piwik no script img

„Die Falle Reichshauptstadt“

Um Aufmerksamkeit zu erlangen, skandalisiert sich die NPD zunehmend selbst – und die Medien fallen drauf rein. Der Verfassungsschützer Guido Selzner über die neuen Strategien der Rechten

taz: Herr Selzner, Fachleute werten die jüngsten Wahlerfolge der NPD unter anderem als Ergebnis einer zunehmenden Professionalisierung dieser Partei. Haben die Rechtsextremen auch im Umgang mit den Medien dazugelernt?

Guido Selzner: Ob es der NPD wirklich gelingt, professionell aufzutreten, darüber kann man streiten. Aber sicher verstehen es Rechtsextreme inzwischen, geschickter mit den Massenmedien umzugehen.

Was machen die Rechtsextremen anders als früher?

Sie haben begriffen, dass die Massenmedien ihnen nicht den Gefallen tun, eins zu eins ihre Botschaften an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Auf diese Verweigerungshaltung reagieren die Rechtsextremen inzwischen mit eigenen Strategien. Sie provozieren, um auf diesem Weg in die Medien zu kommen. Teilweise skandalisieren sie sich sogar selbst. Am Beispiel der NPD lässt sich das gut beobachten: Sie spricht vom „Bombenholocaust“ oder von Berlin als „Reichshauptstadt“. Und sie weiß: So weckt sie das Medieninteresse.

Viele Redaktionen sehen sich in der Pflicht, gerade über diese Vorfälle zu berichten – um den Charakter der NPD zu verdeutlichen. Ist das also falsch?

Ich würde mir manchmal mehr Sachauseinandersetzung wünschen. Das heißt, wenn Rechtsextreme provozieren, nicht immer gleich die Empörung transportieren oder einfach ausblenden, sondern in die Tiefe gehen: Wie sieht eigentlich das Sachprogramm von Rechtsextremen aus? Medien sind schnell bereit, das Spektrum der Vorwürfe auf Rassismus und Neonazismus zu verengen und Rechtsextreme aus dem Dialog auszublenden.

Eine bewusste Provokation war die Ankündigung der NPD, ihren Berliner Parteitag im November 2006 in der „Reichshauptstadt“ zu veranstalten. Viele Medien haben darüber groß berichtet. Sind sie damit in eine Falle getappt?

Ja, zum Teil schon. Man hat der NPD ein Forum geboten für Botschaften, die diese Aufmerksamkeit gar nicht verdienen.

Rechte fordern eine Halle in Berlin und stoßen auf breiten Protest – glauben Sie wirklich, dass die NPD davon profitiert?

Was aus unserer Sicht eine negative Nachricht ist, muss für Extremisten noch lange keine sein. Mit dem Begriff „Reichshauptstadt“ verbinden sich Bilder aus dem Dritten Reich. Die NPD spricht das nicht offen aus, sie platziert nur das Wort „Reichshauptstadt“. Und sie weiß: Hier wird die Empörung von Politikern und Journalisten einsetzen. Allein dieses Wort sichert der NPD eine breite mediale Präsenz.

Aber wie sollen Journalisten denn mit solchen Parolen umgehen? Ignorieren? Sich darüber lustig machen?

Sie hätten weniger die „Reichshauptstadt“ in den Mittelpunkt stellen sollen und dafür mehr das, was beim Parteitag wirklich geboten wurde. Denn der Parteitag war ideologisch dünn und lieferte keine Lösungen für gesellschaftliche Probleme.

Sie sprechen viel über die NPD, kaum über deren Konkurrenz am rechten Rand. Ist die NPD gewiefter als die anderen?

DVU und „Republikaner“ sind deutlich zurückhaltender – und werden von der Presse entsprechend weniger wahrgenommen. Die NPD betreibt ihre Arbeit zweifellos mit mehr Anspruch auf Außenwirkung. Sie hat im Kreis um die sächsische Landtagsfraktion akademisch ausgebildete Personen, die in der Lage sind, sehr professionell aufgemachte Pressemitteilungen zu schreiben. Und sie versucht inzwischen ja sogar, eine eigene Nachrichtensendung im Internet zu etablieren.

Dieser „Tagesschau“-Verschnitt der NPD wirkt wie Realsatire. Halten Sie das für eine ernstzunehmende Aktion?

Wer selbst zur rechten Szene gehört, sieht das sicherlich mit anderen Augen. Man darf nicht unterschätzen, welche Bedeutung das für den Binnendiskurs hat: Seht an, wir haben jetzt ein eigenes Fernsehmedium! Für die Zielgruppe wirkt es vermutlich auch nicht komisch, dass Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger ein angeblich aktuelles Interview vom Ort des Geschehens gibt, das aber gar nicht aktuell ist. Die Sendung gilt in der Szene als wichtiger Versuch, sich mit einer Gegenöffentlichkeit zu etablieren.

Aber hat das wirklich Chancen? Die meisten dürften doch technisch gar nicht in der Lage sein, so eine Sendung im Internet anzusehen.

Darüber gibt es bisher keine Erhebungen. Klar ist aber: Die junge Generation ist inzwischen stark auf Internet getrimmt und die Öffentlichkeit fragmentiert sich zunehmend. Früher mussten wir alle durch die „Tagesschau“ durch, wenn wir abends den Fernseher angeschaltet haben. Damit wurde allen eine bestimmte Betrachtung der Politik angeboten. Dem kann der Zuschauer zunehmend ausweichen. Indem die NPD im Internet nun eigene Fernsehsendungen etabliert, kann sich ihre Klientel immer mehr abkoppeln. Sie ist einer Hinterfragung der rechtsextremen Sicht damit nicht mehr zugänglich.

Spielt die wachsende Rolle des Internets den Rechtsextremen in die Hände?

Die NPD kann diese Entwicklung nur begrüßen. Sie wird auf jeden Fall versuchen, ihre Leute daran zu gewöhnen, regelmäßig im Netz die eigenen Sendungen abzurufen. Bei den Jüngeren hat so ein Angebot die Chance, große Popularität zu erlangen.

INTERVIEW: ASTRID GEISLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen