: Stadtschloss erneut gesprengt
Potsdams Stadtverordnete kippen die Schlossrekonstruktion auf dem Alten Markt. Damit ist auch der neue Sitz des Landtags, der dort residieren sollte, vom Tisch. SPD-Oberbürgermeister Jann Jakobs ist fassungslos, denkt aber derzeit nicht an Rücktritt
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Am Dienstag, den 14. November 2006 um 19.21 Uhr ist in Potsdam der Traum vom Schloss zerplatzt. Zurück blieben Traumatisierte, wie Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und dessen sozialdemokratische Parteimitglieder in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung oder der CDU-Fraktionschef Steeven Bretz oder Ute Bankwitz vom Bürgerbündnis. Sie schüttelten nur ungläubig den Kopf, vergruben das Gesicht in den Händen oder brüllten vor Wut. Dass sich selbst ihre politischen Gegner in der Sache, die PDS, Grüne oder jene von der Partei „Die Andere“, um 19.21 Uhr nicht recht freuen konnten, zeigt die außerordentliche Bedeutung des Vorfalls.
Unerwartet deutlich – mit 27 gegen 24 Stimmen in einer geheimen Abstimmung – hatte die Stadtverordnetenversammlung den Plan zum Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses endgültig gekippt. Der Bebauungsplan auf dem Alten Markt ist damit gescheitert. Es wird keinen rekonstruierten Barockbau in der Stadtmitte als Sitz des Brandenburger Landtags geben. Es ist das Aus nach rund 15 Jahren politischem Kampf und Gezerre um das von der SED 1959 gesprengte Knobelsdorff’sche Stadtschloss.
Nach dem Schock rang der OB um Fassung. „Es besteht die reale Gefahr, dass heute die Chance, die historische Mitte Potsdams wiederzugewinnen, für lange Zeit verspielt wurde“, sagte Jakobs. Potsdam sei „insgesamt um Jahre zurückgeworfen worden“. Die Arbeit im Stadtparlament, mit Planern, dem Landtag – der rund 100 Millionen Euro für den Bau und das Grundstück bereitstellen wollte – und mit Investoren habe man „zunichtegemacht“. Dies sei „kein guter Tag“ für die Stadt. Sein Kollege Bretz von der CDU wurde deutlicher: Er bewertete die Entscheidung als eine „Katastrophe“, das Abstimmungsdesaster lastete er „politischen Verrätern“ an.
Vor zwei Wochen hatte bereits eine Abstimmung zum Thema im Patt (22 zu 22) geendet und war wieder auf die Tagesordnung am 14. November gesetzt worden. Nach Veränderungen bei der Schlossplanung und dem Verfahren hatten sich die Parteien der Schlossgegner (PDS, Familienpartei, Die Andere, Grüne und DVU) zum Teil den Schlossfans angenähert. SPD, CDU und Bürgerbündnis hatten mit einem Erfolg gerechnet.
Umso mehr bedeutet das Debakel bei der Abstimmung nun eine schwere politische Niederlage für Jakobs, der nach dem Stopp für ein neues Potsdamer Spaß- und Schwimmbad mit der Schloss-Ablehnung seine zweite Klatsche kassiert. Eine Demission nach diesem Beschluss lehnte OB Jakobs aber ab. Dies sei „ausgeschlossen“, er sehe „keinen Anlass, einen Rücktritt in Erwägung zu ziehen“, sagte er der taz. Dass ihm und der SPD-Fraktion dennoch ein starker Gegenwind aus dem Stadtparlament sowie aus dem Landtag entgegenwehen wird, ist evident.
PDS-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg legte dem Bürgermeister dennoch den Rücktritt nahe. Jakobs habe bei seinem Beharren auf dem „Landtagsschlossbau“ die drängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Stadt übersehen. Die CDU sah in dem Beschluss ebenfalls eine „Niederlage für den OB“. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck und SPD-Finanzminister Rainer Speer, die für das Schlossbauvorhaben eine zügige Entscheidung angemahnt hatten, zeigten sich enttäuscht. Speer nannte den Beschluss „verheerend“ – was auch an die Adresse von Jakobs ging.
Vor dem Votum hatten die Schlossbefürworter und -gegner noch einmal die Argumente ausgetauscht. Für Jakobs und die SPD bedeutete die Errichtung des Schlossbaus und die Unterbringung des Landtags die Wiedergewinnung der historischen Stadtmitte. Seit dem Abriss des Gebäudes klaffe auf dem Alten Markt an der Stelle des Schlosses eine Lücke.
Dass das Schlossleben weitergeht, zeigte gestern Sven Petke. Laut dem CDU-Landtagsabgeordneten sollten nun die Potsdamer Bürger befragt werden.
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