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Durch die gläserne Falltür

Carleton S. Fiorina (52) war als Chefin des Computer- und Druckerherstellers Hewlett-Packard (HP) die mächtigste Frau der Geschäftswelt – und stolz darauf, nie über Sexismus gejammert zu haben. Umso mehr klagt sie nun in einem „Enthüllungsbuch“ darüber – nach ihrer Kündigung

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Carly Fiorina war der Rockstar des Silicon Valley. Sie wurde 1999 die erste Frau, die einen Fortune-20-Konzern regierte. Nicht irgendein aufgeblähtes Start-up-Unternehmen, sondern Hewlett-Packard, das Traditionsunternehmen der IT-Branche. Und Carly Fiorina war stolz darauf, dass sie es in einer Männerwelt geschafft hatte, ohne je über Sexismus und Benachteiligung gejammert zu haben. Hexe für die einen, Erfolgsikone für die anderen, galt sie allen als lebender Beweis dafür, dass es in der Businesswelt ab nun egal sei, ob ein Mann oder eine Frau im Chefsessel sitzt. Gender war im Carly-Zeitalter eben doch nicht mehr Schicksal, sondern eine Frage der eigenen Power. Selbst als die Saniererin Fiorina vom HP-Aufsichtsrat im Februar 2005 gefeuert wurde, fiel die Businesswelt in erster Linie über ihre waghalsigen Managemententscheidungen, pausenlosen Umstrukturierungen und damit einhergehenden Massenentlassungen her.

Die Interpretation von Fiorinas Rausschmiss erhielt erst mit ihren vor wenigen Wochen in den USA veröffentlichten Memoiren „Tough Choices“ eine neue Facette: Weil sie eine Frau ist und missverstanden wurde, habe sie ein undankbarer Männerverein Namens Board zur eigenen Rettung eiskalt vor die Tür gesetzt.

„Mit harten Bandagen“

In ihren nun auch auf Deutsch erschienen Memoiren, „Mit harten Bandagen. Die Autobiografie“, beschreibt die Selfmadefrau, wie sie als ehrgeizige junge AT&T-Angestellte darauf bestanden hatte, zu einem Businessmeeting zu gehen, dass in einem Washingtoner Striplokal stattfinden sollte. „Ich hatte höllische Angst,“ schreibt Fiorina. Und erzählt, wie sie ihren biedersten Anzug anzog, sich eine Fliege umband und ihre Aktentasche wie einen Schild vor sich her trug. Dabei sagte sie sich immer wieder vor: „Ich bin eine berufstätige Frau.“ Selbst dann noch, als der Taxifahrer sich bei ihr erkundigte, ob sie die Neue im Striplokal sei, in dem die übrigen Mädels in durchsichtigen Negligés auf den Tischen tanzten.

Am 19. Juli 1999, ihrem ersten Tag bei HP, hatte sie verkündet: „Die gläserne Decke für Frauen existiert nicht!“ Heute schreibt sie, dass es sehr wohl eine gläserne Falltür gibt. „Ich denke, dass Männer irgendwie den Wunsch anderer Männer nach Respekt besser verstehen als den Wunsch von Frauen nach Respekt,“ sagte Carly Fiorina in Fernsehinterviews rund um ihre Buchpräsentation. Seitdem beklagt sie sich, dass der HP-Aufsichtsrat ihren Rauswurf „einerseits herzlos und andererseits respektlos“ anging.

Was wäre gewesen, wenn …

„Vielleicht hat es ihnen Spaß gemacht, zu sehen, wie ich wochenlang und öffentlich zusammenbrach?“ Was wäre gewesen, wäre die damals 50-Jährige ein Mann gewesen? Verständnisvollere Aufsichtsratskollegen? Mehr Vertrauen in die HP-Aktie an den Börsen? Weniger Gerüchte wie das über Fiorinas angeblich pinkfarbenes Marmorklo in der HP-Chefetage? In den fünfeinhalb Jahren, in denen die Texanerin aus Austin das legendäre IT-Unternehmen managte, hat sie mehr bewegt und durchgestanden als die meisten ihrer männlichen Managerkollegen und mit knapp sechs Jahren fast doppelt so lange durchgehalten.

Fiorina hatte den Pioniergeist aus der berühmten kalifornischen Garage wiederbelebt, in der Dave Packard und Bill Hewlett Ende der 30er-Jahre angefangen hatten. Sie, die studierte Philosophin, führte in einem Unternehmen, das für seine Hierarchielosigkeit bekannt war, eine Kultur rascher, zentralisierter Entscheidungen ein und wurde für ihre Kompromisslosigkeit bewundert – und gefürchtet.

Viele Silicon-Valley-Veteranen vertreten die Ansicht, dass es wirklich egal war, dass Fiorina eine Frau ist. Der Streit und die Intrigen bei HP, so lauten die Standarderklärungen, seien nur eine weitere Story eines Chefs, der versucht, einen Konzern in Zeiten der Krise wieder nach oben zu bringen. Die übliche Geschichte eines CEOs, der viele Neuerungen einführt, der Belegschaft viel zumutet und dann Gegenwind von der alten Garde bekommt. Die Fusion mit dem Konzern Compaq, über die Fiorina schließlich stolperte, war nur eines der gängigen Managementrezepte, die funktionieren oder auch nicht.

