MARTIN KAUL ÜBER DAS RAMELOW-URTEIL: Die Stigmabehörde
Eins vorweg: Als Feindbild für linkssentimentale Heulereien eignet sich der Verfassungsschutz nicht. Seine politische Funktion ist klar umrissen: Er ist ein mit besonderen Gewaltbefugnissen ausgestattetes Staatsorgan, das mit undemokratischen Mitteln Demokratie gewähren soll. Vor diesem Hintergrund muss das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes eingeordnet werden, das es für legitim hält, die Linkspartei und ihren Politiker Bodo Ramelow – ohne Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel – „offen zu beobachten“. Jetzt die Preisfrage: Warum regen sich nun Gott und die Welt darüber auf, dass der Verfassungsschutz Zeitungsartikel ausschnibbeln und Flugblätter sammeln darf, um sie auszuwerten?
Nichts anderes tun JournalistInnen und Bundesbehörden, ZeitungsleserInnen und PolitikerInnen wie Bodo Ramelow täglich. Wenn es also angeblich nur darum geht, qualitative Presseauswertung zu betreiben, ist doch zu fragen: Wieso werden eigentlich nicht ganz selbstverständlich alle Parteien daraufhin überprüft, ob ihr Sarrazin verfassungsfeindliche, weil rassistische Theorien verbreitet oder wie demokratieschädlich es ist, wenn ein CDU-Fraktionsmitglied im Berliner Abgeordnetenhaus den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders zur Strategiebesprechung lädt?
Nun die Antwort: Die politische Funktion des Verfassungsschutzes beruht eben nicht nur auf der Informationsbeschaffung, sondern auch auf seiner Stigmatisierungsstärke: Namensnennung im Verfassungschutzbericht – ab in die Schmuddelecke.
Wer das Urteil gegen die Linke einordnen will, muss also nicht fragen, ob die Verhältnismäßigkeit im Fall Ramelow gewahrt ist, sondern mit welchem Maß der unkontrollierbare Verfassungsschutz überhaupt misst. Vor diesem Hintergrund ist es erschütternd, wenn das Bundesverwaltungsgericht antidemokratische Streicheleinheiten verteilt, statt Aufklärung zu betreiben. Von solchen Richtern will man nicht gestreichelt werden.
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