: Notwendige Wut
AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF
Kriegsveteranen in Uniform, Frauen mit Kindern, Studierende, Jogger, SchauspielerInnen und angegraute AktivistInnen haben sich am Samstag vor dem Washingtoner Kapitol versammelt, um für einen Abzug der US-Truppen aus dem Irak zu demonstrieren. Viele hielten Fotos von im Krieg getöteten Verwandten hoch in die strahlende Frühlingssonne. „Holt unsere Soldaten zurück nach Hause“, riefen sie in Sprechchören. Einige trugen T-Shirts mit einer Bush-Fratze darauf, darunter „Bush Bin Lyin‘“ – Bush hat gelogen. Ein Mann errichtete am Rande der Demomeile ein symbolisches Grab für seinen gefallenen Sohn.
Zehntausende Menschen sollen es gewesen sein. Eine offizielle Zahl gibt es nicht, denn die Washingtoner Polizei weigerte sich, eine Schätzung abzugeben. In Los Angeles und San Francisco gingen ebenfalls Tausende aus Protest gegen die Irakpolitik der Regierung auf die Straßen. Von einer mitten im Washingtoner Regierungsviertel aufgebauten Bühne sprachen zahlreiche RednerInnen von ihrem Frust und ihrer Enttäuschung über den nun schon fast vier Jahre andauernden Krieg. „Als ich im Krieg diente, dachte ich, mein Einsatz sei ehrenwert. Stattdessen wurde ich in einen Krieg geschickt, dessen Begründung sich als Fälschung erwiesen hat“, sagte ein Irakveteran. „Wir müssen auf unsere gewählte Regierung Druck ausüben und sie zwingen, unsere Truppen nach Hause zu bringen.“
Unter den Rednern waren auch die Hollywood-Stars Jane Fonda, Sean Penn, Susan Sarandon und Tim Robbins. Seit 34 Jahren habe sie nicht mehr an einer Antikriegsdemo teilgenommen, rief Fonda der jubelnden Menge zu. Aber Schweigen sei jetzt „keine Option mehr. Ich bin so traurig, dass wir dies hier tun müssen – dass wir die Lehren aus dem Vietnamkrieg nicht gezogen haben.“ In den Siebzigerjahren war die heute 69-jährige Fonda eine der prominentesten KritikerInnen des US-Einsatzes in Vietnam.
„Ich bin auf der ersten Demo meines Lebens, aber diesmal musste ich einfach was tun“, sagte der 57-Jährige Kirk Reynolds. „Als ich jung war, haben wir in Vietnam Krieg geführt, aber demonstriert dagegen habe ich nie. Eingezogen wurde ich damals auch nicht“, erinnert sich der Heizungsfachmann aus Kansas. Er war am Freitagabend wie viele andere an diesem Tag mit einem Bus nach 25-stündiger Fahrt in der US-Hauptstadt angekommen. „Dieser Krieg ist gewollt, und es ist ein Krieg um Einfluss und Profit gegen eine Kultur und ein Volk, das wir nicht verstehen“, ist Reynolds überzeugt.
Der demokratische Kongressabgeordnete und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Repräsentantenhaus, John Conyers, feuerte die Menge von der Bühne aus an: „Die Wut des amerikanischen Volks ist notwendig, um Washington dazu zu zwingen, das Richtige zu tun.“ Schon die Wahlen im November hätten mit dem Wahlsieg der Demokraten das Verlangen nach einem Wechsel deutlich gezeigt. Conyers forderte weitere Demonstrationen, „so lange, bis die Regierung die Botschaft kapiert: Raus aus dem Irak, und zwar sofort!“
Bush zeigte sich wenig beeindruckt von den Protesten. Der Präsident verstehe, dass die Amerikaner ein Ende des Kriegs sehen wollten. „Die neue Strategie ist so angelegt, dass sie genau das erreichen wird“, erklärte Bush-Sprecher Gordon Johndroe. Bush hatte Mitte Januar angekündigt, weitere 21.500 Soldaten in den Irak zu schicken. „Mehr als dreitausend unserer Soldaten sind schon gestorben, und hunderttausende Irakis. Für was, frage ich mich immer wieder“, fragte eine Demonstrantin, die aus Honolulu angereist war. „Und trotzdem müssen wir dem Kongress noch Druck machen, es ist zum Verzweifeln.“
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