„Leute, die denken, es spielte keine Rolle, liegen falsch“, meint George Anders, ein Businesskolumnist aus dem Silicon Valley. „Die HP-Geschichte hat doch nicht wochenlang Tag für Tag die Seite eins der New York Times geschmückt, weil die Leute so fasziniert davon waren, wie die Konsolidierung auf dem Servermarkt verläuft. Nein, da war ein viel größeres, faszinierenderes Drama im Hintergrund. Wird Carly es schaffen? Die wahre Geschichte war doch, wie die Businesswelt ambitionierte Frauen sieht“, ist sich Anders sicher. Cara Carleton Fiorina, Tochter eines Juraprofessors und einer Porträtmalerin, brach mit den bis dahin gültigen Stereotypen. Und weil das so wahrgenommen wurde, interessierte sich die Öffentlichkeit für alles, was „Carly“ tat oder sagte. Wohin sie wann reiste. Warum ihr Mann, Frank Fiorina, den sie nach einer ersten gescheiterten Ehe 1985 heiratete, sich bei AT&T frühverrenten ließ. Wer zu Hause kochte. Bis hin zu der immer wieder neugierig gestellten Frage, warum das Paar keine eigenen Kinder hatte, sondern sie seine beiden Töchter aus erster Ehe miterzog. (Die Antwort kam irgendwann; „Es war wohl nicht Gottes Plan!“) „Lassen Sie uns über die Arbeit reden“, war Fiorinas Standardantwort auf solche Aufdringlichkeiten. Es war die richtige Antwort. Doch blieb die Neugier eine nicht zu besiegende Schlange. „Als ich schließlich den Gipfel meines Erfolges erreicht hatte, nachdem ich meine ganze Karriere über danach gestrebt hatte, aufgrund meiner Leistung und meines Könnens beurteilt zu werden, blendeten die Kommentare über mein Geschlecht, meine Erscheinung, meine Persönlichkeit alles andere nahezu aus“, resümiert Fiorina heute.

Die New York Times prägte für das spektakuläre Abwatschen der blondhaarigen US-Ikonen Hillary Rodham Clinton, Unternehmerin Martha Stewart und Publizistin Tina Brown sogar ein neues Wort: das dem Deutschen entlehnte „Blondenfreude“. Carly Fiorina, so scheint es, möchte sich nun selbst in diese durchaus ehrenvolle Opfergalerie einweisen. „Im Silicon Valley wurde ich von Anbeginn an entweder als ‚Quoten-Tusse‘ oder als ‚Hexe‘ bezeichnet. Als zu weich oder zu hart. Auf jeden Fall als überheblich. Dabei habe ich mit Interesse männliche Kollegen beobachtet, die Leute gefeuert haben – und als ‚entschlossen‘ bezeichnet wurden. Ich wurde als rachsüchtig abgestempelt.“

„Mutter führt am besten“

Deutlich mehr als die US-Feministinnen haben sich Frauen in der Consultingbranche seitdem so ihre Gedanken gemacht, welche Schlüsse aus Fiorinas Beispiel zu ziehen sind. Susan Bethanis, Gründerin und Präsidentin von Mariposa Leadership, Inc., einer Agentur in San Franciso, ist sich sicher, dass Chefinnen es schwerer haben, wenn sie in einem Unternehmen hart durchgreifen wollen. „Egal ob Mann oder Frau, wenn Unwillen da ist, muss man sich darum kümmern und nicht noch weiter Druck auf die Leute ausüben.“

Moe Grzelakowski, Autorin des Buches „Mutter führt am Besten: 50 Frauen, die die Art und Weise verändern, wie Unternehmen Führungskraft definieren“, findet die mütterliche Umgehensweise als Strategie, um im Chefsessel erfolgreich zu sein, als die vielversprechendste und meint, „Härte und Kaltblütigkeit haben Fiorina nichts genützt“.

„Frausein“ als fataler Fehler

Diese postautokratische Erkenntnis hat sich sogar bis zu den Top-Kaderschmieden der USA wie der Columbia Business School herumgesprochen. Columbia bietet neuerdings einen gut besuchten Kurs an, in dem der emphatische Führungsstil für die globalisierte Wirtschaft gelehrt wird. Studierende lernen dabei, Körpersprache zu lesen und Mimik zu interpretieren. Daniel Goleman, dessen Buch im Kurs mit auf der Lektüreliste steht, behauptet, Frauen seien besser im Erkennen der Emotionen anderer, Männer aber seien besser darin, in einer Krise ihre eigenen Emotionen zu managen.

Heute ist Fiorina davon überzeugt, dass die irrationale Ablehnung, die ihr im eigenen Unternehmen entgegenschlug, eng verbunden ist mit ihrem Frausein. „Ich habe damals nicht gesehen, wie sehr ich als Frau und Person ein Synonym für Veränderung und Herausforderung war, das habe ich nicht bedacht.“ Für feministische Selbstbehauptungsdiskurse gibt sie sich nicht her. Stets betont sie, dass sie das meiste, was sie in ihren Leben erreicht hat, mit Männern erreichte. „Ich denke nur, Frauen müssen härter am Erfolg arbeiten“, lautet ihre schlichte Erkenntnis. Wenn Geld ein Ausdruck für Gleichbehandlung ist, dann hat Fiorina ohnehin wenig Grund zur Klage. HP zahlte ihr rund 23 Millionen Dollar Abfindung – und das, obwohl die HP-Aktie unter ihrer Ägide mehr als 50 Prozent ihres Wertes verloren hatte, doppelt so viel wie die Werte anderer IT-Firmen in dieser Zeit. Alles in allem ein Abschiedsgeschenk, dass in der Branche – auch für einen männlichen CEO – als „verdammt gut“ gilt.

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