Sanierung des Kirchenbaus aus Senatsmitteln, sie ordne sich „in den Rahmen der Rückgewinnung der historischen Altstadt“ ein. Muss man nun doch damit rechnen, dass auf den sozialistischen Magistralen rings um den Fernsehturm nun die „gotische Stadt“ wiederersteht, wie sich das der frühere Senatsbaudirektors Hans Stimmann wünscht? Die aktuellen Senatsplanungen sehen jedenfalls hinter der Nikolaikirche am Molkenmarkt und entlang der teils verschwenkten und verschmälerten Grunerstraße eine massive Neubebauung vor.
Mit dem von Stimmann vergötzten Stadtgrundriss einer authentischen Vergangenheit hat das zwar nichts zu tun, dafür aber wird hier öffentliches Land in Privatbesitz überführt. Die Nikolaikirche als Referenzpunkt einer angeblich guten alten Zeit dient dabei als Ankerpunkt für pseudohistorische Neuerfindungen – ähnlich wie beim Bau des Nikolaiviertels zu DDR-Zeiten. Man spricht von Geschichte und bedient ganz aktuelle Interessen. Dem Land Berlin würde die Privatisierung von Alt-Berlin Geld in die Kassen spülen.
Mit Geschichte hat das nur insofern zu tun, als es diese Art der Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert schon mal gab, inklusive Wohnungsnot und Massenelend in der größten Mietskasernenstadt der Welt. Ob Rekonstruktion oder Rückgewinnung, der Hang zur Unterwerfung unter vermeintliche Vorgaben aus der Geschichte ist nicht naturgesetzlich, er gründet auf Einstellungen und Interessen.
Deshalb muss ein Gebäude wie die Nikolaikirche, das sich hier als Museum seiner selbst präsentiert, mit Vermittlungskonzepten versehen werden, das seinen neuen, musealen wie seinen historischen Gebrauch – als Kirche, als Versammlungs- und Begräbnisort – mitbedenkt und vorführt. Bei genauerer Betrachtung ist Berlins ältestes Bauwerk nämlich auch eine Rekonstruktion. Seit Kriegsende bis in die Achtzigerjahre hinein standen nur noch die Außenmauern. Der in DDR-Zeiten neu aufgesetzte Dachstuhl aus Stahl war überhaupt ein wesentlicher Grund, warum der Bau nach nur zwei Jahrzehnten erneut saniert werden musste. Das Dach entpuppte sich nämlich als Selbstzerstörungsmechanismus für das Haus und sprengte die ebenfalls rekonstruierten Gewölbe.
Der Ästhetik des Innenraumes ist jetzt die zurückhaltende Sanierung der Architektin Christina Petersen übrigens sehr zugutegekommen. Die Anmutung einer Rumpelkammer ist einem lichten und aufgeräumten Raumeindruck gewichen. Die Touchscreens ordnen sich farblich ein, und weder die im Kirchenschiff verbliebenen Figuren vom zerstörten barocken Altar noch die neu eingebrachte Kanzel aus der Franziskaner-Klosterkirche drängen sich vor.
Doch stimmen auch die Inhalte, die sich in der neuen Dauerausstellung des Stadtmuseums vermitteln? Grund genug, einen Experten zu fragen. Antworten lieferte Professor Michael Fehr (siehe nebenstehendes Gespräch).
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