piwik no script img

Jugendliche fallen über Polizisten her

Die Festnahme minderjähriger Kleinkrimineller führt im Berliner Bezirk Kreuzberg zu einem Tumult mit hundert Beteiligten. Lokalpolitiker und Jugendforscher sehen das Stadtviertel aber von Zuständen wie in französischen Vororten weit entfernt

AUS BERLIN F. HOLLENBACH, M. LANGEDER, D. SCHOTTNER

Am Morgen danach sind schon die Fernsehteams in der Kreuzberger Wrangelstraße unterwegs. Der 23-jährige M. erzählt den Journalisten seine Version dessen, was am Abend zuvor in dem Stadtviertel geschehen ist. Die Festnahme von zwei Zwölfjährigen hatte am Dienstag zu einer Massenrangelei zwischen Polizisten und Jugendlichen geführt.

Die beiden türkischstämmigen Jungen hatten versucht, einen 15-Jährigen seines MP3-Players zu berauben. Als herbeigerufene Polizisten die beiden Tatverdächtigen zum Streifenwagen bringen wollten, fielen laut Polizeibericht plötzlich bis zu hundert Jugendliche über die vier Beamten her. Erst nach dem Eintreffen von 45 weiteren Polizisten habe sich die Situation wieder beruhigt.

Unter den jungen Leuten war jener M., der jetzt mit Halskrause und blauen Flecken vor der Fernsehkamera steht. Laut Polizei versuchte er, den Abtransport der Kinder durch Öffnen der Fahrzeugtür und Tritte gegen den Streifenwagen zu verhindern. „Die Zwölfjährigen wurden wie Terroristen behandelt, an die Wand gestellt und in Handschellen gelegt“, sagt M. Als er dagegen protestiert habe, sei die Stimmung aggressiv geworden. „Die Polizisten sagten: Geh doch zurück in dein Land!“ Nach verbalem Hin und Her, so M., sei er von hinten mit einem Schlagstock attackiert und von mehreren Polizisten verprügelt worden.

Fünf rund 20-jährige Beteiligte, darunter auch M., haben sich gestern an Ahmet Iyidirli gewandt, der bei der Bundestagswahl im Wahlkreis Kreuzberg für die SPD kandidiert hatte. Die Gruppe habe erzählt, Polizisten hätten die zuerst festgenommenen Kinder äußerst grob wie Erwachsene behandelt. Das habe zur Eskalation geführt.

Schon seit Jahren gebe es unter jungen Migranten in Kreuzberg ein starkes Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, sagte Iyidirli. Immer wieder würden sie die Geschichte des türkischstämmigen Hiphoppers Maxim erzählen. Der 33-Jährige war 2003 in Berlin-Köpenick von einem 76-Jährigen erstochen worden. Vor Gericht wurde der Rentner vor zwei Jahren freigesprochen, weil er in Notwehr gehandelt habe. Seither heiße es stets: „Wenn einer von uns das getan hätte, säße der im Gefängnis“, berichtet Iyidirli.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, warnte vor zunehmenden Problemen bei der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols. Es gebe „bestimmte Milieus“ in Teilen Deutschlands, wo es für die Polizei „immer schwieriger ist, einzuschreiten“. Zu einem weiteren Zwischenfall kam es gestern Nachmittag im Berliner Stadtbezirk Tempelhof, wo rund 60 Jugendliche einen Schüler bedrohten. Als die Polizei eintraf, waren die Angreifer bereits verschwunden.

Kreuzberger Lokalpolitiker demonstrierten gestern Gelassenheit. „Ich warne vor der Panikmache, wir bekämen Zustände wie in Frankreich“, sagte die Kreuzberger Jugendstadträtin Monika Hermann (Grüne). „Das wird nicht passieren.“ Die Polizei werde in dem Stadtviertel „nicht mehr oder weniger akzeptiert als irgendwo anders“. Das eigens eingerichtete Quartiersmanagement, das Konflikte in dem Stadtteil entschärfen soll, leiste sehr gute Arbeit. „Ich habe den Eindruck, dass die Mitarbeiter einen sehr guten Zugang zu den Bewohnern haben und von ihnen akzeptiert werden.“

Der Bielefelder Jugendforscher Jürgen Mansel sagte der taz, Gewalt gegen die Polizei sei eher die Ausnahme. „Jugendliche tragen Konflikte in der Regel unter sich aus. Ausschreitungen wie in den französischen Vororten sind in Deutschland eher unwahrscheinlich.“ Zudem sei die soziale Segregation nicht so stark wie im Nachbarland. „In Frankreich gibt es Stadtviertel, in denen Jugendliche keine Chance haben, einen Platz im Erwerbssystem zu finden. Hierzulande gibt es auch in Problembezirken Jugendliche, die anderen einen Hoffnungsschimmer geben können.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen